Dreiundzwanzigstes Kapitel. Die Vorherbestimmung von seiten Gottes. Überleitung.
„O Erhabenheit der Reichtümer der Weisheit undder Wissenschaft Gottes! Wie unerforschlich sind seine Ratschlüsse und unergründlich seine Wege!“ (Röm. 11.) Der heilige Thomas führt dazu, daß die Vernunft wohl mit Klarheit und Bestimmtheit erfasse, wo das Geheimnis der Gnadenwahl oder Vorherbestimmung beginne und was es eigentlich umfasse; aber damit zeigt er auch mit ebenso großer Klarheit wie Bestimmtheit, daß hier ein unaussprechliches und unfaßbares Geheimnis vorliegt, welches nicht Dunkel und Finsternis dem Auge der Vernunft entgegenwirft, sondern unermeßliche Lichtfülle; nicht abschließt das Erkennen, sondern zum unversieglichen Born der Kenntnis hinleuchtet; nicht Worte der Verzweiflung auf die Lippen legt, sondern Worte höchster Bewunderung: „O Höhe der Reichtümer der Weisheit und der Wissenschaft Gottes!“ . Davon daß der Herr den einen mit Gnaden überschüttet, den anderen seinen Bosheiten überläßt; daß Er den einen im Mutterleibe reinigt, den anderen nicht; daß Er den Petrus rettet und den Judas nicht; — davon ist es nicht möglich für uns, aus den Geschöpfen heraus oder von der Offenbarung her einen Grund anzugeben. Das hieße ebensoviel als die in Ihm selbst bestehende Ordnung der Weisheit und des Willens Gottes schauen. Es besteht für diese Scheidung der Geister ein Grund, aber er ist uns unzugänglich: „Es bewegt dich,“ sagt Augustin (Sermo 11. de verbis Apost.), „daß jener zu Grunde geht und dieser nicht? Du willst mit mir untersuchen? Staune vielmehr und rufe mit mir aus: O Höhe der Reichtümer! Zittern wir beide; beide zusammen wandeln wir in Angst und Furcht, damit wir nicht in Irrtum fallen und zu Grunde gehen. Niemand suche bei mir den Grund des Verborgenen. Jener, der Apostel, nennt dies unerforschbar; und du kommst, um danach zu forschen? Jener nennt es unergründlich; und du willst von mir den Grund davon wissen? Bist du gekommen, um Unerforschbares zu erforschen, glaube mir; du bist dann schon zu Grunde gegangen. Unerforschliches erforschen wollen ist dasselbe wie Unaussprechliches aussprechen, Unsichtbares sehen wollen.“ Es geht nicht an, sagen zu wollen, Gott hat bei diesem vorausgesehen, was er vorkommenden Falls gethan oder entschieden hätte; und das sei der Grund, weshalb Gott den einen verwerfe, den anderen erwähle. Dies eben ist das Geheimnis; hier eben giebt es keinen Grund; hier ist das Unerforschliche. Es heißt hier: „Zwei werden auf dem Acker sein; der eine wird gerettet, der andere zurückgelassen werden. Zwei werden mahlen in der Mühle; der eine wird gerettet, der andere zurückgelassen werden.“ Einen Grund von diesem Unterschiede zu erforschen, steht uns nicht zu; dies ist für uns schlechthin und notwendigerweise unergründlich. Da gilt nur die Mahnung des Herrn: „Wachet und betet; denn ihr wißt nicht, zu welcher Stunde der Herr kommt.“ Thomas hat den Sitz alles Geheimnisses im Bereiche des Geschöpflichen mit aller Schärfe nachgewiesen; und er wird in dem vorliegenden Kapitel in anderer Form, mit besonderer Rücksicht auf die vernünftigen Wesen seinen Nachweis wiederholen. „Gott bestimmt zuerst die Wirkung und Er bestimmt dann die Art und Weise, wie sie eintreten soll, ob frei oder notwendig.“ Da« will heißen mit anderen Worten: Gott sieht in seinem bestimmenden Willen zuerst den einzelnen Akt, das einzelne Wirkliche; und darin sieht Er erst die Art und Weise, wie er ins Dasein treten soll. Nicht aus den allgemeinen Gründen schließt Er auf das Einzelne; nicht aus den Vermögen auf das Wirkliche; das ist unsere Art zu erkennen. Gott erkennt im Einzelnen, Wirklichen — ist Er doch seinem Wesen nach Wirklichkeit und zwar einzelne Wirklichkeit; wir aber sind unserem Wesen nach Vermögen —Gott also sieht im Einzelnen, Wirklichen das entsprechende geschöpfliche Vermögen, Er sieht da die allgemeinen Gründe. „Er bestimmt, in welcher Weise, ob frei oder notwendig, die Wirkung, eintreten soll; und danach paßt Er dieser Wirkung Ursachen an, aus denen sie entweder so folgt, daß sie nicht anders folgen kann (wie aus dem Apfelbaum nur Äpfel folgen können); oder so, daß sie auch anders sein kann.“ Nun ist unsere Kenntnis allein von den Gründen oder Ursachen abhängig. Soweit uns die Gründe oder Ursachen geleiten, soweit wissen wir etwas. Welche geschöpfliche Ursachen aber hat der freie Akt? Wie kann derselbe von der Kreatur aus erkannt werden? Seine geschöpfliche Ursache ist so beschaffen, daß er aus derselben hervorgehen kann oder nicht. Und eben darum, weil er aus keiner der gefchöpflichen Ursachen notwendig hervorgeht, ist er frei. Kann er also von uns in und kraft einer solchen Ursache erkannt werden? Kann die geschöpfliche Ursache für Gott so durchgeschaut weiden, daß er darin den freien Akt notwendig und unfehlbar sieht, wie dies für ein zuverlässiges Wissen erforderlich ist? Durchaus nein! Der Natur des freien Vermögens als der Ursache des freien Aktes entspricht es eben, daß, wenn auch die ganze Natur auf dasselbe einwirkt, noch immer es so bleibt, daß der freie Akt aus ihm folgen kann oder auch nicht folgen kann. Und Gott selber hat zudem eine solche Ursache dem freien Akte angepaßt, damit derselbe mit Rücksicht auf diese sein oder auch nicht sein, d. h. frei sein konnte; daß er, der Akt also, in keiner Weise in dieser Ursache, im freien Vermögen, enthalten ist. Gott würde Sich selbst verleugnen; Er würde sein eigenes Werk verleugnen, wenn Er in und kraft dieser geschöpflichen Ursache, des freien Willensvermögens nämlich, den freien Akt mit unfehlbarer Gewißheit sähe. Er will eben, daß der betreffende Akt frei sei; Er will Ihn aIs einen freien sehen. Frei aber in Wirklichkeit ist derselbe nur mit Rücksicht auf die nächste Ursache, weil er aus ihr folgen kann und auch nicht folgen kann. Also sieht Gott. den freien Akt nur dann als einen freien, wenn Er sieht, daß er in seiner nächsten Ursache, dem freien Willensvermögen, nicht mit Zuverlässigkeit enthalten ist. Gott also kann nur in seiner eigenen innersten, von nichts Äußerlichem beschränkten und allem Äußerlichen unzugänglichen Willensbestimmung den freien Akt sehen. Diese Willensbestimmung ist für alle Kreaturen unzugänglich. Denn die Kreatur als solche erkennt nur vermittelst der geschöpflichen, also vermittelst allgemeiner, Gründe. Der höchste dieser geschöpflichen Gründe ist das freie Willensvermögen; denn es ist erhaben über alle anderen Vermögen, dem Einwirken keiner anderen Kreatur mit Notwendigkeit unterliegend. Wie aber enthält das freie Willensvermögen den freien Akt? Wie die allgemeinste Ursache. Es enthält so den freien Akt, daß dieser mit Rücksicht auf dasselbe sein oder auch nicht sein kann; es ist also in vollster Unfähigkeit dafür, den freien Akt als einen Gegenstand zuverlässigen Wissens vorzustellen. Hier zeigt die ganze Natur auf den Sitz des Geheimnisses. Sie erklärt sich unfähig, weiter vorzudringen. Die Vernunft thut mit aller Kraft dar, daß ihr natürliches und ihr übernatürliches Licht hier auf Erden nicht weiter reicht; und daß sich ihre ganze Wissens- und Glaubenskraft darin zusammenfaßt, die Unzugänglichkeit des inneren Wesens Gottes unserem Geiste vorzustellen. In Gottes Hände allein sind wir gelegt nach allen Seiten hin. Er bestimmt souverän und ist in erster Linie die Ursache für unsere freie Thätigkeit. „Unsere freien Akte,“ sagte im vorigen Kapitel Thomas, „werden auf Ihn als auf die erste Ursache zurückgeführt.“ Ist dies die Ursache, daß, wie Augustin eben sagte, wir zittern und beben sollen? Nein und tausendmal neinl Vor der ewigen Güte und Liebe brauchen wir nicht zu beben. Sie hat Macht genug, um die Bestimmungen ihrer Güte und Liebe auszuführen. Vielmehr muß diese ganze Frage der geheimnisvollen Gnadenwahl nach der Seite hin geführt werden, daß wir von frischem Vertrauen und von neuer Zuversicht in die allwaltende Gnade Gottes erfüllt seien. Freude und Jubel muß der Gedanke in uns verbreiten, daß unsere Geschicke in Gottes Vaterhand liegen. „Apud Dominum sortes meae.“ Furcht und Zittern darf uns nur erfüllen vor uns selber. Wir sind schwach und ohnmächtig. Heute voll Eifer im Dienste Gottes, sind wir morgen lau und träge. Es giebt nur ein praktisches Mittel, um der Furcht und dem Zittern vor uns selber zu entfliehen, jenes Mittel, welches der Herr dem Jünglinge im Evangelium gab. „Halte die Gebote.“ Unnütz ist es für uns, darüber nachzudenken: Sind wir erwählt von Gott oder nicht. Nicht darüber werden wir gerichtet werden von Gott, daß wir vorherbestimmt waren oder nicht; nein; darüber, ob wir die Gebote Gottes gehalten haben: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“ „Gott fürchte und halte seine Gebote; das ist das Leben eines jeden Menschen;“ so schließt der Prediger seine praktische Lebensweisheit; „und alles, was geschieht, wird Gott vor sein Gericht ziehen,' mag es gut, mag es schlecht sein und Er wird berichtigen allen Irrtum.“ Wandeln wir nur nach denjenigen Ursachen, die Gott in den Geschöpfen und in der Offenbarung uns als Richtschnur unserer Erkenntnis und unseres Handelns vorgelegt! Wandeln wir nach ihnen, soweit auch immer sie uns führen! Sie kommen ja von Gott und entsprechen sowohl der Verherrlichung und der Ehre seiner Güte als auch unserem Nutzen, wie Thomas oben schon bemerkte. Was über diese Ursachen hinaus ist, das Innere der Weisheit und des Willens Gottes, das bewege uns stets, nachdem wir alles gethan, was die Geschöpfe Gottes und seine Offenbarung uns vorgestellt, und nachdem sie darauf verzichtet, uns weiter führen zu können, dem Beispiele des heiligen Augustin gemäß in den Ausruf des Apostolischen Staunens einzustimmen: „O Erhabenheit der Reichtümer der Wissenschaft Gottes!“ Von da oben aus werden wir über unsere Begriffe und über unser Denken hinaus, jenen Weg geführt werden, der in sich unergründlich, all seinen Grund und seine Richtung in den „unerforschlichen“ Ratschlüssen Gottes hat.
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