Neunter Artikel. Die Engel können keinen Fortschritt mehr machen in ihrer Seligkeit.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Das Princip des Verdienstes ist die Liebe. In den Engeln aber ist vollkommene Liebe. Also können sie verdienen und damit im Seligsein fortschreiten. II. Augustin sagt (I. de doctr. christ. c. 32.): „Gott gebraucht uns zu unserem Nutzen und zur Offenbarung seiner Güte.“ Dasselbe gilt von den Engeln, deren Er Sich bedient, „zum Beistande jener, welche zum ewigen Erbe berufen sind.“ (Hebr. 1, 14.) Zu ihrem Nutzen aber wäre dies nicht, wenn damit für sie kein Verdienst verbunden sein würde und mit dem Verdienste die Vermehrung ihrer Herrlichkeit. III. Zur Unvollkommenheit gehört es, nicht auf der höchsten Stufe zu sein und trotzdem keine Fortschritte machen zu können. Die Engel aber sind nicht auf der höchsten Stufe, sondern können immer weiter; und Unvollkommenheit oder Mangel darf aber in ihnen nicht sein. Also können sie weiter fortschreiten. Auf der anderen Seite gehört Verdienst und Fortschreiten zur Pilgerschaft. Die heiligen Engel aber sind am Ziele.
b) Ich antworte: Bei jeder Bewegung hat der Bewegende ein bestimmtes Etwas vor Augen, wohin er das Bewegliche zu führen beabsichtigt. Denn jegliche Absicht richtet sich auf einen Endzweck; dem Endzwecke aber ist entgegen das Vorgehen ins Endlose. Nun ist es offenbar, daß, da die vernünftige Kreatur nicht mit eigener Kraft zur Seligkeit in der Anschauung gelangen kann, sie dazu von Gott hingelenkt und hinbewegt werden muß. Demnach muß es ein bestimmtes Etwas sein, wohin jede vernünftige Kreatur wie zu ihrem letzten Endzwecke gelenkt wird. Dieses bestimmte Etwas kann aber nicht die Anschauung Gottes sein, mit Rücksicht auf das, was geschaut wird, denn das gleiche Wesen Gottes wird von allen Seligen auf ihren verschiedenen Stufen gesehen. Wohl aber wird mit Rücksicht auf die Art und Weise des Sehens aus der Absicht des Lenkenden jedem verschieden der Zielpunkt vorgeschrieben. Es ist nämlich nicht möglich, daß, sowie die vernünftige Kreatur zum Anschauen des höchsten Wesens geführt wird, so sie auch die erhabenste Art und Weise, es zu schauen, erreiche; nämlich es völlig in sich begreife. Das kommt nur Gott allein zu. Da aber eine unendlich große Kraft dazu gehört, Gott völlig zu begreifen; und die Kraft der Kreatur im Schauen nur eine endliche sein kann, das Unendliche jedoch vom Endlichen durch unendlich viele Grade entfernt ist; so trifft es zu, daß in vielfacher Weise die vernünftige Kreatur Gottes Wesen schaut, mehr oder minder nämlich durchdringend. Und wie die Seligkeit in der Anschauung selber besteht, so die Verschiedenheit der Stufen in der Seligkeit in der verschiedenen Art und Weise der Anschauung. Jede vernünftige Kreatur wird also in der Weise von Gott zur seligen Anschauung geführt, daß sie auch der Vorherbestimmung Gottes zufolge zum bestimmten Grade in der Anschauung gelenkt wird. Ist dieser Grad erreicht, so ist ein weiteres für sie nicht möglich,
c) I. Verdienen gehört dem zu, der zum Zwecke hin in Bewegung ist. Das geschieht aber bei der vernünftigen Kreatur nicht nur dadurch, daß sie leidet und empfängt oder bestimmt wird, sondern auch dadurch, daß sie wirkt. Steht nun der Zweck unter der Kraft der vernünftigen Kreatur, so wird gesagt, daß jenes Thätigsein den Zweck sich erwerbe; wie ein Mensch durch Nachdenken sich Wissenschaft erwirbt. Steht der Zweck aber nicht unter der Kraft dieser Kreatur, sondern wird er als Geschenk von einem anderen erwartet; so verdient die entsprechende Thätigkeit den Endzweck. Was aber am Ziel bereits ist, dem kommt es nicht, in Bewegung dahin zu sein; sondern vielmehr verändert oder bewegt worden zu sein. Somit gehört es der unvollkommenen Liebe, wie sie auf der Pilgerschaft wirkt, zu, daß sie verdient; der vollkommenen, des Lohnes zu genießen. So erwirbt der Künstler durch verschiedene Thätigkeiten seine Kunstfertigkeit; ist letztere aber in seinem festen Besitze, so freut er sich derselben. Somit hat die vollkommene Liebe der Seligen nicht den Charakter des Verdienstes, sondern die Vollendung des Lohnes. II. Nützlich ist einmal etwas für den Weg zum Zwecke; und so ist nützlich das, was für die Seligkeit verdienstlich ist. Dann ist etwas nützlich wie der Teil für das Ganze, wie die Mauer für das Haus; und so sind die Dienste der Engel ihnen nützlich, insofern sie ein Teil ihrer Seligkeit sind. Denn die Vollkommenheit, die man hat, in anderes ausgießen; das kommt dem Vollendeten als solchem zu. III. Der Engel ist im höchsten Grade der Seligkeit, soweit es ihn anbelangt, nämlich nach der göttlichen Vorherbestimmung. Die Freude der Engel kann jedoch vermehrt werden am Heile derer, welche durch ihren Beistand gerettet werden, wie es Luk. 15, 10. heißt: „Freude wird sein bei den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße thut.“ Diese Freude aber gehört zum nebensächlichen Lohne, der bis zum letzten Gerichte vermehrt werden kann. Sagen somit einzelne, mit Rücksicht auf diesen Lohn könnten die Engel auch noch verdienen; so ist es doch besser zu sagen, das sei nur möglich, wenn jemand zugleich pilgert und selig ist; wie dies bei Christus eintritt. Denn jene vorbesagte Freude haben die heiligen Engel vielmehr kraft ihrer Seligkeit, als daß sie dieselbe neu verdienten.
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