Vierter Artikel. Es besteht im Menschen gar keine andere, auch keine rein körperliche leitende Form außer der vernünftigen Seele.
a) Dem Menschen scheinen noch andere substantiale Formen innezuwohnen wie die vernünftige Seele. Denn: I. Aristoteles (2. de anima) sagt: „Die Seele ist das thatsächliche Sein oder die bethätigende Form eines natürlichen Körpers, dem da Vermögen innewohnt, Leben zu haben.“ Die Seele wird also dem Körper gegenübergehalten wie die bestimmende Form dem Stoffe. Der Körper aber hat eine substantiale Wesensform, vermittelst deren er Körper ist. Also liegt der vernünftigen Seele im menschlichen Körper eine andere substantiale Form zu Grunde, wodurch dieser Körper eben ein Körper ist. II. Der Mensch wie jegliches lebende sinnbegabte Wesen bewegt sich selbst. Dazu gehört aber, daß es im Menschen zwei Teile giebt, von denen der eine der bewegende, der andere der bewegliche ist. Der bewegende nun ist die Seele. (8 Physic.) Also muß der andere der in Bewegung gesetzte sein. Der bloße Urstoff aber kann nicht in Bewegung gesetzt werden; denn er ist ein bloßes Vermögen für das Sein und nichts der thatsächlichen Wirklichkeit nach Bestehendes. Vielmehr ist alles, was bewegt wird, insoweit ein Körper. Also muß neben der Seele eine andere substantiale Wesensform da sein, durch welche der Körper ein Körper ist. III. Die Stufenfolge in den Wesensformen richtet sich nach der Beziehung der letzteren zum Urstoffe. Denn daß etwas im Vergleiche zum anderen in seinem Sein ein Mehr oder Minder, ein Vorher und Nachher hat, das kommt von der Entfernung von dem betreffenden Princip, dessen Natur das fragliche Sein ist; wie das mehr oder minder Warme ausgesagt wird gemäß dem Verhältnisse zum Feuer, zu dessen Natur das Warme gehört. Nun ist aber der Urftoff seiner Natur nach nur Vermögen, etwas zu werden; er hat kein thatsächliches Sein in seinem Wesen und ist demnach seiner Natur nach das Unvollkommenste. Haftet also die Seele unmittelbar dem Urstoffe an als erste, denselben bildende Form und steht sie so dem Stoffe am nächsten, so ist sie auch von allen Wesensformen die unvollkommenste; was nicht wahr ist. IV. Der menschliche Körper ist ein Gemenge von stofflichen Elementen. Unmöglich kann dieses Gemenge nur dem Vermögen nach bestehen im Stoffe; denn das wäre Stoff ohne Form und somit gleichbedeutend mit Auflösung. Also müssen die Formen der Elemente, wodurch diese etwas Thatsächliches sind, im Körper bestehen bleiben; und dies sind substantiale Formen. Also existieren letztere neben der Seele. Auf der anderen Seite hat jedes Ding nur eine Substanz, ein Wesen und somit ein substantiales Sein. Gerade die substantiale Form aber giebt dieses Sein. Also hat jedes Ding nur eine substantiale Form. Eine solche Form nun ist die Seele im Menschen. Also unmöglich ist im Menschen eine irgend welche andere Form wie die vernünftige Seele.
b) Ich antworte, daß, falls die Seele nur als Beweger mit dem Körper verbunden wäre, notwendig im Menschen eine andere substantiale Form sein müßte, durch welche der Körper als das Bewegliche hergestellt würde. Dies nimmt Plato an. Ist aber die vernünftige Seele die substantiale Form im Menschen, so ist neben dieser eine andere substantiale Form ganz unmöglich. Die substantiale Form unterscheidet sich nämlich darin von einer bloßen Eigenschaft, die zum thatfächlich bereits bestehenden Dinge hinzutritt, daß sie macht, daß von dem betreffenden Dinge einfach ausgesagt wird: es ist; wogegen eine Eigenschaft oder eine ähnliche Form nur macht, daß ausgesagt wird: Das Ding ist ein solches, ein so beschaffenes; wie die Wärme z. B. nicht macht, daß etwas einfach Sein hat, sondern daß das bereits bestehende Subjekt ein solches, nämlich ein warmes ist. Deshalb geht auch ein Ding nicht zu Grunde; und ebensowenig wird es in seinem Sein erzeugt dadurch daß eine solche Eigenschaft sich entfernt oder hinzukommt. Wird aber die Wesensform entfernt, so geht das betreffende Ding zu Grunde: Dieses Ding ist dann einfach nicht mehr. Und tritt eine solche substantiale Form ein, so ist das Ding. Aus diesem Grunde nahmen die alten Naturphilosophen, welche ein thatsächlich bestehendes Sein wie das Feuer oder die Luft etc. für den Urstoff, aus dem alles geworden sei, hielten, an, daß nichts in Wahrheit zu Grunde gehe oder erzeugt werde; sondern alles sei nur eine Änderung in dem einen, was zu Grunde liegt. (1 Physic.) Wenn also außer der vernünftigen Seele vorherexistierte und neben ihr bliebe eine andere substantiale Form im Körper, durch welche der letztere thatsächliches Sein gewänne, so würde nicht einfach ein Mensch erzeugt werden und vergehen; sondern die Seele wäre nur eine Eigenschaft an dem bereits thatsächlich bestehenden Körper. Es würde von einem menschgewordenen Körper die Rede sein müssen wie von einer weiß gewordenen Wand und von warm gewordenen Wasser; was offenbar falsch ist. Die vernünftige Seele also ist die einzige substantiale Wesensform im Menschen; durch sie ist der Mensch eben Mensch und nicht etwas Anderes. Sie begreift in ihrer Kraft in sich nicht nur die Vollendung der sinnlichen und pflanzlichen Seele, sondern auch die aller tiefer stehenden Formen; sie macht für sich allein alles Jenes im Menschen, was die niedrigeren Formen in den übrigen Körpern thun. Und ebenso verhält es sich mit der Tierseele in den Tieren und mit der Pftanzenfeele in den Pflanzen.
c) I. Aristoteles sagt ausdrücklich, die Seele sei die Thatsächlichkeit des Körpers, „dem da Vermögen eigen ist, Leben zu haben.“ Ein solches Vermögen aber spricht nicht aus, daß es sich mit der Seele als dem bethätigenden Momente nicht vertrage. Sowie also das Licht die Thatsächlichkeit des Leuchtenden als eines solchen ist, die Wärme die Thatsächlichkeit des Warmen; nicht weil vorher oder neben dem Lichte, das Leuchtende sei und vor oder neben der Wärme, unabhängig von ihr das Warme; sondern weil, was an Leuchtendem, an Warmem da ist, vom Lichte, von der Wärme kommt; — ebenso ist die Seele die Thatsächlichkeit des Seins im Körper, weil dieser vermittelst der Seele sowohl thatsächlicher Körper ist als auch mit Organen versehen und mit Vermögen für das Leben ausgestattet. In solcher Weise ist der Körper unter dem bestimmenden Einflüsse der Seele der bloßen Natur, nämlich dem ersten Akte nach, im Zustande des Vermögens, menschlich thätig zu sein und kraft dessen Lebensthätigleit, den zweiten Akt, auszuüben. II. Die Seele bewegt den Leib nicht vermittelst ihres Seins; sondern vermittelst ihrer bewegenden Kraft, durch eines ihrer Vermögen nämlich. Und diese bewegende Kraft oder dieses Vermögen setzt bereits den thatsächlich bestehenden Körper voraus; dieser aber hat sein thatsächliches Bestehen durch die Seele als Wesensform für das Sein. Und so ist die Seele gemäß ihrer bewegenden Kraft der bewegende Teil; und der beseelte Körper ist der in Bewegung gesetzte. III. Im Stoffe wird folgende Stufenfolge im Sein gemäß dessen Vollendung beobachtet: Sein, Leben, Empfinden, vernünftiges Erkennen. Was in dieser Reihe folgt, das ist aber immer vollkommener wie das Vorhergehende und schließt letzteres in sich ein. Jene Form also, die nur den ersten Grad, einfaches Sein, giebt, ist die unvollkommenste. Die Form aber, welche den ersten, zweiten, dritten u. s. w. Grad der Vollendung giebt,ist im höchsten Grade vollkommen; sie bethätigt selber demnach ohne weitere Vermittlung, für sich allein, direkt das allgemeine Vermögen des Urstoffes. IV. Avicenna nahm an, die substantialen Formen der Elemente blieben in ihrem Wesenssein und nach ihrer ganzen Natur im gemischten Körper zurück; und die Mischung finde nur in der Weise statt, daß so viel von dem einen Elemente darin sei und so viel vom anderen. Danach bliebe also der Wasserstoff im Wasser Wasserstoff und der Sauerstoff bliebe Sauerstoff. Nur wäre die proportionale Teilnahme der Elemente an der Mischung für die letztere und für ihren Bestand entscheidend; je nachdem eine gewisse Anzahl Prozent von dem einen genommen würde und eine gewisse Anzahl vom anderen; und ebenso wenn viele Elemente zusammen vermischt würden. So aber kann sich dies nicht verhalten. Denn solch verschiedene substantiale Formen der Elemente können nur in den verschiedenen Teilen des Stoffes sein; und da der teilbare Stoff nicht ohne einen gewissen Umfang sein kann, so müßte der bestehenbleibenden thatsächlichen Verschiedenheit der stofflichen Elemente auch die Verschiedenheit der Lage und des Umfanges entsprechen. Nun findet sich der dem Umfange unterworfene Stoff nur immer in einem Körper und der eine Körper kann nicht am selben Orte sein, wo der andere ist. Also folgt, daß die Elemente, so gedacht, in dem aus ihrem Gemenge entstandenen Körper je eine verschiedene Lage einnehmen. Und damit vollzieht sich nicht eine wirkliche Mischung, wo jedes Element im Ganzen aufgeht, sondern nur eine Mischung, wie sie der Sinn wahrnehmen kann; wie ein Haufen Steine dadurch entsteht, daß der eine neben dem anderen gelegt ist. In dem gebrauchten Beispiele also würde hier Wasserstoff vorhanden sein und da Sauerstoff in dem, was man Wasser nennt. Nie aber würde man etwas darin weder als Sauer- noch als Wasserstoff, sondern als Wasser bezeichnen können; und natürlich müßte man auch nicht vom Wasser- und Sauerstoff, von jedem im einzelnen, verschiedene Charaktereigenschaften annehmen, wie sie dem Wasser als solchem zukommen. Deshalb nahm Averroës an (in 3. de caelo), daß die Formen der Elemente infolge ihres Mangels an Vollendung in der Mitte stehen einerseits zwischen den eigentlich substantialen Formen, aus denen einfach das Sein eines Dinges folgt; und andererseits den Formen bloßer, dem bereits bestehenden Sein nur anhängender und hinzugefügter Eigenschaften. Danach würden somit diese Formen selber an sich ein Mehr und Minder in ihrer Mischung zulassen, wie z. B. ein Gegenstand nun mehr nun minder warm sein kann; und so würden die sonst einander entgegengesetzten Formen in der Mischung zu einem Mitteldinge werden und aus ihnen zusammen eine einzige Form hervorgehen. Das aber ist noch weit unmöglicher. Denn zuvörderst kann es gar kein Mittelding geben zwischen einer substantialen Form, infolge deren etwas eben einfach ist und einer bloßen Eigenschaftsform, vermöge deren etwas nur an oder mit einem Sein ist; da alles, was ist, entweder selber Sein hat oder an und vermittelst etwas Anderem Sein hat. Dann kann aber eine wie auch immer betrachtete substantiale Form, vermöge deren etwas ist, mag sie auch noch so unvollendet dem Sein nach sein, gar kein Mehr oder Minder in sich zulassen. Denn eine jede solcher Formen ist durchaus unteilbar. Wird etwas hinzugefügt oder hinweggenommen, so ist die Stufe der Substanz eine andere, wie das auch bei den Zahlen der Fall ist. Deshalb muß gesagt werden, die Formen der Elemente im Gemischten bleiben wohl; aber nicht als substantiale Formen, sondern ihrer Kraft nach. Es bleibt nämlich die Vollendung, wie sie auch sein mag, welche die betreffende elementare Form dem Stoffe gegeben und somit die Eigenschaft, die sie demselben mitgeteilt hat. Und gerade dies ist die Vorbereitung des Stoffes für den Empfang der substantialen Form des gemischten, zusammengesetzten Körpers; ob nun diese substantiale Form zum Sein des Steines bestimmt oder mit dem Sein auch Leben, Empfinden, Vernunft giebt.
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