Fünfter Artikel. Das Vorauswissen der Verdienste ist nicht die Ursache der Vorherbestimnmng.
a) Es scheint, daß das Vorherwiffen der Verdienste die Ursache der Vorherbestimmung sei. Denn: -“ I. Der Apostel sagt (Röm. 8, 30.): „Die Gott vorausgewußt hat, diese hat Er vorausbestimmt.“ Und die Glosse des heiligen Ambrosius erklärt Röm. 9.: Miserebor cui miserebor: „Barmherzigkeit will ich jenem angebeihen lassen, von dem ich vorherweiß, daß er mit ganzem Herzen zu mir zurückkehren wird.“ II. Die Vorherbestimmung schließt in sich ein den göttlichen Willen, der unvernünftig nicht sein kann, da die Vorherbestimmung „der Vorsatz ist, Erbarmen zu üben“. (Augustin. 2. de praed. Sanct. 17.) Kein anderer Grund aber kann aufgefunden werden für die Vorherbestimmung als das Vorauswissen der Verdienste. Also. III. „Ungerechtigkeit besteht nicht auf seiten Gottes;“ sagt Paulus (Röm. 9, 14.). Ungerecht aber scheint es zu sein, wenn Gott denen, die in ihrer Natur und in der Erbsünde gleich sind, Ungleiches gäbe; nämlich den einen Verdienste verliehe, die anderen in den Mißverdienften ließe. Gott also bestimmt vorher oder verwirft, je nachdem Er die Verdienste oder Mißverdienste von seiten der Menschen voraussieht. Auf der anderen Seite sagt Paulus (ad Tit. 5, 5.): „Nicht den Werken der Gerechtigkeit zufolge, die wir gethan hätten, hat Er uns gerettet; sondern gemäß seiner Barmherzigkeit.“
b) Ich antworte; da die göttliche Vorherbestimmung in sich den Willen einschließt, so ist der Grund für die Vorherbestimmung in eben der Weise zu untersuchen wie der Grund für den Willen Gottes. Nun ist oben gesagt worden (Kap. 19, Art. 5), daß von seiten des Willensaktes ein Grund für den göttlichen Willen nicht angegeben werden kann, wohl aber von seiten der gewollten Gegenstande; insofern nämlich Gott will, daß das eine die Ursache für das andere in sich enthalte oder den Zweck für das andere bilde. Niemand also war so thöricht, daß er gesagt hätte, die Verdienste seien der Grund für den Akt des Vorherbestimmens auf seiten des Aktes selber, so daß der Akt des Vorherbestimmens durch die Verdienste getragen würde und auf ihnen ruhe. Das nur wird in Frage gestellt, ob auf seiten der Wirkung für die Vorherbestimmung eine Urfache bestehe; und dies will nichts anderes bedeuten als fragen, ob Gott vorherbestimmt hat, daß Er die Wirkung der Vorherbestimmung einem geben werde auf Grund einiger Verdienste dieses selben; wie Er z. B. bestimmt hat, daß die Früchte des Baumes hervorgebracht werden auf Grund der Kraft des Baumes. Da meinten nun einige, die Wirkung der Vorherbestimmung werde jemandem zugewiesen wegen der Verdienste, die Er sich vorher in einem anderen Leben erworben habe. Das war die Meinung des Origenes, welcher annahm, die menschlichen Seelen seien alle im Beginne der Schöpfung geschaffen worden; und je nach den damals erworbenen Verdiensten seien sie jetzt mit den verschiedenen, in jedem Falle entsprechenden Körpern vereinigt worden. Diese Meinung verwirft der Apostel (Röm. 9, 11.) mit den Worten: „Da sie noch nicht geboren und weder etwas Gutes noch Böses gethan hatten, nicht infolge ihrer Werke, sondern kraft des Berufenden ist gesagt worden, der ältere werde dem jüngeren dienen.“ Deshalb gab es wieder andere, die da behaupteten, nicht die vorherbestehenden Verdienste, sondern die Verdienste in diesem Leben seien das Maß und die Richtschnur dessen, was von der Vorherbestimmung gewirkt wird. Die Pelagianer nämlich nahmen an, daß der Anfang des guten Werkes aus uns ist und die Vollendung desselben von Gott. Und von da her käme es nach ihnen, daß die Wirkung der Vorherbestimmung dem einen gegeben werde und nicht dem anderen; weil nämlich der eine den Beginn gemacht hat, indem er sich vorbereitete, nicht aber der andere. Dagegen aber wendet sich wieder der Apostel und sagt (2. Kor. 2, 5.): „Wir sind nicht genügend, etwas von uns aus zu denken, als ob es aus uns allein herkäme.“ Denn offenbar kann für ein beliebiges Werk kein anderer Anfang gefunden werden wie der Gedanke. Sonach kann das nicht gesagt werden, daß in uns ein Beginn existiert, welcher den maßgebenden Grund abgebe für die Vorherbestimmung. Deshalb gab es noch wieder andere, die da meinten, daß die Verdienste, welche der Wirkung der Vorherbestimmung, also der Gnade, folgten, der Grund seien für die Vorherbestimmung; und zwar in dem Sinne, daß Gott deshalb jemandem die Gnade giebt und vorherbestimmt hat. Er würde danach sie ihm geben, weil Er vorausgesehen hat, daß dieser Mensch die Gnade gut gebrauchen würde; wie z.B. der König jemandem ein Pferd giebt, wissend, derselbe werde das Pferd gut gebrauchen. Die das annehmen, scheinen unterscheiden zu wollen zwischen dem, was von der Gnade herkommt und dem, was vom freien Willen ausgeht; als ob nicht aus ein und derselben Wurzel beides hervorgehen könnte. Denn es ist offenbar, daß jenes, was von der Gnade ausgeht, die Wirkung bereits der Vorherbeftimmung ist; und das kann dann nicht zugleich als der Grund für die Vorherbestimmung betrachtet werden, da es ja in der Vorherbestimmung schon eingeschlossen ist. Soll also etwas anderes von unserer Seite aus der Grund sein für die Vorherbestimmung, so muß sich dies außerhalb der Wirkung der Vorherbestimmung finden. Nun ist das aber nicht verschieden voneinander, was aus der Vorherbestimmung ist und aus dem freien Willen, wie gleicherweise nicht verschieden ist, was aus der ersten und zweiten Ursache stammt; wie ganz dasselbe Kunstwerk es ist, was vom Künstler stammt und dem angewandten Werkzeuge. Denn die göttliche Vorsehung bringt ihre Wirkungen hervor vermittelst der zweiten untergeordneten Ursachen wie Kap. 19, Art. 5 gesagt worden. Also auch das, was vom freien Willen ist, geht von der Vorherbestimmung als Wirkung aus; und ist nicht der Grund für dieselbe. Es muß sonach so gesagt werden. Die Wirkung der Vorherbestimmung kann in doppelter Weise betrachtet werden. Einmal im besonderen, einzelnen; — und so hindert es nichts, daß die eine besondere Wirkung der Vorherbestimmung der Grund und die Richtschnur der anderen Wirkung sei; die nachfolgende Wirkung nämlich als Zweck der vorhergehenden und die vorhergehende als verdienend die nachfolgende. So können wir z. B. sagen, Gott habe vorherbestimmt, jemandem die Herrlichkeit zu geben wegen seiner Verdienste und eben demselben die Gnade zu geben, damit er die Herrlichkeit verdiene. Dann kann die Wirkung der Vorherbestimmung betrachtet werden im Ganzen; — und so ist es ganz unmöglich; daß die Gesamtwirkung der Vorherbestimmung irgend welche Ursache habe von unserer Seite her. Denn schlechthin alles, was innerhalb des Menschen ihn zum ewigen Heile hin bestimmt und regelt, dies alles schlechthin ist inbegriffen in der Wirkung der Vorherbestimmung und zwar selbst die Vorbereitung zur Gnade. Denn auch dies geschieht nur kraft des göttlichen Beistandes gemäß Thren. ult. 21.: „Belehre uns, o Herr, zu Dir; und wir werden uns bekehren.“ So hat denn die göttliche Vorherbestimmung von seiten der Wirkung als Grund und Richtschnur einzig und allein die göttliche Güte, zu welcher hin die Gesamtwirkung der Vorherbestimmung als zum Enzwecke gelenkt wird und von der sie ausgeht wie vom erstbewegenden Princip. I. Der Gebrauch, welchen der Mensch von der Gnade macht, ist vorausgewußt; aber er ist nicht der Grund für die Mitteilung der Gnade außer als besonderer Zweck, für welchen die Gnade gegeben worden, nämlich um Verdienste zu sammeln; wie eben gesagt worden. II. Als Ganzes hat die Wirkung der Vorherbestimmung ihren Grund in der Güte Gottes; eine besondere einzelne Wirkung aber kann der Grund für eine andere besondere einzelne sein, wie eben gesagt worden. III. Aus der göttlichen Güte selber heraus kann der Grund entnommen werden für die Vorherbestimmung der einen und für die Verwerfung der anderen. Denn es hat Gott alles auf Grund seiner Güte gemacht, damit in den Dingen die göttliche Güte dargestellt würde. Es ist aber notwendig, daß die göttliche Güte, welche in sich einfach und eine einige ist, verschiedenartig und unter vielfachen Formen in den Dingen erscheine, weil die geschaffenen Dinge zur göttlichen Einfachheit nicht hinanreichen können. Und daher kommt es, daß zur Vollendung des All verschiedene Seinsstufen erfordert werden, von denen manche im All den niedrigsten, manche den höchsten Platz einnehmen. Und damit diese Vielfachheit in den Graden bewahrt bleibe, erlaubt Gott, daß einige Übel geschehen, damit nicht vieles Gute entfernt werde. (Vgl. Kap. 22, Art. 2. Augustin I. ad Simplicianum quaest. 11.; 2. de bono persever. c. 8.) So müssen wir demgemäß das Menschengeschlecht als Ganzes betrachten, wie das Ganze des Weltall. Gott also wollte, daß manche unter den Menschen seine Barmherzigkeit darthun; und diese hat Er geschont und sie vorausbestimmt zum Leben! Er wollte ebenso, daß andere unter den Menschen seine Gerechtigkeit darstellen; und diese verwirft Er, sie werden der Strafe überantwortet. Und dies ist der Grund, weshalb Gott die einen auswählt und die andern verwirft. Diesen Grund bezeichnet der Apostel mit den Worten: „Er wollte seinen Zorn zeigen (nämlich die Rache seiner Gerechtigkeit) und offenbaren seine Macht; deshalb hat Er in vieler Geduld die Gefäße des Zornes ertragen, die da geeignet sind für den Untergang und damit Er dadurch zeige die Schätze seiner Herrlichkeit in den Gefäßen der Barmherzigkeit, die Er vorbereitet hat für die Herrlichkeit.“ (Röm: 9, 22.) Und ebenso (2. Tim. 2, 20.): „In einem großen Hause sind nicht nur goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und thönerne: die einen zur Ehre, die andern zur Schande.“ Warum aber Gott im einzelnen die einen auswählt zur Herrlichkeit und die anderen verwirft, das hat keinen Grund als den göttlichen Willen. Deshalb sagt Augustin (tract. 26. Joan.): „Weshalb Er diesen zieht und jenen nicht, das wolle nicht beurteilen, wenn du nicht irren willst.“ So kann ja auch in den stofflichen Dingen der Grund angegeben werden, warum, da der Urstoff sich immer gleich, immer an und für sich gleichartig ist, warum trotzdem ein Teil desselben sich unter der Wesensform des Feuers finde, der andere unter der Wesensform der Erde; damit nämlich auf diese Weise eine Verschiedenheit sei in den stofflichen Dingen. Warum aber gerade dieser Teil des Stoffes diese Wesensform trägt und jener Teil jene andere; das hängt vom einfachen Willen Gottes ab. Gleicherweise hängt es vom einfachen Willen des Baumeisters ab, daß jener Stein in diesem Teile der Mauer sei und jener andere in einem anderen; das Wesen der Kunst aber erfordert, daß im allgemeinen einige Steine da seien und andere wieder dort. Deshalb ist aber keine Ungerechtigkeit bei Gott, wenn Er Ungleiches vorbereitet für die, welche nicht ungleich sind. Das nur wäre gegen die Natur der Gerechtigkeit, wenn die Wirkung der Vorherbestimmung eine Schuld wäre gegenüber den Geschöpfen und nicht ein durchaus freies Geschenk. Denn in dem, was aus freier Gnade heraus gegeben wird, kann jeder nach seinem Belieben geben, wenn er will, mehr oder minder; wenn er nur niemandem entzieht, was er ihm schuldet, das geschieht, ohne der Gerechtigkeit entgegenzutreten. Und das wird mit den Worten bezeichnet, welche bei Matth. 20, 15. der Familienvater spricht: „Nimm, was dein ist und gehe; oder ist es mir nicht erlaubt zu thun, was ich will?“
