13.
Und Gott der Herr machte Kain ein Zeichen, dass ihn keiner, der ihn findet, erschlage (gen. 4,15). Es ist in der Tat ein ganz erstaunliches Phänomen, wie alle andern Völker, die von den Römern unterjocht wurden, zur römischen Religion übergetreten sind und es auf sich genommen haben, deren götzendienerhaften Rituale zu beobachten und zu feiern, während das Jüdische Volk weder unter heidnischen noch unter Christlichen Herrschern das Siegel seines Gesetzes, wodurch es sich von den übrigen Stämmen und Völkern unterscheidet, aufgegeben hat; und jeder Kaiser oder König, der sie in seinem Reich vorfindet, findet sie mit diesem Siegel gekennzeichnet, und keiner tötet sie, d.h. keiner setzt es durch, dass sie ihr Judentum, welches durch das wahrhaft unabänderliche und charakteristische Siegel ihres Gesetzeswerkes von der Gemeinschaft der übrigen Völkern geschieden ist, aufgeben, von den Ausnahmen einmal abgesehen, die zu Christus übergetreten sind, die man also nicht mehr als ‛Kain’ vorfindet, die sich nicht mehr vor dem Angesicht Gottes verbergen und nicht mehr im Land Naim wohnen, ein Name, der sich, wie gesagt wird, mit ‛Erschütterung’, ‛Wanken’ übersetzen lässt. Es ist dies ein Übel, gegen das Gott im Psalm angerufen wird: Bring meine Füsse nicht ins Wanken (Ps. 65,9)! und: Die Hand der Sünder sollen mich nicht ins Wanken bringen (Ps. 35,12)! und: Die mich bedrängen, werden jubeln, wenn ich ins Wanken komme (Ps. 12,5); und: Der Herr ist mir zur Rechten, damit ich nicht ins Wanken komme (Ps. 15,8); und ähnliches findet sich an zahllosen weiteren Stellen. Dieses Wanken widerfährt allen, die sich aus dem Antlitz Gottes, d.h. aus der Barmherzigkeit seiner Liebe entfernen. Deshalb heisst es in einem Psalm (Ps. 29,7): In meinem Wohlergehen sagte ich einmal: ich werde in Ewigkeit nicht ins Wanken kommen; doch sieh dir an, was folgt (Ps. 29,8): Herr, in deinem Wohlwollen gabst du meiner Ehre Kraft; doch dann wandtest du dein Antlitz ab, und ich geriet in Unsicherheit. Daraus ersieht man, dass jede Seele nur durch die Teilhabe am Licht Gottes, nicht aus sich heraus schön, in Ehre und im Besitz ihrer Kraft ist. Wenn auch unsere Manichäer dies bedenken und erkennen würden, verfielen sie nicht auf eine so schlimme Blasphemie, zu glauben, sie seien die Natur und Substanz ihres Gottes. Doch diese Erkenntnis ist ihnen verschlossen, weil sie nicht zur Ruhe kommen; denn sie verstehen den Sabbat des Herzens nicht. Wenn sie nämlich zur Ruhe kämen, wozu auch Kain aufgefordert wurde (cf. Gen. 4,7), würden sie ihre Sünde auf sich nehmen, d.h. sie sich selbst, nicht einem mysteriösen Volk der Finsternis, zuschreiben, und so durch die Gnade Gottes die Herrschaft über diese Sünde gewinnen. Nun aber wohnen sie und all jene, die aufgrund verschiedener Irrtümer störrisch der Wahrheit widerstehen und sich damit aus dem Antlitz Gottes entfernen, wie das für Kain, wie es für die verworfenen Juden gilt, im Land des ‛Wankens’, d.h. in der Verwirrung des Fleisches, den Lustgarten Gottes, d.h. Eden – ein Wort, das man mit ‛Gastmahl’ übersetzt – vor Augen, da wo das Paradies angepflanzt ist. Die übrigen Beispiele möchte ich nun in einer kleinen Auswahl aus der Vielzahl der Belege und in geraffter Form kurz besprechen, um nicht den Plan des Gesamtwerkes und der hier vorgelegten Antwort durch eine allzu ausführliche Darstellung durcheinander zu bringen.
