44.
Wer würde diesen Erretter nicht auch bei Daniel (cf. Dan. 7,13) erkennen, wo der Menschensohn jenem Hochbetagten begegnet und die Herrschaft ohne Ende empfängt, dass alle Völker ihm dienen?
Wenn man schliesslich jene Stelle aus der Prophetie des selben Daniel liest, aus der der Herr mit folgenden Worten zitierte (Mt. 24,15): Wenn ihr ‛den Greuel der Verwüstung, der an heiliger Stätte errichtet wurde (cf. Dan. 9,27; 12,11)’ seht; wer das liest, wird es wohl verstehen, und wenn man sich dann noch nach Zusammenrechnung der dort (ib. Dan.) angegebenen Zeiten die Summe der Wochen genau ansieht, so erkennt man darin nicht nur Christus, sondern auch den Zeitpunkt, zu dem er kommen musste, um zu leiden. Allerdings treiben wir die Juden auch ohne solche Zeitrechnungen, allein durch offensichtlich schon in Erfüllung gegangene Voraussagen immer wieder in die Enge. Unser Disput mit ihnen betrifft ja nicht die Frage, ob unser Heil in Christus liegt, sondern ob dieser bereits gekommen ist und gelitten hat, und dabei wird ihr Standpunkt durch ganz augenscheinlich eingetretene Tatsachen widerlegt: zum einen dadurch, dass alle Heidenvölker zum Glauben gekommen sind, und es war ja diesselbe Schrift, der sie sich nun fügen müssen, welche vorausgesagt hatte, dass sie sich ihr einst unterwerfen werden, und diese erstrahlt nun auf dem ganzen Erdkreis so hell, dass sie die Augen aller trifft, die noch Ausflüchte suchen, zum andern durch jene Vorgänge, die im Volk der Juden selber bereits eingetreten sind: dass ihr Heiligtum zerstört wurde (cf. Dan. 9,26), dass die Opfer (cf. Ib. 27) samt dem Priestertum und der althergebrachten Salbung (cf. Ib. 26) aufhörten; all dies sagte ja Daniel für die Zukunft voraus, als er damals ganz klar prophezeite, dass (das?) der Heilige unter den Heiligen gesalbt werde (cf. Ib. 24). Da nun alles andere bereits Wirklichkeit geworden ist, fragt man sie auch nach dem gesalbten Heiligen unter den Heiligen, und sie wissen keine Antwort. Wie wäre es zu erklären, dass sie mit uns über den Gesalbten (über Christus?) selber keinen Disput führen wollen, sondern nur über den Zeitpunkt seiner Ankunft, wenn sie nicht genau wüssten, dass er in ihren eigenen Büchern prophezeit wurde? Warum fragen sie Johannes, ob er selber der Gesalbte sei (cf. Joh. 1,19)? Warum sagen sie zum Herrn selber (Joh. 10,24): Wie lange noch lässt du uns im Ungewissen? Wenn du der Gesalbte bist, sag es uns offen! Warum sagen Petrus, Andreas und Philippus zu Nathanael (cf. Joh. 1,41): Wir haben den Messias gefunden, was übersetzt heisst: der Gesalbte? Doch nur weil diese Bezeichnung in jenem Volk durch jene Schriften bekannt war, und der so Bezeichnete erwartet wurde! Denn kein anderes Volk hatte Gesalbte als Könige und Priester und bezeichnete sie auch so (cf. Exod. 1 ff.; I reg. 10,1), und sie durften mit dieser sinnbildhaften Salbung erst aufhören, wenn jener käme, der in diesen Gesalbten angekündigt wurde. Denn die Juden anerkannten zwar jene als ihre Gesalbten, aber sie hofften doch auf den einen Gesalbten, der ihnen erst die Freiheit bringen würde; doch blind gemacht durch die verborgene Gerechtigkeit Gottes bedachten sie nur seine Stärke und erkannten deshalb seine Schwäche nicht, in der er für uns gestorben ist. Daraus erkennen wir, dass jene Prophezeiung im Buch der Weisheit auf sie gemünzt war: Zu einem ganz ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; denn nach seinen Worten wird er in Obhut sein (Sap. 2,20); wenn er wahrhaft der Sohn Gottes ist, wird dieser sich seiner annehmen und ihn aus der Hand der Feinde befreien (ib. 18). Dies dachten sie sich und gingen in die Irre; denn ihre Bosheit hat sie verblendet (ib. 21). Dies kann nun im wahrsten Sinn auch von diesen Juden gesagt werden, die bei einer solchen Fülle von Zeugnissen, angesichts dessen, dass in jenen Schriften so viele Heilstatsachen als Ankündigung bereitgestellt, so viele in ihrer Verwirklichung offenbart wurden, immer noch behaupten, Christus sei dort nicht prophezeit worden. Auch wenn sie das immer und immer wieder behaupten, sind wir immer und immer wieder imstande, weitere Belege dafür beizubringen, mit der Hilfe dessen, der uns gegen die Verleumdungen menschlichen Irrwahns solch reichen Vorrat zur Verfügung stellte, dass wir nicht wiederholen müssen, was wir bereits vorgebracht haben.
