Fünfter Artikel. Alles steht unter der göttlichen Teilregierung.
a) I. Ekkle. 9, 11. jedoch sagt: „Ich sah, daß unter der Sonne das Laufen nicht den Schnellen gehört, den Starken nicht der Sieg im Kriege zu teil wird, daß die Weisheit kein Brot hat und die Gelehrten keinen Reichtum erwerben, die Künstler mißachtet werden und daß Zufall und Zeit in allem sei.“ Also steht nicht Alles unter der göttlichen Weltregierung. Denn der Zufall untersteht keiner leitenden Gewalt. II. 1. Kor. 9, 9. heißt es: „Gott trägt keine Sorge für die Ochsen.“ Was aber von jemandem regiert wird, dafür hat er Sorge. III. Die vernünftige Kreatur leitet, bestimmt sich selbst und ist Herr ihres Handelns. Also bedarf sie keiner Leitung von seiten eines anderen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (5. de Civ. Dei 11.): „Gott überläßt nicht nur nicht den Himmel und die Erde sich selbst, sondern auch ebensowenig den Menschen und den Engel. Er trägt auch Sorge für die inneren Teile des geringsten und verächtlichsten Tierchens und läßt auch nicht die Federchen eines Vogels, oder die Blüte einer Feldblume oder das Blatt eines Baumes, ohne daß Er die einzelnen Teile zusammenhielte.“
b) Ich antworte, daß gemäß demselben Grunde, nach welchem es Gott gebührt, Ursache von allen Dingen zu sein, es Ihm auch zukommt, sie in erster Linie zu lenken und zu leiten; denn dem Nämlichen gehört es zu, einerseits ein Ding hervorzubringen und andererseits demselben die Vollendung zu geben, was Letzteres dem es Lenkenden eigen ist. Gott aber ist die allumfassende Ursache alles dessen, was ist und soweit es ist. (Kap. 44, Art. 1 u. 2.) Also wie Nichts sein kann, ohne von Gott geschaffen zu sein; so kann es auch nichts geben, was nicht seiner Leitung untersteht. Die gleiche Wahrheit geht hervor aus der Natur des Zweckes. Denn soweit sich der Zweck einer Regierung oder Leitung erstreckt, soweit erstreckt sich auch die Regierung oder Leitung selber. Der Zweck aber der Weltregierung ist die göttliche Güte. Da also nichts ist, was nicht zu diesem Zwecke hingeordnet wäre; so ist es auch unmöglich, daß etwas der göttlichen Weltregierung sich entziehen könnte. Eine Thorheit ist es, demnach zu sagen, diese niedrigen vergänglichen Dinge oder die Einzelwesen als solche oder die Handlungen der Menschen ständen nicht unter der Leitung Gottes.
c) I. Als „unter der Sonne“ befindlich werden jene Dinge bezeichnet, welche gemäß der Bewegung der Sonne entstehen und vergehen. In diesen allen ist etwas Zufälliges; — nicht als ob Alles, was von selben ausgeht, dem Zufalle unterstehe; aber in einem jeden ist etwas, was als zufällig bezeichnet werden kann. Dieser Umstand jedoch selber, daß in jedem derselben immer etwas Zufälliges gefunden werden kann, beweist klar, daß sie der Leitung von irgend einer Seite her unterworfen sind. Denn wenn derartige vergängliche Dinge nicht von einer höheren Ursache gelenkt würden, so würden sie als einzelne um gar keinen Zweckes willen thätig sein, zumal jene Wesen, die nicht erkennen; sondern sie würden alle nur ihrer allgemeinen Natur nach thätig sein. Und so würde nichts geschehen außerhalb dieser Naturnotwendigkeit; es bestände also kein Zufall. Und deshalb sagt Ekklesiastes nicht einfach, „Zufall sei in Allem,“ sondern um zu zeigen, daß nicht Alles nach diesen niedrigen rein natürlichen Ursachen geht, sondern daß das „Zufällige“ gemäß eines höheren Ursachenbereiches geschieht, sagt er: „Zeit und Zufall sei in Allem;“ denn gemäß einer gewissen Zeitordnung finden sich zufällige Wirkungen in diesen Dingen. II. Die Regierung ist ein gewisser Einfluß von seiten des Regierenden in das Regierte. Jede Thätigkeit aber steht im Verhältnisse zu dem, dessen Thätigkeit sie ist. Und so wird erfordert, daß die verschiedenartigen beweglichen oder thätigen Dinge in verschiedenartiger Weise beeinflußt und bewegt werden, auch wenn der Beweger und Beeinflussende nur Einer ist. So also werden die verschiedenen Dinge verschieden geleitet gemäß der einen leitenden Kunst in Gott. Denn manche Wesen handeln selbständig, sie haben die Herrschaft über ihre Thätigkeit; und diese werden von Gott gelenkt nicht nur dadurch, daß Er in ihrem Innern wirkt und bestimmt, sondern auch dadurch, daß sie durch Gebote und Verbote, durch Strafen und Belohnungen vom Bösen ab- und zum Guten angeleitet werden. Auf diese Weise nun werden die vernunftlosen Wesen nicht von Gott gelenkt; welche nur getrieben werden, nicht aber selber sich antreiben. „Gott hat also keine Sorge für die Ochsen“ bedeutet nicht, daß diese der göttlichen Weltregierung nicht unterlägen, sondern sie werden nicht so gelenkt, wie die vernünftigen Wesen; für sie gelten keine Gebote oder Verbote, wie der Apostel an derselben Stelle zu verstehen giebt. III. Die vernünftige Kreatur leitet sich durch die Vernunft und den freien Willen; und nach beiden Seiten bedarf sie der Leitung und der Vervollkommnung von seiten der Vernunft und des Willens Gottes.
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