Vierter Artikel. Die Gnadenwahl von seiten Gottes.
a) Die Vorherbestimmten scheinen nicht von Gott auserwählt zu sein. Denn: I. Dionysius sagt: „Wie die stoffliche Sonne nicht infolge einer vorhergemachten Auswahl über alle Körper ihr Licht ausgießt; in eben der Weise gießt Gott seine Güte über alles aus.“ (4. de div. nom.) Die göttliche Güte teilt sich nun besonders mit durch die Mitteilung der Gnade und Herrlichkeit. Gott also teilt dies mit ohne vorherige Auswahl. II. Die Auswahl betrifft diejenigen, welche existieren. Die Vorherbestimmung aber besteht auch rücksichtlich dessen, was nicht existiert. Also manche werden ohne Auswahl vorherbestimmt. III. Jede Auswahl bedingt einen gewissen Unterschied. Gott aber will, daß alle Menschen selig werden. Also die „Vorherbestimmung“, welche die Menschen zum ewigen Leben hinordnet, besteht ohne vorhergehende Auswahl. Auf der anderen Seite aber sagt der Apostel (Ephes. 1, 4.): „Er hat uns ausgewählt, bevor Er die Welt machte.“
b) Ich antworte, daß die Vorherbestimmung ihrer Natur nach eine Auswähl voraussetzt und diese ist bedingt durch die Liebe. Der Grund davon ist, daß die Vorherbestimmung ein Teil der Vorsehung ist. Die Vorsehung aber ist (Kap. 22, Art. 2) der in der Vernunft befindliche maßgebende Grund, der die Hinordnung gewisser Wesen zum Zwecke hin leitet. Es wird aber nichts zum Zwecke hingeordnet, wenn nicht der Wille für den Zweck vorherbesteht. Deshalb setzt die Vorherbestimmung derer, die ins ewige Leben eintreten sollen, dem Wesen nach voraus, daß Gott deren Seligkeit will. Dazu aber gehört Auswahl und Liebe. Es gehört dazu Liebe, insofern ihnen Gott dieses Gute: das ewige Leben nämlich, will; denn „Lieben“ heißt jemandem Gutes wollen. Es gehört ferner dazu Auswahl, insofern Gott einzelnen dieses Gut vorzugsweise vor anderen will, da Er manche verwirft. Diese Wahl und diese Liebe sind jedoch in Gott anders geordnet und bezogen wie bei uns. Denn bei uns verursacht der Wille, der da liebt, nicht das Gute, sondern das vorherbestehende Gut regt uns an zum Lieben; und deshalb erwählen wir jemanden, den wir lieben, so daß die Auswahl bei uns der Liebe vorhergeht. In Gott aber ist das Umgekehrte der Fall. Denn sein Wille, vermöge dessen Er jemandem Gutes will, ist die Ursache davon, daß dieser betreffende vor anderen dieses Gut besitzt. Und so ist klar, daß bei Gott die Liebe der Auffassung nach der Wahl vorausgeht; und ebenso, daß dann die Wahl vorausgeht der Vorherbestimmung. Sonach sind alle Vorherbestimmten zugleich Erwählte und Geliebte.
c) I. Soweit die Mitteilung von Gutem im allgemeinen aufgefaßt wird, ist dieselbe ohne Auswahl; denn nichts besteht, was nicht irgendwie an der Güte Gottes Anteil hätte. Wenn aber betrachtet wird die Mitteilung dieses oder jenes besonderen bestimmten Gutes, so ist dies nicht ohne Auswahl; denn Gott giebt manchen diese, anderen jene Güter. Und so tritt die Auswahl ein in die Verleihung der Gnade und der Herrlichkeit. II. Wenn der Wille angeregt wird vom Guten, was in der Wirklichkeit bereits besteht, so ist erforderlich, daß die Auswahl jenes berücksichtigt, was bereits ist; wie dies bei unserer Auswahl der Fall ist. Und deshalb sagt Augustin (11. de Verb. apost.): „Ausgewählt werden von Gott jene, die nicht sind; und gleichwohl irrt nicht, der da auswählt.“ III. Gott will, daß alle selig werden mit vorhergehendem Willen; denn in ihrer Natur oder in ihren Vermögen, in allem dem, was der thatsächlichen Wahl vorhergeht und was Gott geschaffen, ist nichts Böses; alles dies zieht zu Gott hin; wie das Kapitel 19, Artikel 6 auseinandergesetzt worden. Er will aber nicht, daß alle selig werden mit nachfolgendem Willen; das Fallen nämlich einzelner, was der Natur und den Vermögen nachfolgt, mit vorausgesetzt und eingeschlossen. Sonach will Gott nach einer gewissen Seite hin, daß alle selig werden; Er will aber es nicht, was den menschlichen Akt in seinem Ganzen, mit allem, was zu selbem gehört, also auch mit dem Fallen des freien Aktes zusammen, anbetrifft.
