Dritter Artikel. Im Menschen ist als Wesensform nur die vernünftige 5eele.
a.) Im Menschen scheinen mehrere wesentlich verschiedene Seelen nebeneinander zu bestehen. Denn: I. Was vergänglich ist, gehört nicht derselben Substanz an, wie was unvergänglich. Die Nährseele aber und die sinnlich empfindende Seele sind Vergänglich; die vernünftige unvergänglich. Also kann von keiner einen Substanz die Rede sein. II. Sollte man meinen, die sinnliche Seele im Menschen sei unvergänglich; so steht dem gegenüber, daß dann nach dem sinnlichen Teile der Mensch nicht zu derselben Seinsart gehörte, wie die Tiere, deren Seele Vergänglich ist. Das aber ist unzuträglich; denn es verstößt gegen die Begriffsbestimmung des Menschen. III. Aristoteles sagt: „Der Embryo ist zuerst Tier, dann Mensch.“ (2. de gener. c. 3.) Das könnte aber nicht sein, wenn die sinnlich empfindende Seele dasselbe Wesen hätte wie die vernünftige. Denn „Tier“ oder rein sinnlich begabtes Wesen wird etwas auf Grund der sinnlichen Seele genannt; und „Mensch“ heißt jemand auf Grund der vernünftigen Seele. IV. Aristoteles (8 Metaph.) sagt, „die Seinsart werde vom Stoffe her genommen, der Wesensunterschied oder die Gattung aber von der Wesensform her.“ Nun wird beim Menschen der Wesensunterschied „vernünftig“ von der vernünftigen Seele her abgeleitet; die Seinsart „sinnbegabt“ von der sinnlichen Seele. Also steht die vernünftige Seele dem von der Sinnesseele belebten Leibe gegenüber wie die Wesensform dem Stoffe. Nicht also stimmt die Sinnesseele dem Wesen nach mit der vernünftigen Seele überein; sondern sie wird von der vernünftigen Seele vorausgesetzt, wie der Stoff von der Form, die Leinwand von Malerideal vorausgesetzt wird. Auf der anderen Seite sagt der lib. de eccl. dogm. c. 15.: „Wir bekennen nicht zwei Seelen in ein und demselben Menschen, wie Jakobus und andere Syrier meinen: eine Tierseele nämlich, welche den Leib beseelte und im Blute sei, und eine vernünftige Seele, welche geistig sei; sondern eine einzige Seele ist im Menschen, welche durch ihre Gegenwart den Körper belebt und sich selbst kraft der Vernunft bestimmt.“
b) Ich antworte, daß Plato verschiedene Seelen im einen Menschen annahm; eine Nährseele in der Leber, eine begierliche im Herzen, eine erkennende im Gehirne. Aristoteles weist diese Meinung zurück, soweit es jene Kräfte der Seele angeht, welche in ihren Thätigkeiten an körperliche Organe gebunden sind. Und er führt gegen dieselbe an, daß bei jenen Tieren, welche zerschnitten werden und trotzdem in einem jeden Teile fortfahren zu leben, in jedem dieser Teile auch alle die verschiedenen Thätigkeiten der Seele gefunden werden, wie Empfinden und Begehren. Das könnte offenbar nicht der Fall sein, wenn den verschiedenen Teilen wesentlich voneinander, verschiedene Principien bestimmter Thätigleiten zugeschrieben würden, so daß das Princip der einen Thätigkeit so in dem einen Teile wäre, daß es nicht im anderen sich fände. Über die vernünftige Seele scheint er jedoch nichts bestimmt zu haben; ob sie nur ihrer Natur nach oder ob sie auch im Orte getrennt sei von den übrigen Kräften. Nun könnte wohl die Meinung Platos aufrecht gehalten werden, wenn man annimmt, die Seele sei mit dem Körper bloß vereinigt als bewegendes Princip; denn darin ist nichts Unzuträgliches, daß das gleiche Bewegliche von verschiedenen bewegenden Kräften in Bewegung gesetzt wird, zumal wenn die verschiedenen Teile als Sitz dieser Kräfte berücksichtigt werden. Ist aber die Seele mit dem Körper vereint als dessen bildende und bestimmende Form, so ist es gar nicht möglich, daß mehrere wesentlich voneinander verschiedene Seelen in einem einzigen Leibe Bestand haben. Das kann in dreifacher Weise klar gemacht werden. 1. Das lebende Wesen hätte keine Einheit im Sein, wenn es durch mehrere Wesensformen gebildet und bethätigt würde. Denn eben wie es seine Wesensform hat, so hat es Sein. Es wäre dann eine zufällige Einheit, wie die des „weißen Menschen“; denn das Weiße kann vom Menschen ganz wohl getrennt werden, ohne daß derselbe deshalb aufhörte, Mensch zu sein. Wäre also der Mensch lebend vermittelst der Pflanzen- oder Nährseele; und empfindend vermittelst der sinnlichen Seele; und erkennend vermittelst der vernünftigen Seele, so wäre der Mensch kein einiges Wesen. So beweist auch Aristoteles gegen Plato (3 Metaph.), daß, wenn eine andere wäre die Idee des „Sinnbegabten“ und somit der Seinsgrund für den sinnlichen Teil des Menschen; und eine andere die Idee des Zweibeinigen und somit der Seinsgrund für das Wesen des Zweibeinigen, so wäre dies kein einiges Wesen, ein „sinnbegabtes zweibeiniges lebendiges Wesen“ zu sein. Und deshalb fragt er 1. de anima., was denn jene Seelen im Menschen zusammenhalte, daß daraus das eine Wesen „Mensch“ entstünde. Nicht der Körper kann da angerufen werden, als ob von ihm das Eine käme; denn die Seele hält vielmehr den Körper zusammen wie der Körper die Seele. 2. Dasselbe ergiebt sich aus der Art und Weise, auszusagen. Denn die Aussagen, welche von verschiedenen Formen her im selben Dinge genommen werden, gelten wechselseitig voneinander und zwar entweder so, daß diese Formen oder Eigenschaften keine Beziehung zu einander haben, wie wenn ich vom Zucker sage, das Weiße sei süß oder umgekehrt; in diesem Falle beruht die Aussage nicht auf dem Wesen selber, sondern kommt von äußeren Gründen, es liegt nicht im Wesen des Weißen, süß zu sein, sondern das kommt von dem für das Weiße äußeren Umstände, daß es Zucker ist. Oder die Aussagen gelten, falls sie von verschiedenen Formen kommen, so voneinander, daß die Formen oder Eigenschaften zu einander Beziehung haben, weil nämlich das Subjekt in der Begriffsbestimmung des Prädikats erscheint; wie wenn ich sage: die Oberfläche geht der Farbe vorher; oder: die Oberfläche des Körpers ist farbig. Denn zum Begriffe „farbig“ gehört es, daß die Oberfläche vorhergeht. Wird also der Mensch von der einen Form her als „sinnbegabt“ bezeichnet und von der anderen her als „Mensch“; so muß diese Aussage: „Der Mensch ist sinnbegabt,“ entweder eine rein zufällige, auf äußeren Umständen beruhende sein; und das ist falsch; denn „sinnbegabt“ wird vom inneren Wesen des Menschen ausgesagt; — oder die eine der Seelen geht der anderen vorher und ist wie der Stoff für die andere und dann wäre also das Subjekt „Mensch“ in der Begriffsbestimmung des „Sinnbegabten“ enthalten, wie die Oberfläche im „Farbigen“ eingeschlossen ist; und das ist wieder falsch; denn „Mensch“ ist nicht im Begriffe „sinnbegabt“ enthalten. Also kann es nur ein und dieselbe bildende Form sein, woher der Mensch es hat, daß er Mensch ist und woher er es hat, daß er „sinnbegabt“ ist; sonst wäre der Mensch nicht das, was mit „sinnbegabt“ bezeichnet wird, und so würde diese Aussage „sinnbegabt“ nicht dem Wesen „Mensch“ entsprechen, sondern auf äußerlichen Umständen beruhen. 3. Die eine Thätigkeit der Seele hindert, wenn sie sehr vorwiegend heftig ist, die andere; woraus erscheint, daß das Princip für alle Thätigkeiten des Menschen ein einiges ist. So also ist nur eine Seele der Zahl nach im Menschen, welche zugleich Nähr-, sinnliche und vernünftige Seele genannt werden muß. Wie dies aber geschehen kann, das wird derjenige leicht erkennen, der in etwa die Stufenfolge und die Unterscheidungen in den Wesen und Formen beobachtet. Denn die Gattungsformen der Dinge unterscheiden sich dadurch voneinander, daß die eine mehr, die andere minder vollkommen ist. So sind die Pflanzen vollkommener wie die leblosen Dinge; die Tiere wieder stehen über den Pflanzen; und darüber ragen in der Vollkommenheit ihrer Seinsstufe die Menschen hervor; in den einzelnen dieser verschiedenen Grade des Vollkommenen sind dann wieder Abstufungen. Deshalb vergleicht Aristoteles (8 Metaph.) die Gattungsformen der Dinge den Zahlen, die da, je nachdem eine Einheit hinzugefügt oder hinweggenommen wird, in der Gattung verschieden werden. Und in 2. de anima vergleicht er die verschiedenen Seelen den Figuren, von denen die eine in sich enthält die andere und noch dazu in etwas überragt; wie das Fünfeck in sich enthält das Viereck und darüber hinausgeht. So also enthält die vernünftige Seele in ihrer Kraft das, was der Tierseele an Vollkommenen innewohnt und was ebenso die Pflanzenseele an Vollkommenheit besitzt. Sowie demgemäß die Oberfläche, welche zu einem Fünfeck geformt ist, nicht durch eine Figur in ihr ein Viereck ist und durch eine andere ein Fünfeck, denn das Viereck wäre überflüssig, da es im Fünfeck enthalten ist, soweit es auf die Grenzen ankommt, die es der Oberfläche geben kann; so ist auch Sokrates nicht durch die eine Seele Mensch und durch die andere „sinnbegabt“, sondern all dies ist er durch ein und dieselbe.
c) I. Die sinnliche Seele ist für sich allein nicht unvergänglich; sondern die Seele des Menschen ist es deshalb, weil sie Vernünftigkeit hat. Ist also die Seele keiner anderen als sinnlicher Empfindungen fähig, so ist sie vergänglich. Hat sie mit dem sinnlichen Empfinden auch das geistige Erkennen, so ist sie unvergänglich. Denn dem Sinnlichen ist es wohl unmöglich, Unvergänglichkeit zu verleihen; jedoch kann es auch diese letztere vom geistig erkennenden Princip nicht entfernen. II. Das Zusammengesetzte ist in einer „Art“ und in einer Gattung; nicht aber die Formen für sich allein. Der Mensch nun ist vergänglich, wie alles Sinnbegabte. Der Unterschied also gemäß dem Vergänglichen und Unvergänglichen, der da von den Formen ausgeht, macht nicht, daß der Mensch in einer anderen „Art“ sei wie die Tiere. III. Der Embryo hat zuerst die nur sinnlich thätige Seele; ist die entfernt, so erhält er eine mehr vollkommene, die da zugleich sinnlich und geistig ist. IV. Man darf nicht die verschiedene Art der vernünftigen Auffassung der Dinge immer so auf diese übertragen, daß sie nun auch im Bereiche ihres subjektiven natürlichen Seins in derselben Weise Sein haben müßten. Das verbietet sich schon deshalb, weil ich ein und dasselbe Ding in verschiedenen Weisen erfassen kann. Denn weil die vernünftige Seele in ihrer Kraft alles in sich enthält, was die sinnliche an Vollkommenheit besitzt und noch etwas mehr; so kann die Vernunft getrennt für sich betrachten das, was zur Vollendung der sinnlichen Seele gehört, als etwas Unvollkommenes und noch weiter Bestimmbares. Und weil sie dieses Unvollkommene als etwas dem Menschen und den Tieren Gemeinsames findet, so formt sie sich daraus die Natur der „Art“. Worin aber die vernünftige Seele das Sinnbegabte überragt und vervollkommnet, das betrachtet sie als das bildende und vollendende Formale und nimmt daraus den Wesensunterschied des Menschen.
