Erster Artikel. Die Vernunft des Engels ist rücksichtlich des Natürlichen niemals im Zustande des Vermögens, sondern immer thatsächlich erkennend.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Bewegung ist Thätigkeit dessen, was etwas werden will, also dessen, was im Zustande des Vermögens ist, sagt Aristoteles. (3 Phys.) Die Engel sind aber ihrer Vernunft nach in Bewegung, (Dionys. 4. de div. nom.) II. Das Verlangen geht auf eine Sache, die man nicht hat, wohl aber haben kann. Die Engel aber „verlangen, in das Antlitz Gottes zu schauen“. (I. Petr. 1, 12.) Also sind sie dazu nur im Vermögen. III. Der lib. de causis sagt (8.): „Die reine Vernunftkraft versteht nach der Seinsweise ihrer Substanz.“ Die Seinsweise der Engelsubstanz aber schließt in sich Vermögen ein. Also sind sie der Vernunft nach im Zustande des Vermögens und erkennen nicht immer thatsächlich. Auf der anderen Seite sagt Augustin (3. sup. Gen. ad litt. 8.): „Seit die Engel geschaffen sind, genießen sie in der Ewigkeit des göttlichen Wortes selber der heiligen und frommen Anschauung.“ Eine anschauende Vernunft aber erkennt nicht dem Vermögen nach, sondern thatsächlich.
b) Ich antworte, daß nach Aristoteles (III. de anima) die Vernunft in doppelter Weise als nur vermögend bezeichnet werden kann: einmal so, daß sie die Wissenschaft erst erlernen muß; dann so, daß sie nicht immer genau dasselbe thatsächlich betrachtet. In der erstgenannten Weise sind die Engel rücksichtlich ihrer natürlichen Erkenntnisgegenstände nie im Vermögen zu erkennen. Ihre Vernunft hat von Natur immer in ausreichendster Weise die nämlichen Erkenntnisformen; gleichwie auch die Himmelskörper kein Vermögen in sich haben, was nicht bereits thatsächlich das sei, was es werden könnte. Mit Rücksicht aber auf das, was ihnen von Gott geoffenbart wird, ist die Vernunft des Engels nach dieser Weise im Zustande des Vermögens; wie auch Himmelskörper bisweilen im Vermögen sind, von der Sonne her erleuchtet zu werden. In der zweitgenannten Weise aber ist die Vernunft des Engels im Zustande des Vermögens rücksichtlich dessen, was sie kraft ihrer Natur erkennt. Denn nicht alle Erkenntnisformen, welche in ihr sind, gebraucht sie immer zugleich; und sie erkennt nicht vermittelst ihrer insgesamt thatsächlich, sondern sie betrachtet thatsächlich bald gemäß der einen, bald nach der anderen. Soweit es aber auf das ankommt, was sie im Worte schaut, ist die Engelvernunft niemals im Zustande des Vermögens, stets sieht sie thatsächlich das Wort und das, was sie im Worte schaut. Denn darin besteht ihre Seligkeit. Die Seligkeit aber ist kein Vermögen zu erkennen, sondern (1 Ethic. c. 8.) thatsächliches Erkennen.
c) I. Bewegung wird da als Thätigkeit des Unvollendeten, was erst etwas werden kann, genommen. Wird sie aber als Thätigkeit des Vollendeten betrachtet, so gehört sie einem Sein an, was thatsächlich besteht. Und in der letzten Art wird Erkennen und Empfinden als Bewegung bezeichnet. II. Das Verlangen in den Engeln schließt nicht den Besitz der verlangten Sache aus, sondern den Ekel daran. Und sodann können sie auch neue Offenbarungen erhalten. III. In der Substanz des Engels ist nichts vorhanden, als ob es bloßes Vermögen wäre, etwas zu werden. Und so ist in der Vernunft des Engels nichts vorhanden als ob es bloßes Vermögen wäre, um zu erkennen.
