Fünfter Artikel. Gott ist die Wahrheit.
a) Dagegen spricht das oben Geltendgemachte. Denn: I. Es wurde eben bewiesen, daß die Wahrheit in der Vernunft sei, insofern diese zusammensetzt und trennt. Gott aber kommt es nicht zu, in dieser Weise zu erkennen. Also ist da keine Wahrheit; und noch weniger ist Er selbst die Wahrheit. II. „Wahrheit ist“ nach Augustin (de vera Relig. c. 36.) „die Ähnlichkeit mit dem Princip.“ Gott aber steht es nicht zu, irgend welchem Princip ähnlich zu sein. Also ist Er nicht die Wahrheit. III. Was über Gott ausgesagt wird, gilt von Ihm, weil Er die erste Ursache von allem ist; wie das Sein Gottes alles Sein, seine Güte alle Güte verursacht. Wenn also in Gott Wahrheit ist, so wird alles Wahre von Ihm verursacht sein. Es ist aber wahr, zu sagen, daß jemand sündigt. Das wird also von Gott sein; was offenbar falsch ist. Auf der anderen Seite heißt es bei Johannes (14, 6.): „Ich hin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
b) Ich antworte, daß die Wahrheit in der Vernunft sich vorfindet, insofern diese die Sache auffaßt, wie sie ist; und in der Sache ist sie, insofern diese der Vernunft gleichförmig sein kann. Dies aber ist im höchsten Grade bei Gott der Fall. Denn sein Sein, also die Sache, ist nicht nur fähig, gleichförmig zu sein mit dem thatsächlichen Erkennen, sondern ist durchaus ein und dasselbe mit dem Erkenntnisakte. Sein Erkennen ist die Ursache und das Maß für jedes andere Sein und für jedes andere Verstehen; sein eigenes Sein aber ist sein Erkennen. AIso ist in Ihm nicht bloß Wahrheit; sondern Er ist die höchste und erste Wahrheit.
a) I. In der göttlichen Vernunft findet sich allerdings kein Zusammensetzen und Trennen, wie in der unsrigen. Gott aberurteilt über alles aus Prädikat und Subjekt Zusammengesetzte und kennt alles, dies gemäß seines einfachen Erkenntnisaktes und in dieser Weise ist in Ihm Wahrheit. II. Die Wahrheit in unserem Verstände besteht darin, daß selbiger gleichförmig ist seinem Princip, nämlich den Dingen, von welchen die Kenntnis in ihm verursacht wird. Die Wahrheit der Dinge besteht, darin, daß sie ihrem Princip entsprechen, nämlich der göttlichen Vernunft. Dies aher kann im eigentlichen Sinne nicht gelten von der göttlichen Wahrheit; außer etwa gemäß dem, daß die Wahrheit als Eigenschaft dem „Sohne“ zugeschrieben wird, der im „Vater“ sein Princip hat. Wenn wir aber, von der Wahrheit sprechen als dem Wesen Gottes zugehörig, kann der Ausdruck Augustins nur so auf sie angewandt werden, daß die im Satze ausgesprochene Beziehung in eine entsprechende und dasselbe besagende Verneinung aufgelöst wird; wie etwa: Der Vater ist von Sich selber, weil Er nicht von einem andern ist, also nicht in einem anderen sein Princip hat. Ähnlich kann die göttliche Wahrheit eine Ähnlichkeit mit dem Princip genannt werden, insoweit das göttliche Erkennen nicht im mindesten unähnlich ist dem göttlichen Sein. III. Mangel und Nichtsein haben nicht aus sich selber Wahrheit, sondern nur in der Auffassung der Vernunft. Jede Auffassung der Vernunft aber ist von Gott. Was auch immer also an Wahrheit darin ist, wenn ich sage: „Jener begeht eine Sünde der Unreinheit;“ das alles ist von Gott. Wenn aber nun daraus geschlossen wird: „Also die Sünde der Unreinheit von Gott,“ so ist einfach eine falsche Schlußfolge vorhanden.
