Dritter Artikel. Gott verwirft manche.
a) Es scheint, daß Gott keinen Menschen verwirft. Denn: I. Niemand verwirft, was er liebt. Gott aber liebt alle Menschen. Denn so steht geschrieben (Sap. 11, 25.): „Du liebst alles, was Sein hat, nichts hassest Du von dem, was Du geschaffen hast.“ Also verwirft Gott niemanden. II. Wenn Gott irgend jemanden verwürfe, so würde sich die Verwerfung zu den Verworfenen verhalten wie die Vorherbestimmung zu den Vorherbestimmten. Die letztere aber ist die Ursache für das Heil der Seligen. Also würde die Verwerfung die Ursache sein für das Verderben der Verworfenen. Das aber ist falsch. Denn der Prophet sagt (Osee. 13, 9.): „Dein Verderben ist aus dir, Israel; von mir allein kann dir Hilfe kommen.“ III. Niemanden darf angerechnet werden, was er nicht vermeiden kann. Wenn aber Gott jemanden verwirft, so kann dieser sein Verderben nicht vermeiden; wie Eccles. 7, 14. es heißt: „Betrachte die Werke Gottes, daß niemand denjenigen bessern kann, den jener verlassen hat.“ Also ist es den Menschen nicht anzurechnen, daß sie untergehen. Das ist aber durchaus falsch. Also verwirft Gott niemanden. - Auf der anderen Seite heißt es im Propheten (Malach. 1, 2.): „Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehaßt.“
b) Ich antworte, daß Gott manche verwirft. Denn die Vorherbestimmung ist ein Teil der Vorsehung. Der Vorsehung aber geziemt es, einen Mangel in jenen Dingen zu erlauben, welche ihr unterliegen. Da nun durch die göttliche Vorsehung die Menschen zum ewigen Leben hingeordnet werden, so entspricht es ihr auch, zu erlauben, daß manche der Erreichung dieses Enddzweckes ermangeln; — und das wird genannt: Verwerfen. So also erscheint, wie die Vorherbestimmung ein Teil der göttlichen Vorsehung ist rücksichtlich derer, die das ewige Leben erreichen; die Verwerfung ein Tei der Vorsehung rucksichtlich derer, welche zu Grunde gehen. Demnach bezeichnet „Verwerfung“ nicht bloß einen Akt des Vorherwissens; sondern sie fügt gemäß der Auffassung noch etwas hinzu. Sowie nämlich das Vorherbestimmen den Willen einschließt, Gnade und Herrlichkeit zuzuteilen, so ist in dem Verwerfen eingeschlossen der Wille zu erlauben, daß jemand in das Übel der Schuld fällt und die ewige Strafe dafür über ihn zu verhängen. I. Gott liebt alle Menschen und auch alle Kreaturen, insofern Er ihnen etwas Gutes will. Er will aber nicht ein und dasselbe Gute allen Kreaturen. Soweit Er also manchen dieses Gut, was da heißt „ewiges Leben“, nicht will, soweit wird von Ihm ausgesagt. Er hasse oder verwerfe. II. Die Vorherbestimmung verhält sich anders im Verursachen wie die Verwerfung. Denn die Vorherbestimmung ist die Ursache sowohl dessen, was für die Zukunft von den Vorherbestimmten aus erwartet wird, nämlich der Herrlichkeit; wie auch dessen, was in diesem Leben dargereicht wird, nämlich der Gnade. Die Verwerfung aber ist nicht die Ursache dessen, was in der Gegenwart, in diesem Leben begangen wird, nämlich der Sünde; sondern ist die Ursache, daß Gott jemanden verläßt. Und dann ist die Verwerfung. Ursache dessen, was im zukünftigen Leben vergolten wird, nämlich der ewigen Strafe. Die Schuld kommt allein vom freien Willen dessen, der sündigt und von der Gnade verlassen wird. Und nach dieser Seite hin bewahrheitet sich, was der Prophet sagt: „Dein Verderben“ etc. III. Die Verwerfung von seiten Gottes nimmt nichts von dem Vermögen des Verworfenen fort. Wenn also gesagt wird, der Verworfene könne nicht die Gnade erlangen, so ist das nicht von einer unbedingten Unmöglichkeit zu verstehen, sondern von einer bedingungsweisen, wie das in Kap. 19, Art. 3. auseinandergesetzt worden, der gemäß es notwendig ist, daß der Vorherbestimmte gerettet werde unter der Bedingung, daß er seine Freiheit bewahre und ausübe. Obgleich somit jemand, der von Gott verworfen wird, nicht Gnade erlangen kann; daß er aber in diese oder jene Sünde fällt, das kommt rein von seinem freien Willen. Und dies wird ihm mit Recht als Mißverdienst angerechnet.
