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LEBENSBESCHREIBUNG DES WEISEN, DER DURCH UNTERWEISUNG ZUR VOLLKOMMENHEIT GELANGTE, ODER DAS ERSTE BUCH DER UNGESCHRIEBENEN GESETZE, ODER ÜBER ABRAHAM
Das erste Buch der in fünf Büchern niedergeschriebenen heiligen Gesetze trägt die Benennung und die Überschrift „Genesis"; es erhielt diese Bezeichnung von der Weltschöpfung, die es im Anfang beschreibt, wiewohl darin viele andere Dinge enthalten sind: alles was auf Frieden oder Krieg Bezug hat oder auf Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit oder Hungersnot, und Überfluss oder auf die bedeutsamsten Vernichtungen der Erdgeschöpfe durch Feuer oder Wasser oder auf das Gegenteil, das Wachstum und Gedeihen der Tiere und Pflanzen infolge der guten Mischung der Luft und der Jahreszeiten und das der Menschen, die teils tugendhaft teils sündhaft gelebt haben. Allein da diese Dinge teils Bestandteile teils Veränderungen der Welt sind, die Welt aber das vollkommenste und umfassendste ist, so hat er (Moses) nach ihr das ganze Buch benannt. Wie nun die Weltschöpfung dargestellt ist, haben wir in dem vorhergehenden Buche, soweit es möglich war, gründlich erörtert. Da wir jetzt die Gesetze der Reihe nach und in richtiger Aufeinanderfolge erklären müssen, so wollen wir die besonderen als die Abbilder zunächst noch Reiseite lassen und zuerst die allgemeineren, die gleichsam die Urbilder sind, erläutern. Es sind dies die Männer, die tadellos und sittlich gelebt haben, deren Tugenden in den heiligen Schriften verewigt sind, nicht bloss zu ihrem Ruhme, sondern auch um die Leser anzuregen und zu gleichem Eifer hinzuleiten. Denn die beseelten und vernünftigen Gesetze sind in jenen Männern verkörpert, die er aus zwei Gründen verherrlicht hat: weil er erstens zeigen wollte, dass die gegebenen Verordnungen mit der Natur in Einklang stehen, zweitens, dass es den Gutwilligen nicht viel Mühe machen kann, nach den geschriebenen Gesetzen zu leben, da die Früheren, bevor noch die besonderen Gesetze überhaupt aufgeschrieben waren, leicht und gern nach der ungeschriebenen Gesetzgebung gelebt haben, so dass man wohl sagen muss, dass die gegebenen Gesetze nichts anderes sind als Kommentare zum Leben der Alten, die uns ihre Taten und Worte künden. Denn ohne Zöglinge und Schüler von irgend wem gewesen zu sein und ohne dass sie von Lehrern darüber belehrt waren, was man tun und reden müsse, haben jene Männer, nur der eigenen inneren Stimme folgend und durch sich selbst belehrt, an die Ordnung der Natur sich angeschlossen und in der Überzeugung, dass die Natur selbst die älteste Satzung sei, wie sie es in Wahrheit ist, ihr ganzes Leben in schönster Gesetzlichkeit vollbracht, indem sie aus freiem Willen nichts Sündhaftes taten, bei allen Schicksalsfügungen aber Gott anriefen und durch Bitten und Flehen seine Gunst zu gewinnen suchten zur Erlangung einer vollkommenen Lebensführung, die sich teils in vorsätzlichen teils in unbeabsichtigten Handlungen vollzieht.
