Fünfter Artikel. Die Seele für sich allein ist nicht das tragende Subjekt aller Vermögen..
a) Das Gegenteil scheint aus Folgendem hervorzugehen: I. Der Körper ist das tragende Subjekt aller körperlichen Vermögen. Also ist auch die Seele das tragende Subjekt aller Vermögen in jenem Sein, wo sie Wesensform ist. II. Vermögen der Seele werden dem Körper auf Grund der Seele zugeschrieben; denn „vermittelst der Seele in erster Linie empfinden wir und erkennen wir“. Die Principien aber, vermittelst deren die Thätigkeiten sich vollziehen, sind die Vermögen. Also sind letztere in der Seele als in ihrem Subjekte. III. Augustin (12. sup. Gen. 19. et 20.) meint, die Seele empfinde Manches nicht vermittelst des Körpers, sondern ohne Mitwirkung des Körpers, wie die Furcht z. B. Also müssen die entsprechenden Vermögen in der Seele allein sein und keineswegs dürfen sie irgendwie im Körper ihren Sitz haben. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (de somno et vigil. c. 1.): „Empfinden ist der Seele nicht für sich allein und nicht dem Körper für sich allein eigen; sondern der Seele, insoweit sie mit dem Körper verbunden ist.“ Also ist für die sinnlichen Vermögen der Sitz oder das Subjekt die Seele als mit dem Körper verbunden.
b) Ich antworte, jenes müsse das Subjekt eines wirkenden Vermögens genannt werden, was vermögend ist, thätig zu sein; denn jede zum Wesen hinzutretende Eigenschaft ist die Quelle für die Bezeichnung und den Ausdruck des ihr eigenen Subjekts. Nun ist es aber ganz das Gleiche, was wirkt und was zu wirken vermag. Also Jenem gehört das Vermögen als dem Subjekte an, dem das entsprechende Wirken selber angehört. (Arist. l. c.) Da nun offenbar es Thätigkeiten giebt, welche sich vollziehen ohne Mitwirkung eines körperlichen Organs, wie geistiges Erkennen und Wollen, so ist von derartigen Thätigkeiten die Seele allein das Subjekt; denn sie gehören solchen Vermögen als ihren Principien an, welche nur in der vernünftigen Seele ihren Sitz haben. Ändere Thätigkeiten aber giebt es, die vermittelst körperlicher Organe sich vollziehen, wie das Sehen durch das Auge etc. Die Principien solcher Thätigleiten also, d. h. die Vermögen zu selben, sind in der Seele, insoweit sie mit dem Körper verbunden ist.
c) I. Die Seele ist das erste Princip alles menschlichen Thätigseins; denn die Verbindung selber von Leib und Seele beruht auf der Seele als der Wesensform. II. Alle derartigen Thätigkeiten sind zuerst in der Seele; nicht als ob sie in derselben ihren unmittelbaren Sitz oder ihr Subjekt hätten, sondern weil ihr erstes Princip ist die Seele. III. Plato meinte, daß das Empfinden ohne körperliches Organ sich vollziehe. Augustin nun führt in philosophischen Dingen oft den Plato und seine Ansichten an; nicht um sie sich anzueignen, sondern um sie vorzulegen. Hier aber kann ein doppeltes Verständnis für die angezogenen Worte geltend gemacht werden. Einmal so, daß das Empfinden oder Fühlen vom Empfindenden oder Fühlenden ausgeht; — und in dieser Weise ist keine Thätigkeit ohne körperliches Organ. Dann so, daß der Gegenstand des Empfindens damit gemeint ist; — und in dieser Weise wird auch das empfunden, was ohne Körper ist und was nur die Auffassung der Seele begleitet, wie wenn die Seele fühlt, sie freue sich oder sei traurig über etwas Gehörtes.
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