Siebenter Artikel. Das eine Vermögen der Seele kann vom anderen herrühren; wahrend alle aus dem Wesen der Seele fließen.
a) Das scheint nicht so. Denn: I. Die Vermögen der Seele fangen alle zugleich an. Also ist nicht das eine vom anderen. II. Die Vermögen der Seele sind zum Wesen hinzutretende Eigenheiten. Das eine Vermögen kann aber nicht das Subjekt der anderen sein. Denn was selber zum Wesen hinzutritt, kann nicht in derselben Weise zu etwas Anderem sich verhalten, daß dieses eine hinzutretende Eigenheit von ihm wieder sei. III. Die Vermögen unterscheiden sich voneinander, wie die Unterabteilungen in einer „Art“, nämlich die Gattungen. Diese aber stehen sich gegenüber wie Vollkommenes und Unvollkommenes, anstatt daß die eine von der anderen her entstände. Auf der anderen Seite werden die Vermögen vermittelst der Thätigkeiten erkannt. Die Thätigkeit des einen Vermögens aber wird von der des anderen Vermögens verursacht; die Thätigkeit der Einbildungskraft z. B. von der des Gefühls. Also das eine Vermögen hat sein Entstehen einem anderen zu danken.
b) Ich antworte, daß in den Dingen, welche einer gewissen Ordnung und Reihenfolge nach von einem Ersten ausgehen, das, was dem Ersten am nächsten steht, die Ursache gewissermaßen ist für jene anderen, die entfernter sind. Nun ist oben gezeigt worden, daß eine mehrfache Art von Ordnung in den Vermögen besteht; also geht auch das eine Vermögen so vom Wesen der Seele aus, daß es durch Vermittlung anderer Vermögen ausgeht. Nun wird die Seele in Bezug auf die Vermögen als wirkendes Princip betrachtet und als Zweck; und dann noch als tragendes, der Vollendung fähiges Princip, entweder für sich allein oder in Verbindung mit dem Körper. Da nun das wirkende Princip und der Zweck höher im Sein steht wie das tragende, bestimmbare, so ergiebt sich eine doppelte Betrachtung für das Hervorgehen des einen Vermögens vom anderen. Nach der ersten Richtung hin sind jene Vermögen ihrer Natur und Vollendung nach höher, die wirkendes Princip und Zweck der anderen sind. So ist der Sinn wegen der Vernunft da und nicht umgekehrt. Der Sinn ist ferner eine unvollkommene Teilnahme an der Vernunft und somit ist er seiner Natur und seinem Ursprünge nach gewissermaßen von der Vernunft wie das Unvollkommene vom Vollkommenen. Wird aber die zweite Richtung betrachtet, die des Entstehens oder des Tragens, so sind umgekehrt die unvollkommeneren Vermögen Principien der vollkommeneren; wie auch die Seele selber, insoweit sie Sinneskräfte hat, angesehen wird als Subjekt und als etwas Bestimmbares mit Rücksicht auf die Vernunft. Was aber als Unvollendetes die Vollendung tragen soll, das ist im Entstehen früher wie die Vollendung. Nach dieser Seite hin also sind die unvollkommenen Vermögen früher wie die mehr vollkommenen.
c) I. Wie überhaupt die Vermögen aus dem Wesen der Seele fließen als ein Ergebnis von deren Natur und deshalb zugleich mit ihr Sein haben, verhält sich dies auch mit dem Hervorgehen des einen Vermögens vom anderen. II. Eine hinzutretende Eigenschaft kann nicht an und für sich Subjekt einer anderen sein. Aber das als Subjekt dastehende Wesen kann eine zur Vollendung hinzutretende Eigenschaft vermittelst einer anderen aufnehmen und tragen; wie der Körper das Weiße aufnimmt vermittelst des Umfanges oder die Farbe vermittelst der Oberfläche. Und so verhält es sich auch mit den Vermögen in Rücksicht aufeinander und auf das Wesen. III. Die Gegenüberstellung der Vermögen als des Unvollkommenen und Vollkommenen hindert nicht, daß ein Vermögen vom anderen hervorgeht; wie ja ganz naturgemäß das Unvollkommene vom Vollkommenen herrührt.
