Erster Artikel. Schaffen heißt etwas aus Nichts inachen.
a) Das scheint falsch. Denn: I. sagt Augustinus wider den Gegner des Gesetzes und der Propheten(Iib. I. cap. 23.): „Etwas machen das heißt, etwas herstellen, was vorherin keiner Weise war; schaffen aber heißt aus dem, was bereits war, etwasBesseres herstellen.“ II. Der Wert der Thätigkeit wird aus ihrem Gegenstande ermessen.Wertvoller also ist eine Thätigkeit, die aus dem Guten etwas Besseres machtund aus dem Sein ein höheres Sein, als jene, welche zum Gegenstande dasNichts hat, um daraus etwas zu machen. Das Schaffen aber soll doch diehöchste und wertvollste Thätigkeit sein. Also macht sie nicht aus dem Nichtsetwas, sondern vielmehr aus einem vorliegenden Sein. III. Dieses Wörtchen „aus“ schließt die Beziehung zu einer Ursache ein und insbesondere die zur Materialursache; sagen wir doch: „aus Erz etwas machen.“ Das Nichts aber kann nicht gleich dem Stoffe sein, aus dem etwas wird; es kann nicht irgendwie die Ursache des Seins bilden. Also „Schaffen“ heißt nicht, etwas aus Nichts machen. Auf der anderen Seite sagt die Glosse zu Gen.: Im Anfange schuf: „Schaffen ist etwas aus Nichts machen.“
b) Ich antworte, man müsse nicht nur berücksichtigen, wie bereits oben angedeutet worden, daß ein besonderes beschränktes Ding von einer beschränkten wirkenden Ursache hervorgehe; sondern vielmehr das Hervorgehen des Seins insgesamt als eines Ganzen von der allgemeinen unbeschränkt wirkenden Ursache, die da Gott ist; und dieses Hervorgehen bezeichnen wir als „Geschaffen werden“. Was nun von einer besonderen wirkenden Ursache hervorgeht, das war nicht vor diesem Hervorgehen; wie der Mensch nicht ist, bevor er erzeugt ist. Vielmehr wird der einzelne Mensch aus dem, was nicht Mensch war; und das Weiße wird aus dem, was nicht weiß war. Wird also das Hervorgehen des Seins überhaupt als eines Ganzen von der ersten Ursache her erwogen, so war vorher Nicht-Sein überhaupt; wie vor dem Weißsein das Nichtsein des Weißen war. Nicht-Sein überhaupt aber ist dasselbe wie Nichts. Also die Erschaffung des Seins als solchen ist aus dem Nichts; gleichwie die Zeugung eines Menschen aus einem Sein heraus geschieht, was Nicht-Mensch ist.
c) I. Augustin gebraucht hier das Wort „Schaffen“ nicht im eigentlichen Sinne; sondern um anzuzeigen, daß ein Sein zu einem besseren wird; wie man etwa sagt: Es wird ein Kunstwerk „geschaffen“; oder es wird jemand zum Bischof „geschaffen“. II. Veränderungen erhalten ihren Wert nicht von da her, wovon sie ausgehen, vom tereminus a quo; sondern von da her, wohin sie zielen, vom terminus ad quem. Um so vollendeter und wertvoller also ist eine Veränderung, je höher das steht, wohin sie führt; mag auch das, wovon sie ausgeht, sehr unvollkommen sein. So ist z. B. die Zeugung, welche zu einer Wesensform führt, eine vollendetere Änderung und steht höher im Werte wie das bloße Anderswerden einer mehr oder minder zufälligen, von außen hinzutretenden Eigenschaft, des Schwarzen z. B. ins Weiße, des Thörichten ins Weise; denn eine Wesensform steht im Sein weit höher wie eine solche mehr zufällige Eigenschaft, ohne welche das zu Grunde liegende Wesen oft ebensogut sein könnte. Trotzdem deutet der Mangel an einer Wesensform, von dem die Zeugung ausgeht, auf eine größere Unvollkommenheit hin, wie der Mangel einer bloß zufälligen Form oder Eigenschaft. Ähnlich ist die Schaffung vollendeter wie die Zeugung und das Anderswerden: denn das, wohin sie führt, ist die ganze Substanz des Dinges; während doch die Zeugung nur zur bestimmenden Wesensform führt und das bestimmbare Vermögen den Stoff als vorhanden voraussetzt; — und wovon das Schaffen ausgeht, ist folgegemäß das unbeschränkte Nichtsein, das Nichts. III. Das „aus“ bezeichnet hier nur die Aufeinanderfolge und keinerlei Materialursache; wie wenn man sagt: „Aus dem Morgen wird Mittag,“ d. h. nach dem Morgen. Dabei muß noch erwogen werden, wie dieses „aus“ die Negation in sich einschließen kann, oder wie von der Negation es eingeschlossen werden kann. Im ersten Falle wird die Aufeinanderfolge ausgedrückt: Nach dem Nichts ist das Sein. Im zweiten Falle jedoch schließt die Negation ein das „aus“; und dann ist der Sinn. „Nicht aus etwas wird das Sein geschaffen.“ Beides ist wahr. Das „aus“ besagt dann im ersten Falle die Ordnung, daß Sein nach dem Nichtsein kommt; im zweiten Falle, daß keinerlei Materialursache beim Schaffen vorliegt.
