Erster Artikel. Bezüglich der Menschen besteht eine Vorherbestimmung in Gott.
a) Die Menschen scheinen von Gott nicht vorherbestimmt zu werden. Denn: I. Damascenus (2. de orth. fide c. 30.) sagt: „Man muß wissen, daß Gott alles vorherweiß, nicht aber alles vorherbestimmt. Was nämlich in uns ist, das weiß Er wohl vorher; aber Er bestimmt es nicht vorher.“ Verdienste und Mißverdienste nun haben wir, inwiefern wir Herren unserer Handlungen sind. Was also an Verdienst oder Mißverdienst in uns ist, das wird nicht von Gott vorherbestimmt. Und so verschwindet die Vorherbestimmung der Menschen. II. Alle Kreaturen werden von Gott zweckdienlich bestimmt und geordnet. Von den anderen Kreaturen wird aber nicht behauptet, daß bezüglich ihrer Gott eine Vorherbestimmung habe. Also findet dies auch nicht bei den Menschen statt. III. Die Engel sind ebensogut für die Seligkeit fähig wie die Menschen. Den Engeln aber kommt es nicht zu, vorherbestimmt zu werden; denn in ihnen war niemals Elend; und Augustin (de praed. Sanctor. c. 17.) nennt die Vorherbestimmung den „Vorsatz, sich zu erbarmen“. Also werden auch die Menschen nicht vorherbestimmt. IV. Die Wohlthaten, welche den Menschen durch den heiligen Geist von Gott übertragen werden, sind den Menschen geoffenbart worden; wie der Apostel sagt (1. Kor. 2, 12.): „Wir aber haben nicht den Geist dieser Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist; damit wir wissen, welche Wohlthaten uns geworden sind.“ Die Vorherbestimmung aber ist eine Wohlthat. Also müßte sie den Vorherbestimmten bekannt sein, was offenbar nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite spricht der Apostel (Röm. 8, 30.): „Die Er vorherbestimmt hat, hat Er auch berufen.“
b) Ich antworte, daß es Gott wohl zukommt, die Menschen vorherzubestimmen. Alles nämlich ist der göttlichen Vorsehung unterworfen. Der Vorsehung aber entspricht es, die Dinge gemäß dem Zwecke zu ordnen und zum Zwecke hin zu richten. Dieser Zweck nun, auf den hin die geschaffenen Dinge gerichtet werden, ist ein doppelter: Der eine überragt die Verhältnisse und die Kräfte aller geschaffenen Kreatur; — und dieser Zweck ist das ewige Leben, welches in der Anschauung Gotteü besteht; dasselbe ist über der Natur jeglichen geschaffenen Wesens. Der andere Zweck entspricht den Verhältnissen der Kreatur und ihn kann die Kreatur mit ihren natürlichen Kräften erreichen. Zu jenem Zwecke aber hin, welchen etwas mit seiner eigenen Kraft nicht erreichen kann, muß es von einem Anderen hinübergetragen werden; wie der Pfeil zu seinem Ziele vom Schützen hingesandt wird. Deshalb wird die vernünftige Kreatur im eigentlichen Sinne des Wortes zum ewigen Leben, dessen sie fähig ist, geführt von Gott und gleichsam von Ihm hinübergetragen. Der leitende und maßgebende Grund für dieses Hinübertragen oder Hinübersenden existiert nun von Ewigkeit in Gott, sowie ja auch in Ihm van vornherein existiert der maßgebende ordnende Grund dafür, daß das All überhaupt seinen Zweck erreiche; den wir oben als Vorsehung bezeichnet haben. Der Grund aber, der im Geiste des Wirkenden für irgend welche Wirkung existiert, ist gewissermaßen ein Vorherbestehen dieser Wirkung im Wirkenden. Und demgemäß wird „Vorherbestimmung“ genannt: Der maßgebenbe Grund in Gott dafür, daß die vernünftige Kreatur zum Ziele des ewigen Leben hinübergelenkt werde; denn Bestimmen ist Lenken. And so ist es klar, daß soweit es den Gegenstand betrifft, die Vorherbestimmung ein Teil der Vorsehung ist. I. Damascenus nennt hier Vorherbestimmung jenen Teil der Vorsehung, der den Dingen Notwendigkeit aufprägt; wie z. B. die Dinge der Natur, welche nur zu einer einzigen beschränkten Wirkung befähigt sind; wie der Vogel zum Fliegen, der Stein zum Fallen. Dies ist klar aus dem, was unmittelbar folgt: „Denn Gott will nicht die Bosheit und zwingt nicht zur Tugend.“ Die Vorherbeftimmung, von welcher hier die Rede ist, schließt Damascenus nicht aus. II. Die vernunftlosen Kreaturen sind jenes Zweckes nicht fähig, welcher die Kräfte der Natur übersteigt. Von ihnen gilt es also nicht im eigentlichen Sinne, daß sie „vorherbestimmt“ werden; und nur mißbräuchlich würde dies von selbigen behauptet. III. Vorherbestimmt werden kommt den Engeln ebensogut zu wie den Menschen; wenn sie auch nie elend waren. Denn eine Bewegung erhält nicht ihren speciellen Namen von jenem Punkte, von dem sie ausgeht sondern von jenem, auf den sie zugeht. Nichts ändert es für die Bezeichnung der Bewegung des „Weißwerdens“ nämlich, ob das,was weiß wird, zuerst schwarz war oder gelb; — und so macht es nichts für die Bezeichnung: „Vorherbestimmt sein,“ ob der Betreffende vom Elende aus vorherbestimmt ist oder nicht. Es könnte nur noch bemerkt werden, daß schlechthin jede Übertragung einer Wohlthat über das, was geschuldet ist, hinaus in der Barmherzigkeit ihre Quelle hat. IV. Es ist nicht zukömmlich, daß die Vorherbestimmung allen geoffenbart wird; sonst würden jene, die nicht vorausbestimmt sind, verzweifeln und die anderen, allzu sicher gemacht, in Nachlässigkeit und Trägheit fallen. Einzelnen aber kann wohl infolge eines besonderen Vorrechts eine solche Offenbarung geschehen.
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