Achter Artikel. Der Wille Gottes und die geschöpfliche Notwendigkeit.
a) Der Wille Gottes scheint dem Geschöpflichen unbedingte Notwendigkeit aufzulegen. Denn: I. Augustin (Enchir. c. 103.) sagt: „Niemand wird gerettet, außer wen Gott retten will. Und deshalb muß Gott gebeten werden, daß Er wolle. Denn will Er, dann muß es geschehen.“ II. Jegliche Ursache, die nicht gehindert werden kann in ihrem Wirken, bringt notwendig ihre Wirkung hervor. Gottes Wille aber kann nicht gehindert werden; denn also sagt der Apostel (Röm. 9.): „Seinem Willen aber, wer kann Widerstand leisten?“ III. Was von vornherein notwendig ist, das ist unbedingt notwendig; wie z. B. daß der tierische Körper stirbt, von vornherein, nämlich von seiner Ursache aus unbedingt notwendig ist, weil er au«s einander entgegengesetzten Elementen zusammengesetzt ist. Die geschaffenen Dinge aber haben zu Gottes Willen Beziehung wie zu etwas absolut Vorhergehendem und Vorherbestimmendem, wovon für sie Notwendigkeit ausgeht. Denn dieser Bedingungssatz ist wahr: Wenn Gott etwas will, so ist es. Es folgt also, daß alles, was von Gott gewollt ist, unbedingte Notwendigkeit hat. Auf der anderen Seite will Gott, daß nur Gutes geschieht und daß alles, was geschieht, gut sei. Würde also sein Wille Notwendigkeit auflegen, so müßte alles, was geschieht, mit Notwendigkeit gut sein; und so geht der freie Wille zu Grunde und der Ratschluß u. dgl.
b) Ich antworte, daß der göttliche Wille wohl manchen Dingen Notwendigkeit auflegt; aber nicht allen insgesamt. Den Grund davon wollten einige aus den Mittelursachen ableiten. Denn, sagten sie, das, was Er hervorbringt durch notwendig wirkende Mittelursachen, das ist notwendig; was Er aber hervorbringt durch zufällige oder freie, das ist zufällig oder frei. Dies ist jedoch nicht ausreichend wegen zweier Umstände: 1. Die Wirkung einer Ursache, welche in ihrem Seinsbereiche die erste ist, wie z. B. die Sternenwelt für die sichtbare Natur, ist nur dann auf Grund einer zweiten untergeordneten Ursache zufällig, d. h. möglich, nicht mit der Wirkung zu sein oder die Wirkung nicht zu haben, wenn die Wirkung dieser ersten Ursache gehindert wird durch das Mangelhafte in der zweiten untergeorrdneten; wie die Wirkung der Sonne gehindert wird durch das Mangelhafte in der Pflanze. Nichts Mangelhaftes aber in den zweiten untergeordneten Ursachen kann ein Hindernis sein für die Wirkung der ersten, welche der Wille Gottes ist; wie schon oben bemerkt worden. 2. Wenn der Unterschied zwischen dem Notwendigen und Zufälligen nur auf die zweiten untergeordneten Ursachen als auf den maßgebenden Grund zurückgeführt wird, so folgt daraus, daß dieser Unterschied, also überhaupt das Freie oder Zufällige, außerhalb der Absicht und dem Willen Gottes sei. Und das ist unzuträglich. Daher ist besser so zu sagen. Dieser Unterschied, wonach manches in den Wirkungen des göttlichen Willens notwendig und manches frei oder zufällig ist, hat seinen Grund eben in der Wirksamkeit des göttlichen Willens. Wenn nämlich eine Ursache recht kräftig ist in ihrem Einwirken, so folgt die Wirkung nicht nur gemäß dem, was geschieht und wird, sondern auch gemäß der Art und Weise des Seins oder Werdens. Aus der Schwäche nämlich der wirksamen Kraft im Samen geschieht es, daß der Sohn als ein dem Vater unähnlicher geboren wird in jenen Zufälligkeiten, welche zur zufälligen Art und Weise des menschlichen Seins gehören. Da also der Wille Gottes am kräftigsten einwirkt, so folgt nicht nur, daß das geschieht und wird, was Gott will, sondern auch, daß es auf die Weise wird, wie Gott will. Gott aber will, daß etwas notwendig geschehe und daß anderes frei und zufällig sich ereigne; damit so eine Ordnung sei und das All durch allerhand Seinsweisen vollendet werde. Und deshalb hat Er der einen Klasse von Wirkungen solche Ursachen angepaßt, aus denen diese mit Notwendigkeit hervorgehen und die in ihrem Wirken nie schwach werden; der anderen Klasse aber hat Er solche Ursachen angepaßt, welche in ihrem Wirken fehlen und aus denen deshalb die Wirkungen folgen können und auch nicht folgen können. Nicht also deshalb folgen aus solchen Ursachen die Wirkungen mit Freiheit, weil die nächsten Ursachen so beschaffen sind; — sondern weil Gott wollte, daß die Wirkungen frei seien, deshalb hat Er ihnen nächste frei wirklende Ursachen angepaßt.
c) I. Augustin versteht mit seinen Worten nicht die absolute unbedingte Notwendigkeit, sondern die bedingungsweise. Denn es ist notwendig, daß dieser Bedingungssatz wahr sei: „Wenn Gott will, daß dies sei, so ist notwendig, daß es sei.“ ll. Weil eben dem göttlichen Willen nichts widersteht, folgt, daß jene Dinge nicht nur seien, welche Gott will, sondern daß sie mit Notwendigkeit oder frei seien, wie oder je nachdem Gott will. III. Das, was folgt, empfängt von dem Vorhergehenden Notwendigkeit gemäß der Seinsweise des letzteren. Sonach haben die Dinge, welche im göttlichen Willen ihren Ursprung sehen, solche Notwendigkeit, wie Gott es will: eine unbedingte nämlich oder eine bedingte. Und demgemäß ist nicht alles unbedingt notwendig.
