Erster Artikel. Es giebt Schutzengel für die Menschen.
a) Das Gegenteil geht aus Folgendem hervor: I. Schützer werden jemandem mitgegeben, weil er unwissend ist oder sich nicht selber beschützen kann, wie Kinder und Kranke. Der Mensch aber kennt kraft seiner natürlichen Vernunft das Gesetz Gottes und kann sich kraft seines freien Willens selbst beschützen. Also bedarf er keiner Schutzengel. II. Die Menschen haben einen stärkeren Schutz, nämlich den Gottes nach Ps. 120.: „Er wird nicht einschläfern und nicht schlafen, der da Israel behütet.“ III. Das Verderben des Schützlings wird der Nachlässigkeit des Schützers zugeschrieben nach 3. Kön. 20, 39.: „Behüte diesen Mann; fällt er, so ist deine Seele für die seinige.“ Viele Menschen aber gehen täglich zu Grunde, welche der Schutzengel retten könnte; entweder dadurch, daß er ihnen sichtbar erschiene oder Wunder thäte u. dgl. Die Schutzengel wären also durch ihre Nachlässigkeit schuld am Verderben dieser Seelen; was jedenfalls falsch ist. Auf der anderen Seite heißt es Ps. 90.: „Seinen Engeln hat Er den Auftrag gegeben, daß sie dich schützen auf allen deinen Wegen.“
b) Ich antworte, gemäß der Natur der göttlichen Vorsehung werde in allen Dingen dies gefunden, daß das Bewegliche und Wechselvolle geregelt und bestimmt wird durch das Unbewegliche und Unveränderliche. So wird alles Körperliche gelenkt durch geistige unbewegliche Substanzen und der Wechsel hier unten in den niederen Körpern wird nach festen Gesetzen geregelt durch die höheren Körper, die in ihrer Natur und Substanz unwandelbar sind. Wir auch selbst werden in unseren Schlußfolgerungen, die da verschiedene mannigfache, wechselnde Meinungen zulassen, geregelt durch feststehende Principien, an denen wir unwandelbar festhalten. Nun ist es aber offenbar. daß in den Dingen, die uns zu thun obliegen, die Kenntnis und die Neigung des Menschen vielfach wechseln und vom Guten sich entfernen kann. Also war es nach der allgemeinen Regel notwendig, daß uns Engel zum Schutze gegeben würden, durch welche wir geregelt und unwandelbar zum Guten hin bewegt würden.
c) I. Vermittelst des freien Willens kann der Mensch in etwa das Übel vermeiden, jedoch nicht genügend; denn er ist geschwächt durch vielfache sinnliche Leidenschaften. Auch die Kenntnis des Naturgesetzes im allgemeinen, wie sie kraft der natürlichen Vernunft der Mensch hat, leitet in etwa zum Guten, aber nicht genügend; denn in der Anwendung der allgemeinen Rechtsprincipien auf die einzelnen Fälle fehlt der Mensch vielfach. Deshalb sagt Sap. 9, 14.: „Die Gedanken der Menschen sind voll Furcht und unsere Voraussichten unsicher.“ Es bedarf also der Mensch des Schutzes der Engel. II. Um das Gute zu thun, ist zweierlei notwendig: 1. daß die Willensneigung zum Guten hingewendet werde; und das geschieht durch die moralischen Tugenden in uns; — 2. daß die Vernunft angemessene Mittel und Wege finde, um das Gute der Tugend zu vollbringen, was Aristoteles der Klugheit zuschreibt. Für das Erste ist der Mensch unter dem unmittelbaren Schutze Gottes, der ihm Gnade und Tugenden einflößt. Mit Rücksicht auf das Zweite behütet Gott den Menschen wie ein Alles umfassender Lehrer, der seine Lehre dem Menschen zukommen läßt durch die Engel. III. Wie die Menschen wegen der Sünde vom Guten abfallen, wozu die Natur selber drängt; so entfernen sie sich auch von der Einsprechung der heiligen Engel, kraft deren diese unsichtbarerweise den Menschen erleuchten, damit er gut handle. Daß also die Menschen zu Grunde gehen, das muß der Bosheit der Menschen zugeschrieben werden und nicht der Nachlässigkeit der Engel. Daß aber die Engel manchmal sichtbarerweise den Menschen erscheinen; ist gleich den Wundern außerhalb des gewöhnlichen Verlaufes der Natur.
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