Siebenter Artikel. Die geschaffene Wahrheit ist nicht ewig.
a) Dagegen scheint Augustin zu sein, der da sagt: I. „Nichts ist mit mehr Recht ewig, wie das Wesen des Kreises oder die Wahrheit: 2+3=5” (2. de lib. arb. cap. 8.) Das sind aber geschaffene Wahrheiten. Also geschaffene Wahrheiten sind ewig. II. Alles, was immer ist, ist ewig. Die allgemeinen Begriffe aber sind überall und immer dieselben; wie z. B. der Begriff „Mensch“; der Satz: „Der Teil ist kleiner als sein Ganzes“ etc. Also sind sie ewig. So ist auch der Begriff „wahr“ ewig, der am allgemeinsten Geltung hat. III. Was gegenwärtig in diesem Augenblicke wahr ist, das war immer in der Weise wahr, daß es einmal in der Zukunft sein würde, Wie aher die Wahrheit, wie sie jetzt im Augenblicke besteht. (z.B. Petrus sitzt), eine geschaffene ist; so auch die Wahrheit, welche von einem Satz für die Zukunft gilt. Also manche Wahrheiten sind ewig. IV. Alles, was des Anfanges und Endes entbehrt, ist ewig. Die Wahrheit aber aller Sätze im allgemeinen entbehrt des Anfanges und des Endes. Denn sollte die Wahrheit einen Anfang genommen haben, da sie vorher nicht gewesen wäre, so war es doch wahr, daß diese einzelne Wahrheit nicht bestand; und das war jedenfalls kraft irgend welcher Wahrheit wahr; — und so bestand eine Wahrheit, ehe sie begann. Und ähnlich wenn angenommen wird, die Wahrheit wird ein Ende hahen. Denn diesfalls wird es wahr sein, daß die betreffende Wahrheit nicht bestehe. Also ist die Wahrheit an sich, ob ungeschaffen oder geschaffen, ewig. Auf der anderen Seite ist Gott allein ewig.(Kapitel 10, Artikel 3.)
b) Ich antworte, daß die Wahrheit in den betreffendeh Sätzen keine andere Wahrheit ist als die der Vernunft. Ein solcher Satz ist nämlich in der Vernunft und ist in der gesprochenen Aussage. Gemäß dem nun, daß derselbe in der Vemunft ist, hat er an und für sich und ohne weitere Voraussetzung Wahrheit. Gemäß dem aber, daß er in den Worten ausgesprochen wird, heißt er ein „wahrer Satz“ weil er das Zeichen für eine Wahrheit der Vernunft ist und nicht wegen einer Wahrheit, welche etwa in der materiellen Unterlage, dem Hauche der Worte, wie in einem Subjekte als dem unabhängigen Träger wäre; wie z. B. der Urin gesund genannt wird, nicht wegen der Gesundheit, welche in ihm ist, sondern wegen der Gesundheit des tierischen Körpers, die er anzeigt So ist nun schon bereits gesagt worden, daß die Dinge wahr genannt würden, gemäß der Wahrheit, die der Vernunft, innewohnt. Wenn also keine Vernunft ewig wäre, so würde keine Wahrheit ewig sein. Weil aber nur die göttliche Vernunft ewig ist, so hat auch nur in ihr die Wahrheit ewige Dauer. Und daraus folgt nicht, daß etwas Anderes ewig sei wie Gott, denn die Wahrheit der göttlichen Vemunft ist ja Gott selbst. (Art. 5.) I. Das Wesen des Kreises und „2 + 3 = 5“ haben ihre Ewigkeit in der göttlichen Vemunft. II. Daß etwas überall sei und immer, kann in doppelter Weise verstanden werden: Einmal so, daß etwas aus sich selber ganz unabhängig dies an sich hat, sich auf alle Zeit und allen Ort zu erstrecken; und so kommt dies Gott zu, immer und überall zu sein. Dann so, daß etwas in sich selber nichts hat, wodurch es auf eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort hingelenkt würde; also der Mangel an, Bestimmtheit, wonach es von sich aus an jedem Orte sein kann und zu jeder angenommenen Zeit, macht da das „überall“, und „immer“. So wird dem Urstoff z. B. die Einheit zugeschrieben; jedoch nicht deshalb, weil er von sich aus nur eine einzige Wesensform hätte, wie der Mensch z. B. einer ist wegen der Einheit seiner Form; sondern weil der Urstoff in sich gar keine Form hat, wodurch sich die einen Seinsarten von den anderen unterscheiden würden. Und so wird von diesen allgemeinen Begriffen das „überall und imme“ ausgesagt, insweit sie absehen von aller Bestimmtheit in Zeit und Ort. Daraus aber folgt nicht, daß sie ewig seien, außer in der Vernunft und soweit diese ewig ist. III. Was jetzt im Äugenblicke besteht, war deshalb zukünftig, ehe es bestand, weil es in seiner Ursache bestimmt war, daß es sein werde. Wird diese Ursache fortgenommen, so war sein Dasein nicht zukünftig. Die erste Ursache aber allein ist ewig. AIso nur insoweit das Zukünftige in der ewigen Ursache bestimmt war, daß es Dasein haben werde, war es zukünftig. Und diese Ursache ist Gott allein. : IV. Unsere Vernunft ist nicht ewig, und deshalb ist auch die Wahrheit der Sätze, die wir bilden, nicht ewig; sondern sie fing an. Und ehe eine solche Wahrheit bestand, war es nicht wahr zu sagen, es bestehe eine demgemäße Wahtheit, außer in der ewigen Vernunft. Erst jetzt vielmehr mit dem Augenblicke, daß der Satz geformt wird, ist es mit Rücksicht auf unsere Vernunft wahr, daß diese Wahrheit früher nicht bestand. Und diese Wahrheit, daß es erst jetzt wahr ist zu sagen, es sei vorher nicht wahr gewesen, hat keine Stütze und keinen Grund etwa in der Sache selbst, sondern nur in unserer Vernunft. Denn diese Wahrheit bezieht sich auf das Nichtsein. Das Nichtsein aber hat es nicht aus sich, daß es wahr ist, sondern nur aus der Vernunft, die da wahrnimmt, daß etwas nicht sei. Also insoweit ist es wahr zu sagen, eine Wahrheit habe nicht bestanden, als wir auffassen, daß das Nichtsein dem Sein vorangegangen ist.
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