Vierter Artikel. Die Seele ist nicht der Mensch.
a) Die Seele allein scheint der Mensch zu sein. Denn: I. 2. Kor. 4, 16. heißt es: „Wenn auch der Mensch, der außen ist, in uns schwach wird und vergeht; jener aber, der innen ist, nimmt neue Kraft an von Tag zu Tag.“ Der „innere Mensch“ aber ist die Seele. Also ist die Seele „der Mensch“. ) II. Die Seele ist Substanz; aber keine allgemeine, sondern eine einzelne. Also ist sie Person und demnach menschliche Person, d. h. sie ist der Mensch. Auf der anderen Seite empfiehlt Augustin (19. de Civ. Dei c. 3.) den Varro, weil er nicht annahm, die Seele allein oder der Leib allein sei Mensch, sondern Leib und Seele zugleich.
b) Ich antworte, dieser Ausspruch „der Mensch ist die Seele“ lasse ein doppeltes Verständnis zu. Einmal so, daß der Mensch im allgemeinen, der allgemeine Mensch, die Seele sei; dieser einzelne Mensch aber sei nicht die Seele, sondern etwas aus Leib und Seele Zusammengesetztes. Das sagen jene, welche meinen, die stofflichen Einzelheiten seien der Gattungsstufe fremd; der Stoff sei wohl ein Teil des Einzeldinges, aber die Gattung werde durch die Wesensform allein hergestellt; — danach sei aber auch der Stoff seiner Natur nach nicht erkennbar, denn nur das Gattungswesen wird von der Vernunft aufgefaßt. Das kann jedoch nicht sein; denn zur Natur der Gattung gehört, was durch die Definition bezeichnet wird. Im sichtbaren Bereiche des Natürlichen aber bezeichnet die Definition oder Begriffsbestimmung nicht allein die bestimmende Wesensform, sondern zugleich den bestimmbaren Stoff und die entsprechende Form. Deshalb nun ist in den Dingen der Natur der Stoff ein Teil der Gattung; zwar nicht ein bestimmter bereits unter der Ausdehnung befindlicher Stoff, denn dieser ist das Princip des Einzelseins; wohl aber der Stoff im allgemeinen als Vermögen, etwas zu werden. Denn wie es zu der Natur dieses einzelnen Menschen gehört, daß er zusammengesetzt ist aus dieser Seele und aus diesem Fleische und aus diesen Knochen; so gehört es zur Natur der menschlichen Gattungsstufe überhaupt, daß sie das aus einer Seele, aus Fleisch und Knochen Zusammengesetzte ist. Zur Natur der Gattung nämlich muß gehören, was in die Substanz aller Einzelwesen eintritt, welche in der Gattung enthalten sind. Dann kann dies so verstanden werden, daß diese bestimmte einzelne Seele der bestimmte einzelne Mensch ist. Und dies könnte wohl in dem Falle zugestanden werden, wenn alle Thätigkeit, auch die der Sinne, der Seele allein zugeschrieben werden müßte. Denn ein Ding ist das, was die Thätigkeiten desselben Dinges bewirkt. Das also wäre der Mensch, was in ihm das alleinige Princip aller menschlichen Thätigkeit ist; er würde sonach die Seele sein, wenn diese auch die sinnliche und somit alle Thätigkeiten im Menschen wirkte. Empfinden aber ist nicht eine Thätigkeit der Seele allein. Da also das sinnliche Empfinden eine Thätigkeit des Menschen ist, wenn auch nicht die ihm allein zum Unterschiede von allem Anderen eigene, so ist offenbar der Mensch nicht die Seele allein, sondern etwas aus Leib und Seele Zusammengesetztes. Plato allerdings, der das sinnliche Empfinden der Seele allein zueignete, konnte sagen, der Mensch sei die Seele, insoweit sich diese des Leibes bediene.
c) I. Jedes Ding scheint nach 9 Etbic. c. 8. das zu sein, was in ihm die erste Stelle einnimmt; wie der Staat das thut, was der Leiter desselben thut. Und auf diese Weise wird manchmal im Menschen dasjenige „Mensch“ genannt, was man als das Hauptsächliche desselben ansieht. Das ist nun entweder der vernünftige Teil, wie dies auch in Wahrheit so ist; und so spricht man vom „inneren Menschen“; — oder es ist der sinnliche Teil, den viele für die Hauptsache ansehen, getäuscht durch den Schein, und so spricht man vom „äußeren Menschen“. II. Nicht jede einzelne Substanz ist Person oder Hypostase; sondern diejenige, welche die vollständige Natur der Gattung in sich einschließt. Sonach ist der Fuß oder die Hand nicht „Person“; und ähnlich nicht die Seele, die ein Teil der menschlichen Gattungsnatur ist.
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