Vierter Artikel. Die heilige Wissenschaft ist vorzugsweise betrachtend (spekulativ), jedoch kommt es ihr auch zu, praktische Lebensweisheit zu enthalten.
a) Es scheint auf den ersten Blick, die heilige Wissenschaft sei rein praktischer Natur. I. Denn, sagt Aristoteles (II. Metaph.), „der Zweck des praktischen Wissens ist das Thätigsein.“ Gerade aber die Regelung der menschlichen Thätigkeit ist von der heiligen Wissenschaft bezweckt; heißt es doch bei Jacobus (1, 22.): „Erfüllet das Wort des Herrn in eueren Werken und seid nicht bloße Hörer.“ Also scheint die heilige Wissenschaft rein praktische Lebensweisheit zu sein. II. Das wird offenbar bestätigt durch die Einteilung der heiligen Wissenschaft in das Alte und Neue Gesetz. Denn „Gesetz“ heißt nichts anderes als Richtschnur unseres Handelns. Das aber ist jedenfalls das Zeichen einer praktischen, zum Wirken unmittelbar hingeordneten Wissenschaft. Auf der anderen Seite erstreckt sich die praktische Wissenschaft auf Dinge, die von der menschlichen Thätigkeit herrühren; wie z. B. die Moralwissenschaft auf die menschlichen Handlungen; die Baukunst auf Bauwerke. Die heilige Wissenschaft aber handelt an erster Stelle von Gott, dessen Werke vielmehr die Menschen sind. Also scheint dieselbe vielmehr rein betrachtend zu sein.
d) Ich antworte, daß, wie im vorigen Kapitel gezeigt worden, die heilige Wissenschaft in ihrer Einheit sich auf alle jene Gegenstände erstreckt, welche von verschiedenen philosophischen Wissenschaften ebenfalls erforscht werden; und zwar ist dies der Fall auf Grund des einen Formalgrundes, der für die heilige Wissenschaft maßgebend ist; insoweit dieselbe nämlich unter dem Gesichtspunkte der Beziehung auf das göttliche Licht, auf das durch die Offenbarung Erkannte, alle diese Gegenstände auffaßt. Es mag deshalb wohl von den philosophischen Wissenschaften die eine rein betrachtend, spekulativ sein wie die Metaphysik; und die andere praktisch, auf das Thätigsein gerichtet. Die heilige Wissenschaft aber begreift in sich sowohl das spekulativ betrachtende, als auch das praktische, die menschliche Thätigkeit regelnde Element. Sie ist nach einer Seite hin eine spekulative; nach der anberen Seite hin, immer einheitlich in sich bleibenb, eine praktische Wissenschaft; wie ja auch vermittelst ein und derselben einfachen Wissenschaft Gott sowohl Sich selbst (spekulativ) erkennt als auch (praktisch), was Er nach außenhin thut. In höherem Grade ist die heilige Wissenschaft jedoch betrachtend; denn sie handelt hauptsächlich von Gott, der kein Gegenstand menschlicher Thätigkeit ist. Auf die menschlichen Handlungen erstreckt sie sich nur, insoweit der Mensch durch dieselben zur vollkommenen Erkenntnis Gottes geführt wird, worin die Seligkeit des Menschen besteht.
c) Damit ist zugleich jedem Teile der Einwürfe genuggethan.
