Sechster Artikel Gott kann etwas thun, was außerhalb der Ordnung steht, die Er den Dingen zugleich mit ihrer Natur eingeprägt hat.
a) Dies scheint jedoch nicht. Denn: I. Augustin (26. Contra Faustum c. 3.) sagt: „Gott, der Gründer aller Natur, thut nichts gegen die Natur.“ I. Wie die Ordnung der Gerechtigkeit, so ist die der Natur von Gott. Gott aber kann nichts thun außerhalb der Ordnung der Gerechtigkeit. Er würde ja dann etwas Ungerechtes thun. Also kann Er auch nichts thun außerhalb der Ordnung der Natur. III. Gott hat die Naturordnung eingerichtet. Thut Er also etwas, was nicht gemäß derselben ist, so scheint Er veränderlich zu sein. Auf der anderen Seite sagt Augustin (l. c.): „Gott macht bisweilen etwas gegen den gewöhnlichen Lauf der Natur.“
b) Ich antworte, von jeglicher Ursächlichkeit fließe eine gewisse Ordnung in ihre Wirkungen, da jede Ursächlichkeit den Charakter eines Princips hat. Und deshalb vervielfältigen sich gemäß der Zahl der Ursachen auch die Ordnungen, von denen die eine enthalten ist in der anderen, je nachdem die eine Ursache enthalten ist in der anderen. Die höhere Ursache also ist nicht enthalten in der niedrigeren; sondern umgekehrt. So kommt vom Haus-Vater die Ordnung in der Familie; diese ist enthalten in der Ordnung der Stadtgemeinde; diese in der der Provinz und endlich des ganzen Staates. Wenn also die Ordnung der Dinge betrachtet wird, insoweit sie von der ersten höchsten Ursache abhängt, so kann Gott nichts gegen dieselbe thun. Er würde ja dann gegen sein eigenes Vorherwissen handeln, gegen seinen Willen, gegen seine Güte. Wird jedoch die Ordnung der Dinge erwogen, soweit sie von einer jeden der untergeordneten Ursachen abhängt, so kann Gott gegen eine solche handeln. Denn Er ist der Ordnung, sowie sie den untergeordneten Ursachen eingeprägt ist, nicht unterworfen. Vielmehr untersteht Ihm eine jede solcher Ordnungen; da sie von Ihm ausgeht nicht mit Naturnotwendigkeit, sondern auf Grund seines freien Willens. Er hätte nämlich eine andere Naturordnung einrichten können; und so kann Er auch thun, wenn Er will, was nicht in dieser in die Geschöpfe niedergelegten Naturordnung enthalten ist. Er kann z. B. die Wirkungen, die den untergeordneten Ursachen eigen sind, selber unmittelbar ohne diese letzteren vollbringen oder kann Manches hervorbringen, worauf sich die Kraft dieser Ursachen nicht erstreckt. Deshalb sagt Augustin (I. c.): „Gott macht Manches gegen den gewöhnlichen Lauf der Natur; aber gegen das höchste Naturgesetz handelt Er nicht, denn Er handelt nicht gegen Sich selber.“
c) I. Wenn auf die natürlichen Dinge einwirkt gegen ihre natürliche Neigung jener, der diese natürliche Neigung nicht gegeben, so ist dies gegen die Natur; wie z. B. wenn jemand einen Stein nach der Höhe hin bewegt, während dieser Stein es nicht von ihm hat, daß selbiger gemäß seiner Natur nach unten sich richtet. Geschieht dies aber von jenem, von dem die natürliche Thätigkeit abhängt, so ist es nicht gegen die Natur. So ist die Ebbe und Flut des Meeres nicht gegen die Natur des Meeres, obgleich sie gegen die natürliche Neigung des Wassers ist, der gemäß dasselbe herabfließt. Denn Ebbe und Flut kommt vom Einflüsse eines Himmelskörpers, von dem die natürliche Thätigkeit der niederen irdischen Körper abhängt. Da also die Naturordnung den Dingen von Gott eingeprägt ist, so ist, was Gott außerhalb derselben thut, nicht gegen die Natur. Deshalb sagt Augustin (l. c.): „Das ist jedem Dinge natürlich, was jener thut, von dem alles Maß, alle Zahl und alle Ordnung kommt.“ II. Die Ordnung der Gerechtigkeit schließt in ihrem Wesen die Beziehung zur ersten Ursache ein, welche die Richtschnur aller Gerechtigkeit ist. Gegen diese Ordnung kann also Gott nichts thun. III. Gott hat die Naturordnung den Dingen in der Weise eingeprägt, daß Er Sich das vorbehielt, was Er bisweilen anders als es in den Dingen liegt, machen würde.
