Sechster Artikel. Alle Vermögen der Seele fließen von deren innerstem Wesen aus.
a) Dem steht entgegen: I. Von einem einfachen einen Wesen kann nicht Verschiedenartiges hervorgehen. Das Wesen der Seele aber ist ein eines einfaches. Also gehen nicht verschiedenartige Vermögen von selbem aus. II. Was hervorgeht ist Wirkung. Die Seele ist aber weder wirkende, noch formale, noch materiale, noch Zweck-Ursache mit Rücksicht auf die Vermögen. Also gehen diese nicht von der Seele aus. III. Ausfließen oder Hervorgehen besagt eine gewisse Bewegung. Nichts aber wird von sich selbst in Bewegung gesetzt außer etwa auf Grund einesTeiles, so daß ein Teil den anderen bewegt, wie beim Menschen. (Vgl.„Natur, Vernunft, Gott“, Kap. 1, §. 2.) Auf der anderen Seite sind die Vermögen der Seele die naturgemäßen zum Wesen hinzutretenden Eigenheiten derselben. Das Subjekt aber verursacht seine Eigenheiten; weshalb es auch in die Begriffsbestimmung der betreffenden Eigenheiten gesetzt wird. (7 Metaph.)
b) Ich antworte, daß die Wesensform sich in zwei Punkten von der Form einer bloßen hinzutretenden Eigenschaft unterscheidet; wenn beide auch darin übereinkommen, daß sie thatsächlich in bestimmender Weise wirken. 1. Die Wesensform macht, daß ein Ding einfach und ohne weiteres ist; und ihr Subjekt, was nämlich von ihr bestimmt wird, ist an und für sich nur dem Vermögen nach ein Sein. Die Form einer bloßen Eigenschaft aber macht, daß ein bereits bestehendes Ding ein so oder so beschaffenes wird. So wird die Thatsächlichkeit früher gefunden in der Wesensform wie in dem Subjekt, was von ihr bestimmt wird; was ihr gegenüber also nur bestimmbar ist. Gegenteilig aber ist das Subjekt für die Form einer bloßen Eigenschaft thatsächlich eher wie diese Eigenschaft, die dem bereits bestehenden Sein ja nur etwas hinzugefügt. Die Thatsächlichkeit also ist bei der letztgenannten Form später als das Subjekt, während sie bei der Wesensform früher ist. Danach ist das Subjekt gegenüber der Wesensform rein empfangend, bestimmend; gegenüber der Form einer bloßen Eigenheit aber ist es thatsächlich bestimmend oder hervorbringend. Dies gilt aber nur von jenen Eigenheiten und Zuständen oder Vermögen, die das Wesen des Subjekts notwendig an und für sich begleiten, den propria accidentia; nicht von jenen, welche von den außen einwirkenden Ursachen hervorgebracht werden. Von diesen ist das Subjekt nur der einfache Träger und steht ihnen als rein empfangendes Moment gegenüber; wie die Mauer z. B. die weiße Farbe trägt. 2. Da das minder Hervorragende wegen des mehr Hervorragenden, die Nebensache wegen der Hauptsache da ist, so ist der bestimmbare Stoff als bestimmbares Subjekt vorhanden wegen der substantialen Wesensform. Dagegen aber ist die Eigenschaft da um der Vollendung des sie tragenden Subjekts willen. Nun ist es offenbar, daß das Subjekt für die zum Wesen hinzutretenden Vermögen der Seele entweder die Seele selbst ist für sich allein, insoweit sie noch vollendet werden kann; oder die Verbindung zwischen Leib und Seele. Letztere aber, diese Verbindung, kommt ihrem thatsächlichen Sein nach von der Seele. Also fließen alle Vermögen der Seele, sei es daß ihr Subjekt diese allein oder die Verbindung von Leib und Seele sei, aus der Seele als ihrem Princip. Denn die zum Wesen hinzutretende und zu ihm wesentlich zugehörige Eigenheit wird vom Subjekte ihrem thatsächlichen Sein nach verursacht und von ihm aufgenommen und getragen, insofern es vervollkommnungsfähig ist.
c) I. Von einem Einfachen können verschiedene Eigenheiten hervorgehen, sowohl auf Grund der Ordnung und Beziehung im Hervorgehen, als auch wegen der Verschiedenheit der aufnehmenden Organe. Und so gehen verschiedene Vermögen von der einen einfachen Seele aus, sowohl weil in diesen Vermögen eine gegenseitige Beziehung und Ordnung herrscht als auch wegen der Verschiedenheit der aufnehmenden und tragenden Organe. II. Das Subjekt, welches die hinzutretende Eigenschaft trägt, ist in gewissem Sinne die wirkende Ursache der aus ihm notwendig folgenden Eigenheiten; sodann ist es die Zweckursache, denn um der Vollendung des Subjekts willen, woran sie sind, existieren diese Eigenheiten. Danach ist das Wesen der Seele die Ursache aller Vermögen als deren Zweck und deren wirkendes Princip; mancher aber als dieselben tragend, als deren Subjekt. III. Das Ausfließen der Vermögen geschieht nicht vermittelst einer Bewegung oder Veränderung; sondern ist ein Ergebnis der Natur des Wesens, wie die Farbe aus dem Lichte sich ergiebt.
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