11.
Und der Herr sagt zu Kain (gen. 4,11 f.): Und ab jetzt bist du von der Erde verflucht, welche ihren Mund geöffnet hat, um das Blut deines Bruders aus deiner Hand zu empfangen; denn du wirst die Erde bebauen, doch sie wird dir ihre helfende Kraft verweigern; jammernd und zitternd wirst du auf der Erde sein. Er sagte nicht: Verflucht ist die Erde, sondern du bist von der Erde verflucht, welche ihren Mund geöffnet hat, um das Blut deines Bruders aus deiner Hand zu empfangen. Es ist natürlich das ungläubige jüdische Volk, das hier von der Erde verflucht wurde, d.h. von der Kirche, welche ihren Mund öffnete, um beim Bekenntnis der Sünden das Blut Christi zu empfangen, das zur Vergebung der Sünden ausgegossen wurde durch die Hand des Verfolgers, der nicht unter der Gnade, sondern unter dem Gesetz sein wollte, sodass er von der Kirche verflucht wurde, was im Klartext besagen will, dass die Kirche erkannte und deutlich machte, dass dieser verflucht ist, so wie es der Apostel ausdrückt (Gal. 3,10): Denn alle, die sich den Werken des Gesetzes unterwerfen, stehen unter dem Fluch des Gesetzes.
Nach den Worten (gen. 4,11): Du bist verflucht von der Erde, welche ihren Mund geöffnet hat, um das Blut deines Bruders aus deiner Hand zu empfangen, fuhr nun aber Gott nicht fort: denn du wirst diese Erde bebauen, sondern sagte (gen. 4,12): Denn du wirst die Erde bebauen, doch sie wird dir ihre helfende Kraft verweigern. Die Stelle muss also nicht unbedingt so verstanden werden, dass Kain genau das Stück Erde bebauen wird, welches seinen Mund öffnete, um das Blut des Bruders aus Kains Hand zu empfangen, sie lässt sich vielmehr so verstehen, dass die Verfluchung Kains darin besteht, dass er weiter die Erde bebauen wird, diese ihm aber ihre helfende Kraft verweigert; das heisst, dass die Kirche die Verfluchung des Jüdischen Volkes darin erkennt und sie damit verdeutlicht, dass dieses Volk auch nach der Tötung Christi weiterhin die irdische Beschneidung vollzieht, den irdischen Sabbat, das irdische Fest der Ungesäuerten Brote, das irdische Pascha begeht, alles irdische Rituale, deren verborgene Kraft darin liegt, die Gnade Christi erkennbar werden zu lassen, welche jedoch den Juden, welche ja immer noch in Gottlosigkeit und Unglauben verharren, nicht geschenkt wird, da sie erst durch das Neue Testament enthüllt wurde; und solange die Juden sich nicht dem Herrn zuwenden, wird sich ihnen der Schleier nicht lüften, der über dem Text des Alten Testaments liegt, da er einzig in Christus beseitigt wird (cf. II Kor. 3,14 ff.) – und mit der Beseitigung meinen wir natürlich nicht den Text des Alten Testaments, welcher die verborgene Kraft enthält, sondern den Schleier, der diese verhüllt. Daher riss, nachdem Christus am Kreuz gelitten hatte, der Vorhang des Tempels entzwei (cf. Mt. 27,51), damit so durch das Leiden Christi die Geheimnisse jener Heilssymbole für die Gläubigen enthüllt würden, die sich ihm zuwandten, um mit ihrem zum Bekenntnis geöffneten Mund sein Blut zu trinken. Deshalb übt jenes Volk, so wie Kain weiterhin die Erde bebaut, weiterhin in fleischlicher Weise die Werke des Gesetzes aus, welches ihm aber seine Kraft nicht preisgibt, weil die Juden in ihm die Gnade Christi nicht erkennen. Deshalb haben sie auch durch eben jene ‛Erde’, die Christus auf sich trug, d.h. durch sein Fleisch, unser Heil bewirkt, indem sie Christus kreuzigten, der wegen unserer Sünden für uns gestorben ist (cf. I Kor. 15,3). Und deshalb auch hat ihnen diese ‘Erde’ ihre Kraft vorenthalten, da sie ja nicht gerechtfertigt wurden durch die Kraft der Auferstehung dessen, der zu unserer Rechtfertigung auferstanden ist (cf. Rm. 4,25); denn er wurde zwar wegen seiner Schwachheit gekreuzigt, aber er lebt aus der Kraft Gottes, wie es der Apostel sagt (cf. II Kor. 13,4). Dies also ist die Kraft jener ‘Erde’, die Christus den Gottlosen und Ungläubigen nicht zeigte (cf. 340,10). Deshalb auch erschien er bei seiner Auferstehung jenen nicht, die ihn gekreuzigt hatten; er war also gleichsam die ‛Erde’, die dem Kain, als er die Erde bearbeitete, um jenes Korn auszusäen, das Ergebnis ihrer helfenden Kraft nicht sehen liess. Denn du wirst die Erde bebauen, heisst es da (gen. 4,12), doch sie wird dir darauf ihre helfende Kraft verweigern.
