Sechster Artikel. Gottes Wille wird immer erfüllt.
a) Das scheint nicht so. Denn: I. Der Apostel sagt (I. ad Tim. 2, 4.): „Gott will, daß alle Menschen selig werden und zur Anerkennung der Wahrheit gelangen.“ Aber das geschieht nicht. Also nicht alles, was Gott will, wird erfüllt. II. Wie sich das Wissen zum Wahreit verhält, so das Wollen zum Guten. Gott aber weiß alles Wahre. Also will Er auch alles Gute. Nicht aber alles Gute geschieht; denn vieles Gute könnte geschehen, was nicht geschieht. Also nicht alles, was Gott will, geschieht. III. Der Wille Gottes als erste Ursache schließt Mittelursachen nicht aus. Die Wirkung der ersten Ursache aber kann gehindert werden durch das Mangelhafte, das Fehlen der Mittelursachen, wie z. B. die Wirkung der Bewegungskraft im Menschen gehindert werden kann durch die Schwäche der Beine. Also kann auch die Wirkung des göttlichen Willens gehindert werden durch die Schwäche und das Mangelhafte in den Mittelursachen. Auf der anderen Seite sagt der Psalmist (113, 3.): „Alles, was er gewollt, hat Er gemacht.“
b) Ich antworte, daß der Wille Gottes sich immer erfüllen muß. Die Wirkung nämlich muß gemäß ihrer Form entsprechend ähnlich sein der wirkenden Ursache. Und deshalb gilt dasselbe von den in den Dingen selber bestehenden Formalursachen, wie von den einwirkenden und handelnden. Rücksichtlich dieser Formen verhält es sich aber derart, daß wohl etwas einer besonderen Form ermangeln kann, die es sonst haben müßte; aber nie kann es der allgemeinen Form entbehren. Es kann z. B. ganz gut geschehen, daß etwas kein Mensch wird oder nichts Lebendiges; das aber kann nicht geschehen, daß es nicht Sein im allgemeinen habe. Ganz dasselbe findet statt in der Reihe der wirkenden Ursachen. Es kann etwas aus dem Bereiche einer besonderen, beschränkten Ursächlichkeit sich entfernen und der betreffenden Form entbehren; — aber nie kann es der allgemeinen Ursächlichkeit, welche alle besonderen und beschränkten in sich einschließt, entgehen. Wenn nämlich eine besondere verursachende Kraft ihrer Wirkung ermangelt, so geschieht es auf Grundd einer anderen verursachenden Kraft, welche hindernd eintritt rücksichtlich der ersteren, die jedoch ihrerseits mit ihrer verursachenden Kraft vom Bereiche der allgemeinen umschlossen wird. Die Wirkung also kann nie aus dem Bereiche der allgemeinen verursachenden Kraft fliehen, von der ja auch die Kraft in den besonderen beschränkten kommt. Und das erscheint bereits in der Körperwelt. Denn es kann wohl ein einzelner Stern gehindert werden, daß er seine entsprechende Wirkung hervorbringe; — trotzdem läßt sich jegliche Wirkung, welche einem solchen stofflichen Hindernisse hier in der Körperwelt entspringt, zurückführen durch irgend welche Mittelursachen in die Gesamtkraft der Sternenwelt. Da nun also der göttliche Wille die allumfassende Ursache aller Dinge ist, so ist es eine reine Unmöglichkeit, daß, was Er will, nicht geschehe. Was somit nach dem einen besonderen Seinskreise vom göttlichen Willen sich entfernt, das fällt in denselben nach einem anderen Seinskreise. Der Sünder, welcher sündigend von Gott sich losreißt, fällt in die Anordnung des göttlichen Willens wieder andererseits hinein, da er durch die Gerechtigkeit gestraft wird.
c) I. Das Wort des Apostels ist auf dreifache Weise zu verstehen. Einmal so, daß niemand selig wird, den Gott nicht will selig werden lassen; daß also alle Menschen, welche Gott retten will, auch gerettet werden. Nicht zwar als ob Gott positiv wollte, daß einige zu Grunde gehen; aber alle, die gerettet werden, werden dies nur auf Grund des Willens Gottes. So erklärt es Augustin I. de Praed. Sanct. cap. 8.; Enchir. Cap. 105. Dann, daß die verschiedenen Arten Menschen unter dem Ausdrucke „allen“ verstanden werden, daß es also hieße, Gott will von allen Ständen der Menschen einzelne selig machen: Männer und Frauen, Juden und Heiden, Kleine und Große etc.; nicht aber jeden einzelnen in jedem Stande. Ferner wird es nach Damascenus (2. de orthod. fide, cap. 29.) erklärt von dem vorhergehenden Willen und dem nachfolgenden. Diese Unterscheidung aber wird nicht verstanden von seiten des göttlichen Willens, wo nichts vorher oder nachher ist, sondern von seiten des Gewollten. Zu klarerem Verständnisse möge erwogen werden, daß jegliches Ding von Gott gewollt wird, insoweit es gut ist. Es kann jedoch etwas, an und für sich betrachtet, also nach dem ersten Ansehen von seiten des Dinges aus gut sein, was da schlecht ist, wenn es in Begleitung anderer Umstände beim folgenden Ansehen von seiten des Dinges her berücksichtigt wird. So ist es z. B. gut, daß der Mensch lebe; und es ist ein übel, wenn er getödtet wird. Diese erste Betrachtung bietet der Mensch dar, wenn er ohne weitere begleitende Umstände sich vorstellt. Wenn jedoch der Mensch betrachtet wird mit Rücksicht darauf, daß er Mörder ist und Gefahr bringt der Menge, inmitten deren er lebt, so wird das Leben ein übel und seine Tötung ein Gut. Das ist die nachfolgende Betrachtung, welche der Mensch, immer von seiner Seite, an die Hand giebt. Der gerechte Richter also könnte sagen, er wolle, daß jeder Mensch lebe, insoweit der Mensch zuerst sich als Mensch betrachten läßt, dessen Gut das Leben ist; dies wäre der vorherggehende Wille des Richters. Dann aber will der Richter, daß dieser Mensch, insoweit zum Menschsein das Mördersein gehört, also diesem folgt, aufgehängt werde; dies wäre der nachfolgende Wille des Richters. Ähnlich will Gott nach dem vorhergehenden Willen, wo sich die Substanz, die Vermögen des Menschen, vorstellen mit ihrem natürlichen Zuge zum Guten hin, daß alle Menschen selig werden; denn Er hat diesen natürlichen Zug in den Menschen gelegt. Dem nachfolgenden Willen nach aber will Er, daß einige verworfen seien; insoweit zur vorherbestehenden Substanz „Mensch“ und den entsprechenden Vermögen Sünden getreten sind, welche von der Gerechtigkeit Gottes Strafe fordern. Und das nun, was wir mit dem vorhergehenden Willen, mit jenem also, der das in den Dingen Vorhergehende, die Substanz oder das Vermögen an sich erwägt, wollen; das ist nicht ohne weiteres und von vornherein gewollt. Denn die Dinge sind nicht in sich selbst so; sie haben nicht bloß eine allgemeine Substanz und unbestimmte Vermögen. Das ist also bloß mit Rücksicht auf das gewollt, was in jedem Dinge vorhergeht und zum Guten treibt. Die Dinge in sich selbst bestehen mit allen begleitenden Umständen und Eigenschaften, die zur Substanz und zum Vermögen hinzutreten, resp. folgen. Also was wir mit dem nachfolgenden Willen wollen, d. h. mit Rücksicht auf das einzelne wirkliche Sein der Dinge, das wollen wir ohne weiteres; das wollen wir einfach und danach handeln wir. So können wir sagen, daß der Richter ohne Umschweife, einfach und absolut will, daß der Mörder gehängt werde; und nur gewissermaßen mit Rücksicht auf die Natur dees Menschen an sich, deren Gut das Leben ist, möchte er das Leben des Mörders. Was also Gott einfach, ohne Umschweife mit Rücksicht auf die einmal bestehende einzelne Wirklichkeit will, das geschieht immer; wenn auch das, was Er mit vorhergehendem Willen gewollt hat, nämlich den Zug zum Guten in jeder Natur und in jedem Vermögen, nicht immer in der thatsächlichen Wirklichkeit von seiten der Kreatur seine Vollendung findet. II. In der Erkenntnis ist das Gekannte im Erkennenden; im Wollen aber wird der Gegenstand so berücksichtigt, wie selbiger außen für sich besteht. Was nun den Charakter des „Wahren“ und des „Seins“ hat, das ist der wirkenden Kraft nach ganz in Gott; aber es ist nicht danach ganz in den geschaffenen Dingen. Und deshalb kennt Gott wohl alles Wahre. Aber Er will nicht alles Gute; außer insofern Er Sich will, in dem alles Gute der wirkenden Kraft nach besteht. III. Die Wirkung der absolut ersten Ursache, die nicht nur in einem besonderen Seinslreise die erste ist, sondern im ganzen Sein, kann nicht fehlgehen; denn alle anderen Ursachen, die hindern könnten, haben ihre Kraft erst von dieser ersten und wirken nach Maßgabe dieser ersten.
