Sechster Artikel. Das Fallen des Engels vollzog sich gleich nach dem ersten Augenblicke seines Seins.
a.) Dagegen sagt: I. Ezechiel 28, 14.: „Vollkommen warst du, da du lustwandeltest auf deinem Wege vom Tage deiner Erschaffung an, bis Ungerechtigkeit in dir erfunden ward.“ Lustwandeln aber deutet auf einen ziemlichen Zwischenraum hin. II. Origenes schreibt (I. in Ezech.): „Die alte Schlange ging nicht allsogleich auf ihrem Bauche;“ worunter die Sünde verstanden wird. III. Sündigen können ist gemeinsam dem Engel und dem Menschen. Zwischen der Bildung des Menschen aber und seiner Sünde bestand ein ziemlicher Zwischenraum. IV. In dem einen Augenblicke ward der Engel geschaffen, im anderen fiel er. Zwischen zwei Augenblicken aber steht eine gewisse Zeit. Auf der anderen Seite sagt der Herr (Joh. 8, 44.): „Er hat nicht gestanden in der Wahrheit.“ Dazu bemerkt Augustin (11. de Civ. Dei 15.): „Das müssen wir so erklären, daß der Teufel in der Wahrheit war, aber nicht darin verblieben ist.“
b) Ich antworte: die bei weitem wahrscheinlichere und den Aussprüchen der Heiligen entsprechendere Meinung ist die, daß der Teufet gleich nach dem ersten Augenblicke, da er das Sein erhielt, sündigte. Und das muß notwendig gesagt werden, wenn man annimmt, daß der Teufel im ersten Augenblicke seiner Erschaffung einen freien Akt gesetzt hat und in der Gnade geschaffen wurde. Denn da die Engel nach einem einzigen verdienstvollen Akte die Seligkeit erhielten, so mußte der Dämon gleich nach dem ersten Akte, in welchem er verdiente, wie die anderen Engel die Seligkeit erhalten, wenn er derselben nicht durch die Sünde sogleich ein Hindernis entgegengesetzt hätte. Ist aber die Annahme wahr, daß der Engel nicht in der Gnade geschaffen wurde oder daß er nicht gleich einen freien Akt gesetzt hat, so besteht kein Hindernis dafür, daß zwischen seiner Erschaffung und seinem Fallen ein ziemlicher Zwischenraum gewesen ist.
c) I. Unter dem Lustwandeln versteht die Schrift die freie Willensbewegung; wie dies ähnlich in der Schrift häufig der Fall ist, daß unter der Figur körperlicher Bewegungen eine augenblickliche geistige Thätigkeit verstanden wird. II. Das sagt Origenes wegen des ersten Augenblickes, in dem der Teufel nicht schlecht war. III. Der Engel hat einen unbeugsamen freien Willen, nachdem er einmal frei gewählt hat. Hätte er also gleich nach dem ersten Augenblicke, in welchem er seine natürliche Willensbewegung auf das Gute richtete, nicht ein Hindernis gesetzt für seine Seligkeit, so wäre er im Guten gefestigt worden. Beim Menschen aber verhält sich die Natur nicht so. IV. Dies hat Wahrheit, wenn es sich um zwei Augenblicke handelt, zwischen denen eine fortlaufende Zeit ist. Der Engel aber ist der irdischen Zeit, welche von der Bewegung der Himmelskörper abhängt, nicht unterworfen. Also bei ihm heißt Zeit Aufeinanderfolge der Akte. So also entspricht der erste Augenblick im Engel jener Thätigkeit der Engelvernunft, vermöge deren sie zu sich selbst sich wendet durch das Abendwissen; denn beim ersten Tage wird ein „Abend“ gesetzt und kein „Morgen“. Und diese Thätigkeit war in allen gut. Von dieser Thätigkeit aber haben sich die einen vermittelst des Morgenwissens zum Lobe des Wortes gewendet; andere sind in sich selbst geblieben, „aufgeblasen von ihrer Schönheit,“ wie Augustin (4. sup. Gen. ad litt. 24.) sagt. Und so war die erste Thätigkeit allen gemeinsam; in der zweiten wurden sie geschieden.
