Vierter Artikel. Gott bestimmt und bewegt den geschaffenen Willen.
a) Es scheint, daß Gott den freien Willen nicht bewegen könne. Denn: I. Was von außen her in Bewegung gesetzt wird, das leidet Zwang. Der freie Wille aber kann keinen Zwang leiden. Also kann er nicht von außen her bewegt werden und folgerichtig auch nicht von Gott. II. Freiwillig sich bewegen heißt von sich selbst aus sich bewegen. Von einem Anderen bewegt werden heißt nicht von sich selbst aus sich bewegen. Gott setzt den freien Willen in Bewegung heißt also ebensoviel als: Gott bewegt einen freien Willen, der nicht frei ist. III. Die Bewegung wird mehr dem Bewegenden zugeschrieben wie dem Beweglichen; z. B. der Mord eines Menschen wird nicht dem Steine zugeschrieben, der in seiner Bewegung den Menschen niederwirft, sondern jenem, der den Stein wirft. Bewegt also Gott den freien Willen, so folgt daraus, daß unsere Werke weder als Verdienst noch als Mißverdienst dem Menschen zugeschrieben werden können. Auf der anderen Seite heißt es Phil. 2, 13.: „Gott ist es, der in uns das Wollen wirkt und das Vollbringen.“
b) Ich antworte, daß, sowie die Vernunft bewegt wird vom Erkenntnisgegenstande und von dem, der die Kraft zu erkennen giebt, so auch der Wille vom Gegenstande, dem Guten oder dem Zwecke, und von dem, der die Willenskraft verursacht. Nun kann wohl der Wille wie vom Gegenstande aus von jedem beliebigen Gute bewegt werden; jedoch in wirksamer und hinreichender Weise von nichts Anderem wie von Gott. Denn hinreichenderweise kann keine Ursache ein Bewegliches in Bewegung setzen, wenn nicht die thätig wirksame Kraft des Bewegenden überragt oder wenigstens auf gleicher Stufe steht mit der zu bestimmenden Kraft des Beweglichen. Nun erstreckt sich die bestimmbare Kraft des Willensvermögens auf das Gute im allgemeinen; denn sein Gegenstand ist das Gute, wo immer es sich findet, wie der Gegenstand der Vernunft ist alles mögliche Wahre. Ein jedes geschaffene Gut jedoch ist ein beschränktes besonderes Gut; Gott allein ist die Fülle alles Guten, von dem Alles, was gut ist, kommt. Er allein also füllt den Willen wahrhaft an und bewegt ihn als Gegenstand in hinreichender, wirksamer Weise. Und ähnlich wird die Kraft zu wollen von Gott allein verursacht. Denn Wollen ist nichts Anderes als eine gewisse Hinneigung zum eigensten Gegenstande des Willens, nämlich zum Guten im allgemeinen. Hinneigen aber zum Guten im allgemeinen ist eigen dem Erstbewegenden, der den letzten Endzweck zur Richtschnur hat; wie in den menschlichen Dingen es dem zugehört, der einer Vielheit vorsteht, zum allgemeinen Besten dieser Vielheit die einzelnen zu lenken. Somit ist es nach beiden Seiten hin Gott eigen, den Willen zu bewegen; zumal aber in der letztgenannten Weise: dadurch nämlich, daß Er denselben innerlich, im Innern des Willens selbst, zum Guten hinneigt.
c) I. Was von einem Anderen bewegt wird, das leidet in dem Falle Zwang, wenn es gegen die eigene Neigung bewegt wird. Wird es aber von einem Anderen bewegt, der diese eigene Neigung ihm giebt, so leidet es keinen Zwang; wie der schwere Gegenstand, wenn er nach der Tiefe zu in Bewegung gesetzt wird, keinen Zwang leidet. Gott aber giebt dem Willen seine eigene Neigung; und deshalb bewegt Er ihn, ohne daß Er ihn zwingt. II. Von sich aus sich bewegen heißt das Princip für die Bewegung in seinem Innern haben. Dieses innere Princip aber kann verursacht sein im Willen von einem außerhalb des Willens stehenden Princip; und in dieser Weise von sich selbst aus sich bewegen widerstreitet nicht dem Bewegtwerden von einem Anderen her. III. Wenn der Wille so vom Anderen bewegt würde, daß er keineswegs von sich selbst aus sich bewegte, so würden seine Werke weder Verdienst noch Mißverdienst sein. Da er aber so von Gott bewegt wird, daß dies die Bewegung von sich, vom Willen selber aus, nicht ausschließt, so wird die Zurechnungsfähigkeit der betreffenden Werke nicht aufgehoben.
