Dritter Artikel. Die verschiedenen Gegenstände und die verschiedenen Thätigkeiten bilden den Unterscheidungsgrund für die Verschiedenheit der Vermögen.
a) Dem steht entgegen: I. Nichts kann nach Maßgabe dessen einer bestimmten Gattung zugeteilt werden und in derselben sein, was später und nur äußerlich ist. DieThätigkeit des Vermögens ist aber später wie das Vermögen und der Gegenstand ist außen. Also können danach nicht die verschiedenen Arten der Vermögen bestimmt werden. II. Was einander geradezu gegenübersteht, das ist im höchsten Grade voneinander unterschieden. Ein und dasselbe Vermögen aber richtet sich auf die Gegensätze: auf schwarz und weiß z. B., oder auf Sünde und Tugend. Also kann nicht im Gegenstande ein Grund des Unterschiedes für die Vermögen liegen. Denn was selber voneinander unterschieden ist, kann nicht den Grund abgeben für die Annahme ein und desselben Vermögens. III. Entfernt sich die Ursache, so verschwindet die Wirkung. Ist also die Verschiedenheit der Gegenstände die Ursache für die Verschiedenheit der Vermögen, so kann nicht ein einziger Gegenstand zu verschiedenen Vermögen gehören; wie z. B. eben dasselbe von der Vernunft erkannt und vom Willen begehrt wird. IV. Was an und für sich kraft seines Wesens etwas verursacht, ist überall da, wo es Ursache ist, davon der Grund; wie das Feuer z. B. überall wärmt. Es giebt aber voneinander verschiedene Gegenstände, die zugleich verschiedenen Vermögen angehören und trotzdem auch wieder nur einem; wie der Ton und die Farbe zur Seh- und Hörkraft gehören und zugleich auch zu dem einen Gemeinsinn, dem sensus communis. Also macht die Verschiedenheit in den Gegenständen keine Verschiedenheit in den Vermögen. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (2. de anima): „Gemäß der Auffassung der Vernunft sind die Thätigkeiten und Handlungen früher als die entsprechenden Vermögen; und früher als die Thätigkeiten noch sind die Gegenstände oder Objekte derselben.“ Also liegt in den Thätigkeiten und deren Gegenständen oder Objekten der Unterscheidungsgrund für die Vermögen.
b) Ich antworte, daß jedes Vermögen und jede Kraft, insoweit es sich um Vermögen oder Kraft handelt, Beziehung hat zur Thätigkeit. Die Natur des Vermögens richtet sich sonach nach der Thätigkeit, behufs deren es existiert; und deshalb ist ein Vermögen der Natur und dem Wesen nach verschieden vom anderen, je nachdem die Natur der entsprechenden Thätigkeit dies fordert. Die Natur der Thätigkeit aber richtet sich nach der Natur des Gegenstandes, auf den die Thätigkeit geht, und nach der verschiedenen Art und Weise, in welcher dieser Gegenstand, um erreicht oder besessen zu werden, die Thätigkeit bestimmt. Denn jede Thätigkeit gehört entweder einem wirkenden oder einem empfangenden, leidenden Vermögen an. Der Gegenstand nun steht in Beziehung zur Thätigkeit eines empfangenden oder leidenden Vermögens wie das Princip und die bestimmende Ursache; die Farbe z. B. bestimmt und bewegt die Sehkraft und ist so das Princip oder die bestimmende Ursache des Sehens. Zur Thätigkeit aber eines einwirkenden Vermögens steht der Gegenstand in Beziehung wie der Abschluß und der Grenzpunkt; der Gegenstand des Nährvermögens z. B. ist der dem Wesen entsprechende Umfang als Zweck der Ernährung. Von diesen beiden Momenten, vom Princip oder der wirkenden Ursache und vom Abschlusse oder dem Zwecke, erhält die Thätigkeit ihre bestimmte Gattung. Die Erwärmung nämlich ist verschieden von der Erkältung, insoweit dort das Princip oder die wirkende Ursache das Warme ist, hier das Kalte; und insoweit die Erwärmung zum Zwecke hat das Warmwerden, die Erkältung aber das Kaltwerden. Also unterscheiden die Gegenstände und Thätigkeiten das eine Vermögen vom anderen. Man muß nun freilich berücksichtigen, daß alles das, was für die Gegenstände oder Objekte der Thätigkeiten nicht von ihrem eigenen inneren Wesen kommt, sondern ihnen äußerlich ist, nicht die eine Gattung der Vermögen von der anderen unterscheidet. So ist das Farbige für das Tier als solches etwas Äußerliches und macht somit das verschiedenartig Farbige keine Verschiedenartigkeit in der Gattung des Tieres; sondern nur was für das Wesen des Tieres bestimmend ist, thut dies; wie z. B. die sinnbegabte Seele manchmal zusammen mit der Vernunft gefunden wird und manchmal nicht, wonach sich ein gewisser Gattungsunterschied richtet, nämlich Mensch und Tier in der Gattung verschieden sind. Ähnlich nun macht nur jener Unterschied in den Gegenständen eine Verschiedenheit im Vermögen, der ihnen in ihrer Beziehung, auf das Vermögen nicht äußerlich ist, sondern in dieser Beziehung selber eine Änderung hervorbringt. So hat der Sinn überhaupt und an sich Beziehung zur sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaft, die sich dann von selbst teilt in Farbe, Ton etc., dieser Teilung gemäß die Beziehung zum Sinne ändert und mehrere Sinne erfordert. Ob nun aber dieses sinnlich Wahrnehmbare in einem Musiker sich findet oder in einem Steine oder in etwas Großem oder Kleinem, das macht keinen Unterschied in den bezüglichen Vermögen.
c) I. Die Thätigkeit ist wohl dem wirklichen Sein nach später als das betreffende Vermögen; aber sie ist früher in der Absicht und gemäß der Auffassung. Und der Gegenstand ist zwar außen, aber er ist das Princip oder der Schlußpunkt und Zweck der Thätigkeit. Dem Princip und dem Zwecke nun muß entsprechen, was im Innern des Dinges ist. II. Wenn ein Vermögen gemäß seiner Natur auf das eine Glied eines Gegensatzes sich richtete, so müßte das andere Glied desselben Gegensatzes notwendig ein weiteres Vermögen erfordern; wie wenn ein Vermögen nur das Schwarze zum Gegenstande hätte, so müßte für die Wahrnehmung des Weißen ein neues Vermögen vorhanden sein. Jedes Vermögen der Seele aber richtet sich im Gegenteil auf das Gemeinsame, welches den beiden Gliedern des Gegensatzes zu Grunde liegt; wie das Gesicht sich auf die Farbe richtet als auf das Gemeinsame von Schwarz und Weiß. Und zwar ist dies deshalb der Fall, weil das Eine von dem sich einande rGegenüberstehenden gewissermaßen den Grund für das Andere abgiebt und sich die beiden Gegenüber verhalten wie Vollkommenes und Unvollkommenes. Nur weil ein Sehen existiert, giebt es eine Blindheit; nur weil das Weiße existiert, besteht das Schwarze als Mangel der Vollkommenheit in der Farbe. III. Ein und dasselbe Subjekt kann in verschiedener Weise aufgefaßt werden und so zu verschiedenen Vermögen gehören. IV. Das höher stehende Vermögen hat zum Gegenstande eine allgemeinere und umfassendere Natur wie das niedriger stehende; denn je höher ein Vermögen ist, desto mehr erstreckt es sich auf Vieles. Viele Dinge also können übereinkommen in einer gemeinsamen Natur oder Eigenschaft, welche der Gegenstand des höheren Vermögens ist. Jedoch sind dann diese Dinge voneinander verschieden in dem, was der Gegenstand der niedrigen Vermögen ist. So sind die Dinge, insoweit sie sinnlich wahrnehmbar sind, alle insgesamt Gegenstand des Gemeinsinnes, sensus communis; insoweit aber die einen von ihnen nur hörbar sind, die anderen nur fühlbar, die dritten nur sichtbar, sind die der ersten Klasse nur dem niedrigeren Vermögen des Gehörs zugänglich, die der zweiten nur dem des Gefühls, die der dritten nur dem des Gesichts. Und so können Gegenstände verschiedenen niedrigen Vermögen zugehören, die jedoch alle zusammen in etwas übereinkommen, was Gegenstand eines höheren Vermögens ist.
