9.
Wie Kains Opfer, das aus Früchten des Feldes bestand, verworfen, Abels Opfer dagegen, das aus Schafen und deren Fett bestand, angenommen wird (cf. Gen. 4,3 ff.), ebenso wird der Glaube des Neuen Testaments, welcher Gott aus der Unschuld der Gnade heraus preist, den irdischen Werken des Alten Testaments vorgezogen; denn die Juden hatten zwar vorher richtig gehandelt, wenn sie jene Werke vollbrachten, sie machten sich aber des Unglaubens schuldig, weil sie, als Christus kam, nicht unterschieden zwischen der Zeit des Neuen Testaments und jener des Alten Testaments. Denn Gott sagte ja zu Kain (cf. Gen. 4,7 Septuag.): Wenn du zwar richtig opferst, aber das Opfer(zeitlich?) nicht richtig aufteilst, war es Sünde. Wenn nun Kain Gott gehorcht hätte, als dieser sagte (gen. 4,7): Werde ruhig! Denn die Sünde kommt auf dich, doch du sollst Herr über sie werden, dann hätte er seine Sünde auf sich genommen, und wäre so, indem er sie sich selber zugeschrieben und vor Gott bekannt hätte, unterstützt durch die Gnade seiner Barmherzigkeit, Herr geworden über seine Sünde, und er hätte nicht unter ihrer Herrschaft, als Sklave der Sünde, seinen unschuldigen Bruder getötet. Das gleiche gilt für die Juden: wenn auch sie, für die ja all dies modellhaft geschah, aus der Verwirrung ihres Herzens zur Ruhe gefunden, und im Wissen, dass nun die Zeit des Heils durch die Gnade mit der Vergebung der Sünden gekommen war, auf Gott gehört hätten, der sagte (Mt. 9,12 f.): Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern jene, denen es schlecht geht; nicht die Gerechten zu rufen bin ich gekommen sondern die Sünder zur Reue, und ebenso (Joh. 8,34): Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde, und weiter (Joh. 8,36): Wenn euch der Sohn befreit, seid ihr wirklich frei, dann hätten auch sie ihre Sünde durch ein Bekenntnis auf sich genommen und zu ihrem Arzt gesagt, wie es im Psalm (Ps. 41,4) steht: Ich sagte, Herr, erbarme dich meiner; heile meine Seele, denn ich habe gegen dich gesündigt, und sie hätten, frei geworden durch die Erwartung der Gnade, die Herrschaft über diese Sünde gewonnen, solange sie in ihrem sterblichen Leib verbliebe. Da sie nun aber die Gerechtigkeit Gottes verkannten, und ihre eigene aufrichten wollten (cf. Rm. 10,3), wurden sie, statt demütig zu werden wegen ihrer Sünden, durch die Werke des Gesetzes überheblich, und fanden deshalb nicht zur Ruhe. Und da die Sünde ihren sterblichen Leib beherrschte und sie deshalb dessen Begierden gehorchten (cf. Rm. 6,12), stiessen sie am Stein des Anstosses an (cf. Rm. 9,32/Is. 8,14) und entbrannten in Hass gegen Christus, da sie zu ihrem grossen Schmerz erkannten, dass seine Werke von Gott angenommen wurden; – dies geschah damals (cf. Joh. 9), als ein Blindgeborener, der nun sehen konnte, zu ihnen sagte (Joh. 9,31): Wir wissen, dass Gott die Sünder nicht erhört, wohl aber den erhört, der ihn verehrt und seinen Willen tut, als ob er zu ihnen sagen würde: Kains Opfer beachtet er nicht, Abels Opfer dagegen beachtet er. Und so wird Abel, der jüngere, von seinem Bruder Kain, dem älteren, getötet: Christus, das Haupt des jüngeren Volkes, wird vom älteren Volk der Juden getötet; jener auf dem Feld, dieser auf dem Kalvarienberg.
