3.
Soviel genügt es über die Hoffnung zu sagen, die die Natur wie einen Torwächter an die Pforte der im Innern thronenden Tugenden gestellt hat, zu denen man nicht gelangen kann, wenn man nicht vorher jene günstig gestimmt hat. Vielfach sind die Gesetzgeber, vielfach sind die überall geltenden Gesetze bestrebt, die Seelen der Freien mit guten Hoffnungen zu erfüllen. Wer aber ohne Aufmunterung und ungeheissen froher Hoffnung wird, der hat diese Tugend erlernt nach einem ungeschriebenen, aber von selbst erkennbaren Gesetze, das die Natur gegeben hat.
Den zweiten Rang nach der Hoffnung erhielt die Reue und Besserung nach Verfehlungen. Daher schildert er nächstdem den Mann, der von einem schlechten Leben zu einem besseren überging, und der bei den Hebräern Enoch heisst, wie die Griechen aber sagen würden, „der Wohlgefällige" (Diese Etymologie beweist Philos Unkenntnis des Hebräischen; er leitet nämlich חֲנֹֽוךְ׃ von !x ab.); von ihm wird gesagt: „Enoch gefiel Gott wohl und wurde nicht gefunden, weil Gott ihn versetzte" (1 Mos. 5,24). Die „Versetzung" bedeutet nämlich eine Wendung und Veränderung; es ist aber eine Veränderung zum Besseren (Philo deutet Enoch wegen des Ausdrucks μετετέθη (wie die Septuaginta das hebräische Wort xql übersetzt) als Symbol der Reue über früheres unfrommes Leben. Ebenso heisst es im griechischen Text des Jesus Sirach XLIV 16: Ένώχ εύηρέστησε κυρίψ και μετετέqη υπόδειγμα μετανοίας ταϊς γενεαΐς (Enoch gefiel Gott und wurde versetzt, ein Beispiel der Reue für die Geschlechter). Aber eine Handschrift hat διάνοια; für μετανοίας und der jüngst aufgefundene hebräische Text hat XXXX (ein Beispiel der Erkenntnis). Also ist μετανοίας im Sirachtext, wie schon Z. Frankel (Einfluss d. paläst. Exegese S. 44) vermutete, spätere Korrektur (aus Philo?). Vgl. R. Smend, Die Weisheit des Jesus Sirach (Berlin 190G) S. 421. Die palästinische Haggada erklärte den Bibelvers umgekehrt dahin, dass Enoch von Gott hinweggenommen wurde, weil er in seiner Frömmigkeit schwankend war; vgl. Bereschl. R. c. 25. Dieselbe Auffassung zeigt der Verfasser der Weishl. Sal. IV 11: „er wurde entrückt, damit nicht Schlechtigkeit seinen Sinn änderte oder Arglist seine Seele betörte".), da sie durch Gottes Vorsorge geschieht. Denn alles, was mit Gott geschieht, ist durchaus schön und zuträglich, während das, was ohne göttlichen Eatschluss geschieht, unnütz ist. Gut wird aber von dem Versetzten gesagt: „er ward nicht gefunden", um auszudrücken, dass das frühere sündhafte Leben ausgelöscht und vernichtet war und nicht mehr gefunden wurde, wie wenn es überhaupt nicht gewesen wäre, oder dass der Versetzte und in eine bessere Stellung Gebrachte seiner Natur nach schwer aufzufinden war; denn weit verbreitet und daher auch vielen bekannt ist die Schlechtigkeit, selten aber ist die Tugend, so dass sie selbst von wenigen nicht erfasst wird. Der Schlechte läuft überdies auf den Markt, in die Theater, in die Gerichtshöfe, in die Rats- und Volksversammlungen und in jede Vereinigung und Gesellschaft von Menschen, da er immer in voller Geschäftigkeit lebt; er lässt seiner Zunge freien Lauf zu mass- und endlosem und unüberlegtem Geschwätz, er verwirrt und vermengt alles untereinander, mischt Falsches mit Wahrem, Verbotenes mit Erlaubtem, Privates mit Allgemeinem, Unheiliges mit Heiligem, Lächerliches mit Ernstem, weil er nicht gelernt hat, was zuzeiten das Schönste ist, das Schweigen; er spitzt die Ohren in geschäftiger Neugier; denn anderer Sachen, mögen sie gut oder schlecht sein, verlangt er zu erfahren, um ihnen sogleich die einen zu missgönnen, über die anderen sich zu freuen. Denn von Natur neidisch, ein Feind des Guten und ein Freund des Bösen ist der Schlechte.
