Nr. 10
Vielleicht sagt aber Einer: Um deßwillen bringen wir den Göttern die Opfer und sonstigen Gaben dar, damit sie auf irgend eine Weise durch unsere Anrufungen gewogener gemacht, erwünschte Zustände uns willfahren und Uebel abwenden, uns immer in Freuden leben lassen, Trauer aber entfernt halten, wie auch das durch zufällige Ereignisse Drohende. Dieser Punkt verlangt keine geringe Sorgfalt; auch ist man nicht so gewöhnt, dem unbedenklich Ausgesagten beizupflichten und Glauben zu schenken: denn sofort eilt jener Gesammtchor der Gelehrtesten heran, welcher mit Gewißheit versichernd und beweisend, Alles was immer geschieht geschähe dem Fatum zufolge, euch diese Meinung entreißt und behauptet, daß ihr nichtigen Einbildungen vertrauet. Was immer in der Welt geschah, geschieht und geschehen wird, heißt es, ist von Ewigkeit her festgesetzt und dauernd bestimmt; es hat unbewegliche Ursachen, nach denen sich die aneinandergeknüpften Dinge der Vergangenheit mit den Herannahenden in unbezwinglicher Nothwendigkeit verbinden. Ist das festgesetzt und bestimmt, so ist auch schon gewiß, was jedem Einzelnen Gutes oder Böses zu Theil werden muß. Ist dieß aber festgesetzt und bestimmt, dann ist jede Hülfe der Götter, jeder Groll, jedes Wohlwollen nichtig: denn sie können ebensowenig das gewähren, was nicht geschehen kann, als verhindern, daß nicht geschieht, was nothwendig kommen S. 186 muß; außer daß sie diese Meinung stärker, wollen sie, ausdrücken können, indem sie sagen, auch die Götter selbst würden fruchtlos von euch verehrt und mit überflüssigen Anrufungen angefleht: denn da sie die Ordnung nicht verändern und die festgesetzten Verhängnisse nicht wandeln können, was für ein Zweck, welcher Vortheil findet statt, daß man die Ohren derer belästigen und stumpf machen will, auf welcher Hülfe in der höchsten Noth man nicht vertrauen kann?
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