Nr. 8
Nähme sich irgend ein Verräther der Götter voll heftiger Wuth durch die Wildheit des gottlosen Herzens vor, euere Götter zu lästern: könnte er irgend etwas Heftigeres auszusagen wagen, als diese Erzählung darbietet, die ihr wie etwas Wunderbares in die Form einer Denkschrift zusammengezogen habt, und damit dieselbe weder die Gewalt der Zeit noch das Alterthum aufreibe, durch die Ehre ununterbrochener Fortdauer verherrlicht. Was nämlich ist in derselben von den Göttern nicht angeführt, zusammengeschrieben, das nicht, einem in Schamhaftigkeit und strengerer Zucht Erzogenen gesagt, der Beschimpfung und Entehrung schuldig macht und den verursachten Haß der Beleidigung in unversöhnlichem Groll erdulden läßt. Ihr sagt: aus den von Deukalion und Pyrrha geworfenen Steinen ist die große Mutter hervorgebracht worden. O Theologen! was sagt ihr? was ihr, der überirdischen Mächte Oberpriester? Also war vor der Fluth in der Natur der Dinge keine große Mutter? und wofern des Regens Uebermacht das ganze Geschlecht der Sterblichen vernichtete, so fehlte die Ursache und der Ursprung seiner Fortpflanzung? Ein menschliches Geschenk ist es folglich, daß sie ihr Daseyn fühlt und sie verdankt es der Pyrrha Gunst, daß sie sich als irgend ein wirkliches Wesen verehrt schaut. Insofern aber, ist dieß wahr, und es ist nothwendig nicht unwahr, war sie ein menschliches, kein göttliches Wesen: denn ist gewiß, daß Menschen aus jenem Steinwerfen den Ursprung ihrer Entstehung erhielten, so muß man annehmen, daß auch sie uns angehörte, durch der völlig ähnlichen Ursachen Gründe hervorgebracht: denn nicht kann vermöge der Dinge Widerspruch geschehen, daß aus einer Art Steine, auf dieselbe Weise geworfen, die einen das Loos der Unsterblichen, die anderen den S. 143 menschlichen Zustand erhielten. Jener in den vielfältigen Disziplinen und in des Alterthums Ausspürung auszeichnete römische Forscher Varro belehrt im ersten der vier Bücher, die er über das römische Volk abfaßte, nach sorgfältigen Berechnungen, von der Zeit jener oben erwähnten Fluth bis zum Konsulat des Hirtius und Pansa seyen zweitausend Jahre weniger zwei verflossen. Steht die Glaubwürdigkeit fest, so muß man sagen, die große Mutter habe innerhalb den Grenzen dieser Zahl ihr Lebensalter abgeschlossen; und dergestalt führt sich die Sache dahin, daß die, welche als die Gebärerin aller Gottheiten ausgegeben wird, nicht eine Mutter, sondern vielmehr eine Tochter sey; ja sogar ein Kind, wenn wir nämlich zugeben, den Göttern sey weder Anfang noch Ende bei immerwährender Folge der Zeit zugetheilt.
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