Achter Artikel. Die heilige Wissenschaft geht beweisend vor.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein, daß nämlich Beweise in der heiligen Schrift keine Stätte finden. Dies behauptet ausdrücklich Ambrosius, der da sagt: „Verzichte auf Beweise, wo Glauben erfordert wird.“ In der heiligen Wissenschaft aber wird vor allem Glauben erfordert, weshalb es bei Johannes (20, 31.) heißt: „Das ist geschrieben, damit ihr glaubt.“ Aber auch angenommen, die Theologie gehe beweisend vor, so ruht ihre Beweiskraft entweder in der angerufenen Autorität oder in der Vernunft. Das erstere paßt jedenfalls nicht zu ihrem Adel; denn, wie Boëtius sagt, sind Beweise, welche allein auf Autorität, also auf den Ausspruch irgend eines anderen sich berufen, die wenigst werthnollen (com. super Topica Cic. lib. 6.), locus ab auctoritate est infirmissimus. Soll aber die Beweiskraft der Theologie sich auch auf die Vernunft stützen, so scheint das gegen ihren Zweck zu verstoßen. Denn „der Glaube hat da kein Verdienst, wo die menschliche Vernunft den Beweis führt“, wie Gregor der Große sagt (hom. 26. in Eu.). So würde man also schließen müssen, daß die heilige Wissenschaft auf wirkliche Beweise verzichtet. Auf der anderen Seite aber sagt der Apostel (ad Tit. l. 19.) vom Bischofe, „er solle danach streben, mit größter Treue auszudrücken, was die wahre Lehre in sich enthält, damit er so geeignet sei, zu ermahnen auf Grund gesunder Lehre und die, welche entgegen sind, mit Beweisen zu widerlegen.“
b) Ich antworte, daß keine Wissenschaft Beweise hat, um ihre Principien, von denen sie nämlich ausgeht, und auf die allein sie sich stützt, als wahre darzuthun; jede vielmehr beweist in ihrem Bereiche aus ihren Principien heraus andere Punkte. So auch will die Theologie keineswegs ihre Principien, also die Glaubensartikel, durch Beweise als wahre darthun; sondern sie geht umgekehrt von ihnen aus, um etwas anderes zu beweisen. So z. B. beweist der Apostel (I. Kor. 15.) aus der Auferstehung des Herrn Jesus Christus die allgemeine Auferstehung des Fleisches. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die untergeordneten philosophischen Wissenschaften weder ihre Principien beweisen noch gegen denjenigen, der sie leugnet, disputieren, sondern dies der höheren überlassen, welche diese Principien beweist; wie z. B. die Arithmetik dies thut gegenüber den Principien der Musik. Die höchste philosophische Wissenschaft aber, die Metaphysik, führt nur dann Beweise ins Feld; sie disputiert gegen jenen, der ihre Principien leugnet, nur dann, wenn der Gegner wenigstens etwas zugiebt. Giebt derselbe jedoch gar nichts zu, so hört jeder Streit auf, der mit Gründen geführt werden soll; denn es ist keinerlei gemeinsamer Boden mehr da. Sie kann nur die Gründe des Gegners als nichtige darthun. Ähnlich verhält es sich mit der heiligen Schrift oder Theologie. Da sie keine untergeordnete Wissenschaft, sondern vielmehr die höchste ist, stellt sie demjenigen, der ihre Principien, also die Glaubensartikel, leugnet, Gründe ihrerseits entgegen, wenn der Gegner etwas zugiebt von dem, was der Offenbarung gedanktwird. So z. B. kämpfen wir gegen die Irrlehren und ihre Anhänger kraft der Aussprüche der heiligen Schrift und der Väter; kraft dessen nämlich, was beide Teile als maßgebend anerkennen; und den einen gemeinsam anerkannten Glaubensartikel stellen wir jenem entgegen, welcher den anderen leugnet, ohne welchen schließlich der erste gemeinsam anerkannte auch nicht bestehen bleiben kann. Glaubt aber der Gegner gar nichts von dem, was geoffenbart ist, so können ihm von seiten der heiligen Wissenschaft positive Gründe nicht mehr entgegengestellt werden; nimmt er doch nichts vom Fundamente und von der einzigen Existenzberechtigung der letzteren an. Es bleibt dann nur übrig, jene Gründe, welche er gegen den Glauben anführt, als nichtige darzulegen. Das aber ist immer und zwar von vornherein — a priori möglich. Denn da der Glaube auf der unveränderlichen Wahrheit beruht, die niemals irren kann, so ist es offenbar, daß die Gründe, welche gegen seine Wahrheit ins Feld geführt werden, keine wirklichen Beweise enthalten, sondern nichtig und in ihrer Wertlosigleit darzulegende Argumente sind.
c) Demgemäß verwechselt der Gegengrund, welcher an erster Stelle steht, die Glaubensartikel als Principien der heiligen Lehre mit den Anwendungen derselben auf anderes. Ihre eigenen Principien beweist keine Wissenschaft und also auch nicht die Theologie. Wohl aber beweist dieselbe aus ihren Principien die Existenz anderer Wahrheiten. Was nachher entgegnet wird, ist wohl der Sache nach richtig, aber es wird dabei übersehen, daß es sich nicht um eine menschliche, sondern um die göttliche Autorität als den Ausgangspunkt und die Stütze der theologischen Beweise handelt. Nun ist wohl sehr schwach und ohnmächtig, was in der Autorität menschlicher Aussprüche, also in der Vernunft eines anderen Menschen, begründet ist; was aber seinen Halt und sein Fundament in der Offenbarung besitzt, das ist überaus fest und entbehrt nicht im mindesten der Würde und des Adels. Gleichwohl bedient sich die heilige Wissenschaft nicht bloß der göttlichen Autorität, sondern auch der menschlichen Vernunft; zwar nicht, um die Glaubensartikel zu beweisen; ein solcher Beweis würde allerdings jegliches Verdienst des Glaubens ausschließen; — sondern um manches andere deutlich zu machen, was von der heiligen Wissenschaft gelehrt wird. Da also die Gnade durchaus nicht die Natur zerstört, sondern sie vielmehr vollendet; so muß auch die natürliche Vernunft dem Glauben dienen, gleichwie die natürliche gute Neigung des Willens der der Liebe nachfolgt. Deshalb sagt auch der Apostel (II. Kor. 10.): „Wir nehmen gefangen jeglichen Verstand, auf daß derselbe Christo diene.“ Und da her kommt es, daß die heilige Lehre auch die Aussprüche der Philosophen verwertet in Fällen, wo sie mit ihrer natürlichen Vernunft die Wahrheit erkennen konnten; wie z. B. Paulus (act. 17, 28.) als Beleg seiner Worte einen Ausspruch des Philosophen Aratus anführt: „So haben ja auch manche euerer Dichter gesagt: Das Geschlecht Gottes sind wir.“ Dergleichen Aussprüche gebraucht jedoch die heilige Lehre bloß als von außen her gegebene, gleichsam fremde, nicht aus ihren eigenen inneren Principien von selbst fließende und deshalb nur als etwelche Wahrscheinlichkeit verleihende Beweisgründe. Der Stellen der kanonischen Schriften. bedient sich die Theologie als zwingender und maßgebender Autoritätssprüche. Stellen aber aus den anderen Lehrern der Kirche führt sie an, wohl als Autoritäten, die ihrem eigenen Schatze, dem der heiligen Lehre nämlich, entnommen sind und nicht als ihr äußerliche, fremde; jedoch trotzdem will sie damit keinen zwingenden Schluß zuwege bringen, sondern nur eine gewisse Wahlscheinlichleit begründen. Denn unser Glaube stützt sich auf die Offenbarung, welche den Aposteln und den Propheten geworden; — und nicht auf etwaige andere Offenbarungen, welche einzelne Lehrer der Kirche erhalten hätten. Deshalb sagt Augustin (ad Hier. ep. 19. cap. 1.): „Nur jenen Schriften habe ich gelernt, volle und geminderte Ehrfurcht zu erweisen, welche kanonische genannt werden; von ihnen glaube ich mit aller Festigkeit, daß keiner von jenen, der sie geschrieben, geirrt hat. Andere Schriftsteller lese ich in der Weise, daß, mögen sie auch große Heiligkeit und tiefe Gelehrsamkeit besitzen, ich doch deshalb nicht ohne weiteres für wahr halte, was sie behauptet oder geschrieben.“
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