Zweiter Artikel. Um zu Gott sich zu wenden, bedurften die Engel der Gnade.
a) Dem steht entgegen: I. Zu dem, was wir natürlicherweise können, bedürfen wir keiner Gnade. Der Engel aber wendet sich kraft seiner Natur zu Gott, da er Ihn kraft seiner Natur liebt. II. Dazu nur scheinen wir der Gnade zu benötigen, was schwer ist. Zu Gott sich aber zu wenden war für den Engel nicht schwer, da er in sich keinen Widerstand dagegen hatte. Also bedürfte er einer solchen Gnade nicht. III. Zu Gott sich wenden ist dasselbe, wie sich zum Empfange der Gnade vorbereiten; weshalb es bei Zachar. 1, 3. heißt: „Wendet euch zu mir und ich werde mich zu euch wenden.“ Wir aber bedürfen keiner Gnade, um uns zur Gnade vorzubereiten; denn das wäre ebensoviel als sich ins Endlose verlieren. Also bedürfte der Engel keiner Gnade, um zu Gott sich zu wenden. Auf der anderen Seite gelangte der Engel zur Seligkeit dadurch, daß er sich zu Gott wendete. Konnte er also dieses letztere, ohne der Gnade zu bedürfen, so hatte er auch keine Gnade nötig, um das ewige Leben zu besitzen; wogegen Paulus sagt (Röm. 6, 23.): „Gnade Gottes ist das ewige Leben.“
b) Ich antworte, daß die Engel ganz gewiß der Gnade bedurften, um sich zu Gott zu wenden, inwiefern Gott der unmittelbare Gegenstand ihrer seligen Anschauung ist. Denn wie oben gesagt worden, ist die natürliche Willensbewegung das Princip alles dessen, was wir wollen; die natürliche Hinneigung des Willens aber richtet sich auf das, was gemäß der Natur zukömmlich ist. Wenn also etwas über die Natur hinausgeht, so kann der Wille sich nicht darauf richten, außer in dem Falle daß er von seiten eines übernatürlichen Princips unterstützt ist. So hat z. B. das Feuer die natürliche Neigung zu wärmen und wieder Feuer zu erzeugen. Fleisch aber zu erzeugen ist über die natürliche Kraft des Feuers. Dazu hat demgemäß das Feuer von Natur aus keine Neigung, wohl aber wenn es als Werkzeug dient der Seele, die da kraft ihrer Natur nährt. Gott aber schauen kraft seines Wesens ist über alle Natur jeglicher geschaffenen Vernunft. Keine vernünftige Kreatur also kann ihre Willensbewegung auf die entsprechende Seligkeit richten, außer insoweit sie bewegt ist von einem übernatürlichen Princip; und das nennen wir den Beistand der Gnade. Also konnte sich kein Engel zum Verlangen nach dieser Seligkeit hinwenden außer mit Hilfe der Gnade.
c) I. Der Engel liebt kraft der Natur Gott, insoweit Gott das Princip des natürlichen Seins ist. Hier aber sprechen wir von einem Sichwenden zu Gott als dem Princip der seligen Anschauung. II. „Schwer“ wird genannt, was die Kraft eines Vermögens übersteigt. Dies aber geschieht in zweifacher Weise: Einmal übersteigt es die Kraft des Vermögens, insofern dieses Vermögen keine natürliche Beziehung dazu hat. Und in diesem Falle wird schwer genannt das, was von diesem Vermögen nur mit anderweitiger Hilfe erreicht werden kann; kann aber dieses Erreichen gar nicht stattfinden, fo ist nicht mehr von etwas Schwerem die Rede, sondern von etwas Unmöglichem, wie es für den Menschen unmöglich ist, zu fliegen. Dann wird etwas schwer genannt, was wohl die natürliche Beziehung des Vermögens nicht überragt, jedoch wegen eines mit dem letzteren verbundenen Hindernisses nicht erreicht werden kann; wie z. B. das „den Berg Hinaufsteigen“ nicht gegen die natürliche Beziehung der Seele ist, die das Princip der Bewegung bildet, vielmehr ist die Seele von sich aus geeignet, nach jeder Seite hin zu bewegen; aber das Hinaufsteigen wird ihr schwer wegen des Gewichtes ihres Körpers. Für den Menschen nun ist es schwer, sich zu Gott zu wenden; sowohl weil dies über seine Natur ist, als auch weil er dem Verderben der Erbsünde zufolge in sich ein Hindernis hat. Dem Engel ist es nur schwer, weil es über seine Natur ist. III. In dreifacher Weise vollzieht sich die Willensbewegung, durch welche jemand sich zu Gott wendet: 1. Kraft der vollkommenen Liebe, welche der Gott bereits anschauenden Kreatur innewohnt; dazu wird die Gnade der Herrlichkeit erfordert; — 2. kraft dessen, wodurch die Seligkeit verdient wird; dazu wird die heiligmachende Gnade erfordert, die das Princip der Verdienste ist; — 3. dadurch, daß jemand zur Gnade sich vorbereitet; dazu wird keine andere Gnade erfordert, sondern vielmehr das Einwirken Gottes, der die Seele zu Sich wendet; nach Thren. ult. 21.: „Bekehre uns, Herr, zu Dir und wir werden uns bekehren.“ Da ist also nicht davon die Rede, daß man sich ins Endlose verliert.
