Achter Artikel. Nicht alle Vermögen bleiben in der vom Körper getrennten Seele.
a) Dagegen sagt: I. Augustin: „Die Seele geht fort vom Leibe und nimmt mit sich den Sinn und die Einbildung, die Vernunft und die Einsicht, das Verständnis, die Begierde und die Widerstandskraft.“ (de spiritu et anima c. 15.) II. Die Vermögen der Seele sind naturgemäße Eigenheiten derselben. Solche aber bleiben immer, so lange die betreffende Natur bleibt. III. Die Vermögen der Seele, insoweit sie von dieser abhängen, werdsn nicht geschwächt mit der Schwächung des Körpers, auch nicht die Sinnesvermögen; wie Augustin sagt (1. de anima): „Wenn der Greis das Auged es Jünglings empfängt, wird er sehen wie ein Jüngling.“ Die Schwächung aber ist der Weg zum Verderben. Also die Sinneskräfte vergehen nicht bei der Auflösung des Körpers; sondern bleiben in der getrennten Seele. IV. Das Gedächtnis ist eine Sinneskraft. (Arist. de memoria.) Das Gedächtnis aber bleibt in der Seele. „Gedenke,“ heißt es Luk. 16, 25., „daß du Gutes erhalten hast in deinem Leben.“ V. Freude und Trauer sind im sinnlichen Teile des Menschen. Sie sind aber auch in den getrennten Seelen. VI. Augustin sagt (12. sup. Gen. ad litt. cap. 32.): „Wie die Seele, wenn der Körper bereits ohne Sinnesthätigkeit, aber noch nicht völlig tot daliegt, Manches vermittelst der Einbildung sieht; so wird es sich auch verhalten, wenn sie nach dem Tode vom Leibe getrennt sein wird.“ VII. Eccles. dogm. cap. 19 heißt es auf der anderen Seite: „Aus nur zwei Substanzen besteht der Mensch: aus der Seele mit der dieser zugehörigen Vernunft und dem Leibe mit seinen Sinnen.“
b) Ich antworte; alle Seelenkräfte haben ihr Princip in der Seele allein. Manche jedoch haben in der Seele allein auch ihren Sitz und ihr Subjekt; andere aber in der Verbindung von Leib und Seele. Zu den ersteren gehört Vernunft und Wille; und diese bleiben nach dem Tode in der Seele. Zu den zweitgenannten gehören die Sinnes- und die Nährkräfte; die nach der Auflösung nicht in der Seele bleiben außer wie in der Wurzel und der Kraft nach. Somit ist 1. falsch, daß die betreffenden Vermögen bleiben; und noch mehr ist falsch 2., daß ihre Thätigkeiten in der getrennten Seele bleiben; denn sie können nur Thätigkeit haben vermittelst der körperlichen Organe,
c) l. Jenes Buch ist nicht von Augustin und hat keinerlei Autorität. II. Jene Vermögen sind Eigenheiten des Bundes von Leib und Seele und vergehen deshalb zugleich mit diesem Bunde. III. Derartige Vermögen werden bei Auflösung des Leibes nicht geschwächt, insoweit die Seele als das Princip ihrer Kraft unveränderlich bleibt. IV. Das Gedächtnis ist hier das geistige, nicht das sinnliche,(Aug. 10. de Trin. 11.) V. Freude und Trauer sind in der getrennten Seele nicht als Leidenschaften der Sinne; sondern als Folge der Auffassung der Vernunft, wie dies bei den Engeln der Fall ist. VI. Augustinus spricht an dieser Stelle in untersuchender Weise, nicht um etwas zu behaupten; deshalb hat er auch später Manches da Behauptete zurückgezogen.
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