Zweiter Artikel. Die Ideen sind die bethätigenden Formen innerhalb der Vernunft, vermittelst deren erkannt wird; sie sind nicht Erkenntnisgegenstand.
») Die Ideen scheinen Erkenntnisgegenstand zu sein. Denn: I. Das was thatsächlich verstanden wird ist im Erkennenden; die Vernunft nämlich, soweit sie thatsächlich erkennt, ist das thatsächlich Erkannte. Von dem verstandenen Gegenstande aber ist nichts in der thatsächlich erkennenden Vernunft, als die von den Einzelheiten losgelöste Form, d. h. als die Idee. Also ist die Idee das thatsächlich Erkannte. II. Das thatsächlich Verstandene muß in etwas sein; sonst wäre es eben nichts. Es ist aber nicht in dem Dinge, welches außerhalb der Seele sich findet; denn da dieses stofflich ist, so ist es als solches nicht thatsächlich erkannt, sondern bedarf der Thätigkeit der „einwirkenden“ Vernunft, um ein thatsächlich erkennbares zu sein. Also ist das thatsächlich Verstandene in der Vernunft und kann so nichts Anderes sein wie die Idee. III. Aristoteles sagt (l. Perih. cap. l.): „Die Worte sind bekanntmachende Kennzeichen der Eindrücke in der Seele.“ Die Worte aber bezeichnen die erkannten Dinge; denn was wir vernünftig auffassen, das drücken wir mit Worten aus. Also die Eindrücke in der Seele selber, d. h. die Ideen sind die erkannten Gegenstände. Auf der anderen Seite verhält sich die Erkenntnisform zur Vernunft wie das Lichtbild zum Auge. Nicht aber das Lichtbild, welches in unserem Auge ist, sehen wir, sondern wir sehen vermittelst desselben die einzelne Farbe. Also ist das Nämliche mit der Idee der Fall.
b) Ich antworte; es war die Meinung einiger, daß die Erkenntniskräfte in uns nichts erkennen wie die eigenen Eindrücke; daß z. B. der Sinn nichts Anderes empfindet als den Eindruck in das entsprechende Sinnesorgan. Und danach soll auch die Vernunft nichts erkennen als die Idee, welche ihr eingeprägt worden. Das ist aber durchaus falsch aus zwei Gründen. Denn 1. sind es die Erkenntnisgegenstände gerade, welche zugleich Gegenstände der Wissenschaft sind. Wären also die Ideen oder Erkenntnisformen die von der Vernunft erkannten Gegenstände, so würden die Wissenschaften einzig und allein unsere Ideen behandeln und nicht im mindesten die Gegenstände, soweit sie außerhalb der Seele sind; wie dies die Platoniker annahmen, welche die Idee als den Gegenstand der Kenntnis bezeichneten, über die Bewegung und über alle und jede Änderung also gäbe es keine Wissenschaft. Sodann würde 2. der Irrtum der Alten erneuert werden, die da meinten, Alles, was so erscheine, sei wahr; Ja und Nein sei betreffs ganz desselben Gegenstandes zugleich wahr, je nach dem es dem einen so schiene, dem anderen so. Denn erkennt ein Vermögen nichts als den in ihm selbst gemachten Eindruck, so urteilt es auch demgemäß. Das Vermögen aber erkennt etwas, je nach dem es von dem betreffenden Gegenstande beeinflußt wird. Das Urteil wird also immer darüber sein, was das erkennende Vermögen beurteilt, nämlich über den in ihm bestehenden Eindruck; und so wird alles Urteil wahr sein. So wird z. B. jener, welcher ein gesundes Geschmacksorgan hat, wahr urteilen, wenn er sagt: Der Honig ist süß; — und jener andere, welcher ein krankhaftes Geschmacksorgan hat, wird auch wahr urteilen, wenn er gemäß dem in dieses Organ gemachten Eindrucke sagt: Der Honig ist bitter. Und so wird alle Meinung die Wahrheit für sich haben. Deshalb muß man sagen, es werde erkannt vermittelst der Idee. Das erhellt auf folgende Weise. Da es nämlich eine doppelte Art Thätigkeit giebt, eine, welche im Thätigseienden bleibt, wie Sehen, Erkennen; und eine andere, welche zum Abschlußpunkte etwas außen Stehendes hat, wie Erwärmen, Schneiden; — so vollzieht sich eine jede gemäß einer maßgebenden Form. Und wie die Form, der gemäß die letztgenannte Art Thätigkeit sich vollzieht, die Ähnlichkeit ist mit dem Gegenstande der Thätigkeit, denn die Wärme des Wärmenden ist die Ähnlichkeit mit dem Warmgewordenen; so ist die Form, der gemäß die innerliche Thätigkeit sich vollzieht, die Ähnlichkeit des Gegenstandes. Die Ähnlichkeit also mit dem gesehenen Gegenstande ist die Form, der gemäß das Auge sieht; und ebenso ist die Form, der gemäß die Vernunft erkennt, die Ähnlichkeit mit der erkannten Sache. Diese Form aber gerade ist die Idee. Da jedoch zudem die Vernunft zu sich selbst zurückkehrt, so kann sie sowohl ihr Erkennen erfassen als auch die Erkenntnisform, vermöge deren sie erkennt. Und in der Weise ist die so Verstandene Idee an zweiter Stelle das, was erkannt wird. Was aber an erster Stelle erkannt wird, ist der Gegenstand, dessen Ähnlichkeit die Idee in sich trägt. Dasselbe ergiebt sich schließlich auch aus der Meinung der Alten, die den Grundsatz hatten, daß Ähnliches durch Ähnliches erkannt werbe. Denn sie nahmen an, die Seele erkenne die Erde außen vermittelst der Erde in ihr und so betreffs aller anderen Gegenstände. Wenn wir also nach Aristoteles anstatt „Erde“ sagen, die Ähnlichkeit, das Bild, die Idee der Erde sei in der Vernunft, so folgt, daß wir durch diese Ähnlichkeiten, also durch die Ideen, die Dinge erkennen, welche außerhalb der Seele sind.
c) I. Das Verstandene ist im Verstehenden kraft seiner Ähnlichkeit oder seines Bildes. In der Weise also ist das thatsächlich Verstandene die Vernunft als thatsächlich verstehende, insofern die Ähnlichkeit des verstandenen Gegenstandes die bildende Form in der Vernunft ist. Nicht ist somit die Idee, welche von den Einzelheiten losgelöst ist, das, was verstanden wird, sondern sie ist die Ähnlichkeit dessen, was verstanden wird. II. Wenn gesagt wird: „das thatsächlich Verstandene;“ so schließt dies zwei Momente in sich ein: 1. den Gegenstand, der verstanden wird; und 2. das Verstandenwerden selber. Und ähnlicherweise wenn gesagt wird: „Das losgelöste Allgemeine;“ — so wird darunter 1. die Natur des Dinges selbst verstanden, die losgelöst wurde; und 2. das Loslösen oder der Charakter der Allgemeinheit. Die Natur nun selber, bei der es sich trifft, daß sie verstanden oder losgelöst wird oder welcher der Charakter der Allgemeinheit zukommt, besteht dem wirklichen Sein nach nur als einzelne, als besondere. Das aber, was man nennt: „Verstanden werden“ oder „losgelöst werden“ oder der Bestand des Allgemeinen als solchen ist innerhalb der Vernunft. Das können wir uns am Sinne bereits klar machen. Denn das Gesicht sieht die Farbe des Apfels ohne dessen Geruch. Wenn also gefragt wird, wo die Farbe sei, welche gesehen wird, ohne daß der Geruch gesehen wird, so ist sie offenbar nirgend anders wie im Apfel. Aber daß der Farbe es begegnet, ohne ihren Geruch aufgefaßt zu werden, das begegnet ihr von seiten des Gesichts her, insofern da die Ähnlichkeit der Farbe ist und nicht die des Geruches. So nun ist auch das Menschsein, was von der Vernunft aufgefaßt wird, nirgend anders wie in diesem oder jenem wirklichen Menschen. Daß aber das Menschsein aufgefaßt ist ohne die stofflichen Einzelbedingungen, daß es also von letzteren losgelöst erscheint und so ihm der Charakter des Allgemeinen folgt, das begegnet dem Menschsein von seiten der Vernunft her, in welcher die Ähnlichkeit der Gattungsnatur ist und nicht die der Principien für das Einzelsein. III. Im sinnlichen Teile findet sich eine doppelte Thätigkeit: 1. gemäß dem den Sinn behufs seiner Thätigkeit verändernden Einflüsse von außen; und so vollzieht sich die Thätigkeit, welche unmittelbar auf das sinnlich Wahrnehmbare sich richtet; — 2. insofern sich die Einbildungskraft das Abbild eines abwesenden Gegenstandes oder eines nie gesehenen macht. Und beide Thätigkeiten finden sich in der Vernunft. Denn 1. wird die „mögliche“Vernunft geformt von der Idee; — und 2. kraft dieser Formung bildet sich die Vernunft durch Zusammensetzen oder Trennen den entsprechenden Begriff, welcher im Worte ausgedrückt wird. Was also der einfache Name oder das Wort als etwas Verstandenes bezeichnet, das ist der Begriff selber; der Satz aber drückt aus das Zusammensetzen oder Trennen, wodurch der Begriff gewonnen worden. Die Worte drücken somit nicht die Ideen oder Erkenntnisformen selber aus, sondern das, was die Vernunft sich formt, damit sie über die äußeren Dinge urteile.
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