Neunzehntes Kapitel. Wollen Gottes. Überleitung.
„Alles hat Gott wegen Seiner selbst gethan!“ Prov. 26. Ist das ermunternd für uns? Es ist die einzigste Ermunterung in der Öde dieses irdischen Lebens. Und immerdar müssen wir allen anderen Trost auf diesen zurückführen: „Wir sagen Dir Dank, o Herr, wegen Deiner großen Herrlichkeit;“ so frohlockt die Kirche in unserem Namen auf die Versicherung hin, daß Gott nur Sich selbst zum Zwecke seiner Thätigkeit haben könne. Wir sind in Wirklichkeit, nur soweit das wirkende Auge Gottes uns schaut. Was nützt uns die Weite unserer Vernunft, unseres Willens, die Herrschaft über alle Kreaturen, welche in diesen Vermögen liegt; wenn Gott, das rein Wirkliche, nicht die wirkliche Thätigkeit giebt. Was nützt es dem Auge, daß es Wunderbares zu sehen vermag, wenn finstere Nacht ringsherum ist und kein Lichtstrahl dieses Vermögen bethätigt. Nur soweit der Lichtstrahl dasselbe bethätigt, ist es etwas Noch mehr! Wenn wir den Blick zu uns und zu den Geschöpfen wenden, da finden wir wohl zuerst Vermögen, etwas zu werden, und dann Thätigkeit. In der WirNichkeit aber liegt die Sache anders. Immer muß jegliches Vermögen seinerseits als Vermögen von einer Wirklichkeit getragen werden, soweit auch immer es sein mag. Die Wirklichkeit schließt, soweit sie von Gott kommt, das Vermögen in sich ein: entweder so, daß sie dasselbe begründet oder so, daß sie dasselbe bewahrt und offenbart. Jedes Vermögen ruht schließlich auf einer Wirklichkeit. Das weiteste erhabenste Vermögen ist als reines Vermögen noch weniger fähig, von sich aus zu sein, wie die geringste Wirklichkeit; steht es ja dem Sein noch weit mehr fern als das geringste wirkliche Sein. Das Wirkliche aber besteht nur dadurch, daß Gott schaut; es wird erst durch den schaffenden Blick Gottes. Im Wirklichen nun ist wieder das Vermögen eingeschlossen. Und dieses Vermögen entwickelt sich nach Maßgabe des Wirklichen, des von der reinen Wirklichkeit, vom reinen Erkennen Gewirkten; es wird mehr lebendig oder minder lebendig, weiter für das Thätigsein oder enger dafür, je nach dem Gewirkten, worauf es ruht. Nur aber Vermögen ist unser eigenes Sein. Im Vermögen allein besteht unser Eigentum. Daß wir etwas können, das unterscheidet uns einerseits vom Nichts, das nichts kann. Das unterscheidet uns andererseits von Gott, der die Fülle der Wirklichkeit ist. Unser ganzes Sein ist also Vermögen. Das Vermögen ist immer eingeschlossen in einer Wirklichkeit. Alle Wirklichkeit kann nur immer vom Einwirken des allein rein Wirklichen kommen. All unsere Ehre ist also die Herrlichkeit Gottes. Daß Gott wegen Seiner selbst wirkt, daß Er wirkt, um Wirkliches, um Teilnahme an seinem eigenen Wirklichsein zu verbreiten; das ist unsere Ehre, das ist unsere Vollendung, bei welcher sich das Wesen Gottes wohl in seiner unendlichen Seinsfülle durch und durch abhebt vom Wesen des Geschöpflichen, wo aber die verursachende Kraft Gottes aufs innigste verbunden ist mit dem Verursachten. So weit, bis zu diesem trostreichen Punkte, bis hinauf in die Nähe Gottes hat uns Thomas geführt von den einfachsten, jedem zugänglichen Begriffen an. Lang ist der Weg vom Innern des Festlandes bis zum weiten Meere. Viele Länder mußt du durchstreifen, um zum Ziele zu gelangen. Und wer soll dir die Richtung angeben? Das Meer siehst du nicht. Was sollst du thun, um dahin zu kommen und deinen Blick in seine Unermeßlichkeit zu versenken. Gehst du aufs Geradewohl, so läufst du Gefahr, nach langem Wege wieder an derselben Stelle schließlich zu sein, von welcher du ausgegangen bist oder auf solche Plätze zu stoßen, wo weder ein Vorwärts, noch ein Rückwärts möglich ist. Folge dem Laufe der Quelle. Es wird dir freilich Mühe kosten, deinen Pfad ihm anzupassen. Bald wird sich das Wässerchen durch schwierige Bergschluchten drängen, bald verwegen von hohen Felsen sich herabstürzen. Es gilt jedoch nur im Anfange, den Mut nicht zu verlieren. Das Wässerchen wird zum Bach, der Bach zum Flusse, der Fluß zum gewaltigen Strome. Stolz fließen alsdann seine Wasser dahin durch Völker und Nationen. Daß dies der Weg zum Meere ist, daran ist nun kein ZWeisel mehr möglich. So etwa geht es mit den Principien des heiligen Thomas. Wenige Principien sind es, mit denen er vorangeht. Wir haben sie so oft gebraucht gefunden. Groß waren die Schwierigkeiten, welche im Beginne überwunden werden mußten. Alles Sein muß zu Gott zurückgeführt werden. Es giebt nicht zwei Ur-Sein. Nur Einer kann die wahre Seinsfülle in Sich haben. Was am geschöpflichen Sein wirklich ist, das muß von Gott verursacht »erden. Und ist es von Gott verursacht, so rührt auch alles Vermögen, soweit es positiv ist, von Gott her. Dem Geschöpft gehört es zu, „auch nicht sein zu können.“ Ihm gehört es zu, sogleich zu fallen, wenn Gott dasselbe mit seiner einwirkenden Ursächlichkeit verläßt. Es besteht im Menschen kein Vermögen und keine Kraft, welche an und für sich gleichgültig sich verhielte gegen gut und böse; vermittelst welcher der Mensch ganz ebensogut das Gute thun kann wie das Böse, so daß nur etwa ein äußerlicher Beistand Gottes notwendig wäre, um das Gute zu vollenden. Nein; der Wille im Menschen hat nur Kraft für das Gute. Er ist von Gott und kann deshalb nur auf Gott wieder zeigen und zu Ihm führen. Fällt der Mensch — und der Wille kann „auch nicht sein“, wie jedes Vermögen — so fällt der Mensch zugleich von der eigenen Willenskraft ab; er ist Ohnmacht dann und zwar volle Ohnmacht! Doch darüber noch spater! Der heilige Thomas ist dem reinen Quell seiner so einfachen Principien gefolgt. Immer größer, gewaltiger ward der Quell; immer umfassender erschien die Ewigkeit, die Einheit, die Erkennbarkeit, das Wissen, die Wahrheit, das Leben Gottes. Wesen und Zufall, Vernünftiges und Vernunftloses, Lebendes und Lebloses, Sein und Nichts muß Ihm dazu dienen, daß die Kreatur ihren Schöpfer benennen, Ihn preisen kann. Und trotzdem; mag sie so weit vorschreiten, wie sie will; mag sie die Staffeln der Leiter, welche die Dinge der Natur aufstellen, noch so hoch emporklimmen; sie kann Ihn nie würdig benennen, wie seine Unendlichkeit es verdiente. Nur was Er nicht ist, dafür allein steht als Zeuge und Zeichen das All da. Das ganze innere Meer des Unendlichen steht unberührt da; wir können es nicht erreichen. Daß aber der Strom der Zeitlichkeit dazu hinzuführen vermag, diese Sicherheit haben wir. Denn alle Seinsgründe des Geschaffenen, woraus es Sein, Leben und Thätigkeit in maßgebendster Weise zieht, sind in Gott; sie sind in Ihm Leben; sie sind in Ihm Erkennen, Weisheit. Gott erkennt Sich als Wirkenden und zugleich, erkennt Er das Gewirkte in Sich, daß es allein von und in Ihm Sein hat. Er erkennt etwas als außerhalb Seiner selbst befindlich nur deshalb, weil Er niemals Nichts ist, dies alles aber dem wirklichen Sein nach, soweit es außer Ihm besteht, thatsächlich Nichts ist; und soweit es als Eigentum Sein empfangen hat, nur Vermögen ist, von sich aus, nicht zu sein. Nun aber fragt Thomas nach dem Momente in Gott, welches sein Wirken im einzelnen bestimmt. Er fragt, wo in Ihm selber die Ursache ist, daß dies ist und jenes nicht; dies so weit kommt und jenes weiter. Er fragt nach dem bestimmenden Grunde des göttlichen Wirkens. „Nichts Unreines darf in den Himmel eintreten.“ Nichts Geschöpfliches darf für den Urgrund alles Seins auch nur im entferntesten einen Schatten von Einfluß ausüben. Nicht daß Gott sehen möchte, was ein Geschöpf thun würde, sich selbst überlassen; da braucht Gott nicht einmal Gott zu sein, um das zu wissen. Jede geschöpfliche Vernunft sagt bereits: Nur fallen kann das Geschöpf, inwieweit von dem Einwirken Gottes abgesehen wird; nur zu Nichts werden. Fern also bleibe aller Einfluß des Geschöpflichen von der schließlichen Entscheidung, wie solche Gott giebt! Der bestimmende Grund für alles Einwirken Gottes ist einzig und allein und ohne alle weitere Rücksicht der Wille Gottes. „Seine Ratschlüsse sind ein weiter Abgrund.“ Ja gewiß; ein für jedes sterbliche Auge unzugänglicher und durchaus unermeßlicher Abgrund! Aber es ist ein Abgrund der Güte, eine Unermeßlichkeit der Liebe! Wollen heißt wohl sein. Gott will, d. h. Er will unser Wohl sein. Er ist das Wohl; und nur Er ist Wohl und außer Ihm kann keiner Kreatur wohl sein. Was Er bestimmt, was Er will, das kann nur aus dem Wohle entstammen und kann nur zum Wohle führen. Und wenn der Psalmist ausruft: „Schrecklich sind die Ratschlüsse des Herrn mit den Kindern der Menschen,“ so will er uns damit nur daran erinnern, wie wir an dieses Wohl Tag und Nacht denken sollen, wie der Wille, das Wohl Gottes unsere Betrachtung sein soll ohne Unterbrechung. „Wie die Augen der Magd gerichtet sind auf die Hand der Herrin,“ so sollen unsere Augen und unsere Herzen gerichtet sein ohne Aufhören auf den geringsten Wink des Willens Gottes. Von diesem „Wohle“ sich abzuwenden; das ist das Schreckliche! Du kannst fallen, o Mensch, siehe da das Furchtbare! Sündigen kannst du; und die Sünde, die Schuld gehört dir allein. Denn dein ist die Vernunft; du konntest im Bereiche deiner Natur erkennen, was dem Willen Gottes gemäß zu thun war. Dein ist das freie Willensvermögen! Du konntest Gott anstehen um seine Hilfe und „nicht früher aufhören mit deinem Flehen, bis Er dich gesegnet hätte“. Nur wenn das ewige Wollen dich in deiner einzelnen Thätigkeit leitet; wenn du nicht von Ihm abfällst „auf dem Wege“, wie Jeremias sagte, mit freiem Willen; nur dann kommst du zum Wohle. Aber wird dieses Wollen dich immer bestimmen, dich immer leiten; wird Gott dir treu bleiben? Er ist ja das „Wohl“. Er kann nicht anders seiner Natur nach als das Wohl und die Vollendung der Geschöpfe wollen, denn seine Werke sind sie. Von diesem „Wohle“ sind sie ausgegangen; haben sie alle Kraft; zu ihm wollen sie zurück. Und selbst wenn sie fallen, rufen noch alle Kräfte in einer solchen unglücklichen vernünftigen Kreatur nach ihrem Wohle: Die Vernunft murrt, der Wille schlägt aus gegen die elenden Banden, die ihn fesseln; der Gewissensbiß zeigt den göttlichen Ursprung der vernünftigen Kräfte, welche der Sünder niederhält. „Nicht du wirst mich in dich verändern,“ hörte Augustin die Stimme des Herrn; „sondern du wirst verändert werden in mich.“ „Die göttliche Liebe,“ ruft der hellige Bonaventura aus, „neigt sich nicht zum anderen, sondern neigt anderes und zieht es zu Sich.“ (III. dist. 32. qu. 1.) „Wie also,“ fragt Bernardus, „liebst Du uns, wenn Du nicht kraft der Liebe uns liebst? Deine Liebe aber ist Deine Güte: Du liebst uns, insofer Du bewirkst in uns, daß wir Dich lieben; wir kraft unserer Neigung, Du aber, indem Du unsere Neigung mit Dir zu Einem machst.“ (Solil. 12.) Und sermo 3. Pentec.: „Alles hat Gott wegen Seiner selbst gethan; und alles hat Er gethan wegen der Seinigen; anders aber wegen Seiner selbst und anders wegen der Seinigen. Alles thut Er wegen Seiner selbst, indem Er nur aus Seiner Güte, um keines anderen Gutes willen, wirkt; — und alles thut Er wegen der Seinigen, zu deren Nutzen nämlich.“ „Nichts befiehlt Gott,“ so Augustin (tom. 3. Exceptar. nr. 39.), „was Ihm von Nutzen sei, sondern was dem nützt, dem Er befiehlt und deshalb ist Er wahrhaft Herr.“ Und Thomas (C. G. III. 18): „Gott, der erste Urgrund aller Dinge, wirkt, nicht in der Weise, daß er selbst, durch sein Wirken etwas für Sich erlangen will; sondern damit Er durch sein Wirken mitteile.“ Hier aber eingehender:
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