Zweiter Artikel. Das Erkenntnisprincip im Menschen wird vermehrt gemäß der Vervielfältigung der Körper.
a) Es scheint, es bestehe nur eine einzige Vernunft in allen Menschen. Denn: I. Keine stofflose Substanz erfährt innerhalb ein und derselben Gattung eine Vervielfältigung nach der Zahl. Die Menschenseele aber ist unstofflich; denn sie ist nicht zusammengesetzt aus Stoff und Form. Also sind nicht der Zahl nach viele in derselben Menschengattung; sondern alle Menschen haben nur eine Gattung und somit zusammen nur eine Vernunft. II. Wird die Ursache entfernt, so schwindet auch die Wirkung. Wird also die menschliche Seele vervielfältigt, weil der Körper viele sind; so bleibt die Vielzahl der Seelen nicht, wenn die Körper fortfallen. Es würde nur etwas Eines und Indifferentes, von allen Seelen übrig bleiben. Das aber ist häretisch; denn es besteht damit keine Belohnung und keine Strafe nach dem Tode. III. Wenn meine Vernunft eine andere ist wie die deinige, so ist die meinige ein besonderes Einzelding so gut wie deine. Dann kann aber keine von beiden allgemeine Ideen in sich aufnehmen; denn was in die Vernunft eintritt, das nimmt gemäß der Beschaffenheit des Bestandes der Vernunft Sein an; also im erwähnten Falle nur ein besonderes und einzelnes. IV. Das Erkannte ist in der erkennenden Vernunft. Wenn also meine Vernunft eine andere ist wie die deine, so ist mein Erkanntes etwas Anderes wie dein Erkanntes. Somit wird es auch nur als Einzelnes gezählt und was dem beiderseitig Erkannten gemeinsam ist, das wird thatsächlich nicht erkannt, sondern es bleibt einfach im Zustande des Erkennbaren; da jeder von beiden nur thatsächlich erkennt, was in seiner Vernunft ist, nicht aber, was in der des anderen, also nur, worin das eine Erkannte von anderen geschieden ist, nicht worin beides Einzelne übereinstimmt. Es müßte dann das Gemeinsame oder Allgemeine wieder vom Einzelnen losgelöst, abstrahiert werden, um erkannt zu sein. Da würde aber die Vernunft sich nicht unterscheiden von der Einbildungskraft, in der die Phantasiebilder als einzelne bestehen und erst durch die Vernunft abgelöst werden müssen von den Einzelbedingungen. Also ist in allen Menschen nur eine Vernunft. V. Empfängt der Schüler vom Lehrer die Wissenschaft, so wird nicht die Wissenschaft im Schüler erzeugt; denn dann wäre die Wissenschaft ebenso eine wirksame, thätige Form wie etwa die Wärme, was falsch ist. Also wird der Zahl nach ein und dieselbe Wissenschaft mitgeteilt dem Schüler. Also ist auch im Lehrer und im Schüler ein und dieselbe Vernunft der Zahl nach; und folgerichtig in allen Menschen. VI. Augustinus sagt (de Quant. animae c. 32.): „Wenn ich sagen wollte, die menschlichen Seelen seien mehrere Größen, so müßte ich mich am meisten selber verlachen.“ Also besteht bei weitem mehr auch nur eine Vernunft. Auf der anderen Seite verhalten sich nach 2 Phys. die besonderen beschränkten Ursachen zu den besonderen beschränkten Dingen ebenso wie die allgemeinen Ursachen zum Allgemeinen. Es ist aber unmöglich, daß die eine Seele gemäß der allgemeinen Gattungsstufe zu verschiedenen allgemeinen Gattungen lebender Wesen gleichmäßig gehören könne, Tierseele und Menschenseele zugleich sei; also ist es auch unmöglich, daß die eine besondere vernünftige Seele, welche zu einem einzelnen besonderen Menschen gehört, zugleich zu verschiedenen einzelnen Menschen der Zahl nach gehöre.
b) Ich antworte, es sei völlig unmöglich, daß eine einzige Vernunft der Zahl nach in allen Menschen sei. Und zwar erhellt dies bei der Meinung des Plato von vornherein. Denn ist der Mensch eben nur die vernünftige Seele, also die Vernunft, so wären Plato und Aristoteles ein einziger Mensch, wenn sie bloß eine Vernunft hätten. Sie würden dann bloß unterschieden sein nach dem, was außerhalb ihres Wesens ist; wie ein Mensch, der einen Mantel hat, von sich selber sich unterscheidet, als er bloß einen Rock hatte. Ebenso ist diese selbe Wahrheit von vornherein klar bei der Meinung bes Aristoteles. Denn Wesen, die der Zahl nach verschieden sind, können nicht ein und dieselbe Wesensform der Zahl nach haben, ebensowenig wie sie ein und dasselbe Sein besitzen; da ja von der bildenden Form das thatsächliche Sein eines Dinges herrührt. Was in mir Wesensform ist und mich zum einzelnen Menschen macht, das kann nicht in einem anderen einzelne Wesensform sein. Aber die Unmöglichkeit, daß in allen Menschen nur eine Vernunft sei, stellt sich auch heraus, wie auch immer man die Verbindung des Leibes mit der Seele darstellen mag. Denn wenn eine einzige einwirkende Hauptursache besteht mit zwei untergeordneten als Werkzeuge gebrauchten Ursachen, so existiert wohl ein einziger Handelnder; jedoch bestehen zwei Handlungen, wie wenn ein Mensch mit jeder Hand etwas Verschiedenes berührt, dies wohl einen Berührenden ergiebt, aber zwei Berührungen. Ist das Gegenteil der Fall, daß nämlich nur ein Werkzeug gebraucht wird und mehrere Einwirkende existieren, so sind mehrere Handelnde und eine Handlung nur. So ziehen viele am Stricke ein Schiff und es ist nur ein Ziehen. Ist aber nur ein Einwirkender da und ein Werkzeug, so besteht auch nur ein Handelnder und nur eine Handlung, wie wenn der Schlosser mit dem Hammer das Eisen bearbeitet. Nun ist es, welche Art Einigung auch immer zwischen Leib und Seele angenommen wird, ganz offenbar, daß die Vernunft jedenfalls bei allem Handeln den Vorrang behauptet; denn ihr folgen die Sinne und dienen ihr. Wird nun angenommen, es beständen für zwei Menschen mehrere Vernunftkräfte, jedoch nur ein Sinn, z. B. beide müßten durch ein einziges Auge sehen, so existierten mehrere Sehende aber nur ein Sehen. Wenn aber die Vernunftkraft nur eine wäre, so könnten, so vielfach die Werkzeuge sein würden, deren diese Vernunft sich bedient, Plato und Aristoteles nur als ein geistig Erkennender bezeichnet werden. Und wenn wir hinzufügen, daß das geistige Erkennen selber vermittelst keines stofflichen Werkzeuges sich vollzieht, sondern nur einzig und allein vermittelst der Vernunft, so bestände demgemäß nur ein Handelnder und nur eine Handlung; das will heißen: Alle Menschen wären ein einziger Erkennender und ein einziges Erkennen mit Rücksicht auf den gleichen und selben Erkenntnisgegenstand. Nun könnte man glauben, daß meine und deine vernünftige Thätigkeit auf Grund der Verschiedenheit in den Phantasiebildern sich unterscheide; da nämlich das Phantasiegebilde vom Steine in mir ein anderes ist wie das Phantasiegebilde vom selben Steine in dir. Dies hätte jedoch nur dann Berechtigung, wenn das Phantasiegebilde in mir wohl verschieden wäre von jenem in dir; jedoch auch zugleich gemäß dieser Verschiedenheit als vernünftige Erkenntnisform in der möglichen Vernunft sich vorfände und diese befähigte für den einzelnen Erkenntnisakt. Denn wenn ein und dieselbe Ursache gemäß verschiedenen Formen einwirkt, so bringt sie verschiedene Thätigkeiten hervor; wie verschiedene Arten Sehen in dem einen Auge sich finden, gemäß den verschiedenen Formen der Dinge. Nun ist aber das Phantasiegebilde nicht die Form, welche es der Vernunft ermöglicht zu erkennen, sondern eine solche Form ist allein die vernünftige Idee; und zwar gerade insoweit sie, von den Phantasiegebilden mit deren Einzelbedingungen losgelöst, die Natur des Allgemeinen gewonnen hat. In ein und derselben Vernunft löst sich jedoch von den verschiedenen Phantasiebildern ein und derselben Gattung immer nur eine Idee ab; wie ein und derselbe Mensch verschiedene Phantasiegebilde vom Steine haben kann und doch immer von allen die eine Idee „Stein“ sich ablöst, vermittelst deren die eine Natur des Steines aufgefaßt wird trotz der Verschiedenheit der Phantasiebilder voneinander. Wäre also nur eine einzige Vernunft in allen Menschen, so könnten die Verschiedenheiten in den Phantasiegebilden in diesem oder jenem Menschen nicht es verursachen, daß die vernünftige Thätigkeit dieses Menschen verschieden sei von der des anderen, wie dies Averroës sich einbildet. Eine Vernunft somit für alle Menschen anzunehmen, ist durchaus unzuträglich.
c) I. Die vernünftige Seele hat wie auch der Engel keinen Stoff, aus dem sie gebildet wäre; darin aber ist sie verschieden vom Engel, daß sie die bildende Wesensform eines Körpers ist. Je nachdem sie also in vielen Körpern Wesensform ist, giebt es viele Seelen von derselben Gattung. Und weil eben die Engel nicht Wesensformen in einem Körper sind, deshalb giebt es nicht mehrere innerhalb ein und derselben Gattung. II. Ein jedes Ding verhält sich so zum Einen wie zum Sein. Also wird ebenso über das Eine oder Viele geurteilt wie über das Sein. Nun wird gemäß ihrem Sein die vernünftige Seele mit dem Körper als dessen bethätigende Form verbunden und sie bleibt trotzdem in ihrem Sein auch bei Auflösung des Körpers. Deshalb bleibt sie auch in der Vielheit nach der Auflösung der vielen Körper, da eben die Vielheit der Seelen sich nach der Vielheit der Leiber richtet; also nach der Vielheit des Seins, insoweit die Seele als Wesensform in jedem dieser Leiber das menschliche Sein verursacht hat. III. Nicht die einzelne Existenz hindert das Erkennen des Allgemeinen; sondern die Stofflichkeit des erkennenden Princips oder der Erkenntnisform hindert die Erkenntnis des Allgemeinen. Wie nämlich die Erwärmung gemäß der Beschaffenheit und dem Bestände der Wärme ist und überhaupt jedes Thätigsein nach der Beschaffenheit der Form sich verhält, vermittelst deren es sich vollzieht; so geschieht auch die thatsächliche Kenntnis gemäß der Art und Weise der Idee oder Erkenntnisform, vermittelst deren erkannt wird. Nun ist es aber offenbar, daß die allgemeine Gattungsnatur vervielfacht und danach eine in ihrer Vereinzelung verschiedene wird gemäß den Principien des Einzelseins, die vom Stoffe kommen. Ist also die Form, vermittelst deren erkannt wird, eine stoffliche und nicht eine von den beschränkenden Einzelverhältnissen losgelöste; so wird die Ähnlichkeit der Gattungs- oder der Art- Natur nur in der Weise da sein, wie sie außen eine vervielfachte und so in der Vereinzelung verschiedene ist und so wird sie nicht als eine allgemeine gekannt werden. Ist jedoch diese selbe Natur losgelöst von den stofflichen Einzelheiten, so wird die Ähnlichkeit sich auf die Natur als eine allgemeine richten; und nicht insoweit sie eine vielfache und einzelne ist. Mit Rücksicht darauf also bleibt es sich gleich, ob es bloß eine Vernunft giebt oder je nach der Zahl der Menschen viele Vernunftkräfte. IV. Ob es nun eine oder mehrere Vernunftkräfte giebt; — was verstanden wird ist immer das, was eine Einheit ist und soweit es Einheit ist. Denn was verstanden wird, ist nicht in der Vernunft an und für sich nach dem thatsächlichen Sein, sondern nach einer Ähnlichkeit mit ihm. „Der einzelne Stein ist nicht in der Vernunft,“ heißt es 3. de anima, „sondern die allgemeine Natur des Steines.“ Aber doch wird durch diese Ähnlichkeit nicht die Natur des Steines unmittelbar erkannt, sondern der einzelne Stein selber, insoweit er zur Gattung „Stein“ gehört; und die Natur wird nur mittelbar gekannt, wenn die Vernunft nämlich zu sich selber gleichsam, zu ihrer eigenen Erkenntnisform nämlich zurückkehrt. Denn die Wissenschaft hat zum Gegenstande die Dinge selber und nicht die vernünftigen Erkenntnisformen. Es trifft sich jedoch, daß die eine und selbe Sache vermittelst verschiedener Ähnlichkeiten dargestellt wird. Und da jede Kenntnis gemäß einer gewissen Ähnlichkeit sich vollzieht, welche den Erkennenden mit dem erkannten Dinge verbindet, so kann das gleiche Wesen von verschiedenen Erlennenden erfaßt werden. Wie mehrere die ganz gleiche Farbe sehen gemäß verschiedenen Formen oder Ähnlichkeiten, so können auch mehrere Vernunftkräfte ein und dieselbe allgemeine Natur verstehen. Nur faßt der Sinn den Gegenstand auf ganz gemäß der Lage, die der Gegenstand außen in seiner einzelnen Besonderheit hat. Die Natur des geistig erkannten Dinges dagegen ist zwar außerhalb der vernünftigen Seele, aber sie hat da nicht jene Seinsweise wie in der Vernunft, wo sie losgelöst ist von allen einzelnen Besonderheiten. Nach Plato jedoch ist das geistig erkannte Ding auch außen geradeso wie in der Vernunft; denn es besteht auch außen für sich als allgemeine stofflose Natur. V. Die Wissenschaft ist eine andere im Lehrer wie im Schüler. Wie sie verursacht wird vgl. Kap. 117. VI. Augustin will sagen, die menschlichen Seelen seien nicht mehrere Größen; nämlich sie seien alle von ein und derselben Natur der Gattung.
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