Traktat VII. Von der Geburt des Herrn I.1
1. Es gibt zwar mehrere Sekten, die mit ihrem Gerede Christus in beleidigendster Weise herabzusetzen suchen, S. 216 aber drei von ihnen sind sozusagen die führenden. Dabei geben zwei von ihnen noch vor, daß sie ihm, den sie vernichtet sehen möchten, Verehrung entgegenbringen. Die eine von ihnen behauptet deshalb, Jesus Christus habe aus dem Schöße der Jungfrau Maria seinen Anfang genommen, sei dann um seiner Gerechtigkeit willen zum Gott erhoben worden, aber nicht als solcher geboren.2 Die andere ist gemäßigter, aber ihr Schaden ist tiefergehend: sie erklärt, daß der Sohn Gottes zwar Gott sei, aber nicht von Ewigkeit her aus dem Glanz des Vaters hervorgegangen sei; und es habe eine Zeit gegeben, da er nicht war.3 Die dritte Sekte, das Judentum, ist wirklich blind. Denn obwohl sie in ihrem Gesetz, wie sie es zu nennen pflegt, überall liest, daß zwei Personen, des Vaters und des Sohnes, genannt werden, bestreitet sie doch bis zur Stunde, daß Gott einen Sohn habe. Ihnen allen werden Beispiele oder vielmehr die Begründung, die wir geben werden, mit einem Schlag alle Stützen ihrer ganzen Beweisführung entziehen. Vor allem muß das christliche Volk, wenn es nicht in Irrtum fallen soll, notwendigerweise wissen, daß es zwei Geburten unseres Herrn Jesus Christus gibt: die eine, in der er geboren ist, und die andere, in der er wiedergeboren ist. Ist die erste geistig und ohne Mutter erfolgt, so ist die zweite leiblich und ohne Vater. Die letztere ist wunderbarer Art, die erstere unaussprechlich, wie der Prophet sagt: „Wer wird seine Geburt aussprechen?"4Warum sie unaussprechlich ist, mögen wir aus dem Worte des Vaters erkennen. Denn der Herr selbst lehrt es uns:5 „Mein Herz läßt ein gutes S. 217 Wort hervorgehen."6 Und bei Salomon spricht er sich dahin aus: „Ich bin aus dem Munde des Allerhöchsten hervorgegangen vor aller Schöpfung."7
2. Lerne doch, du überkluges Menschenkind, unter solchen Verhältnissen dich selbst einschätzen und lege deiner vorlauten Zunge die Zügel des Schweigens an! Es gehört doch zum Wahnwitz, über das Geheimnis des Unsichtbaren und Unbegreiflichen Ansichten aufzustellen, sein Inneres genau untersuchen zu wollen, nachdem man nicht einmal über sein Wirken nach außen Vermutungen anstellen kann. Denn Gott ist das, was er ist;8 und er ist nicht das, als was ihn der Mensch definieren zu können glaubt. Höret doch, Brüder, was der Apostel Johannes von ihm in seinem Evangelium aussagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort; dieses war im Anfang bei Gott."9 Es ist eine wunderbare Gabe der in die Augen fallenden Wahrheit, daß sie zwar zerlegt werden kann, 10 aber doch nicht ihren Zusammenhang mit sich verlieren kann. Wenn nämlich das Wort in Gott ist und Gott das Wort ist und so das Wesen, in dem es sich befindet, dasselbe ist wie derjenige,11der es bewohnt: so ergeben sich zwar zwei Personen und zwei Bezeichnungen,12 aber nur eine Wesenheit der ursprünglichen Ewigkeit und Gottheit, so wie der Herr selbst sagt: „Ich und der Vater sind eins."13 Er sagte das S. 218 nicht, um die beiden in eins zusammenzufassen und zu vermischen, sondern um uns zu lehren, daß beide die eine Allmacht der Gottheit und der Herrschergewalt besitzen. Es folgen denn auch die Worte darauf: „Alles ist durch ihn gemacht worden, und ohne ihn ist nichts gemacht worden.“14
3. Nun, mein so guter Christ, laßt uns sehen, wie sich zwischen Vater und Sohn eine Zeit einfügen läßt. Denn wenn es auf die Zeit zurückzuführen ist, daß der eine dem andern Untertan ist, und nicht auf sie selbst, so ist's zweifellos so, wie du willst: das Geschaffene ist dann größer als Gott, Aber wenn Christus die Schöpfung aus nichts gemacht hat, der Begriff Zeit aber erst vom Geschaffenen stammt, so ist es doch Ungereimtheit, das Werk zeitlich dem Schöpfer voranzustellen, Und so ist zwischen den beiden (Vater und Sohn) nur der Unterschied, daß sie allein sich gegenseitig kennen. Deshalb spricht bei Isaias der Herr, Gott der Heerscharen, zum Sohne: „Ermüdet ist Ägypten und der Handel der Äthiopier. Die Sabäer, Männer von hohem Wuchs, werden zu dir übergehen, und sie werden deine Diener sein und werden, in Fesseln geschlagen, dir folgen und vor dir sich beugen und dich anflehen: denn nur in dir ist Gott, und außer dir ist kein anderer Gott,"15 Und im gleichen Geist spricht Jeremias: „Dieser ist unser Gott, und außer ihm wird kein anderer als Gott gelten. Er erfand den Weg der Weisheit und offenbarte ihn Jakob, seinem Diener, und Israel, seinem Liebling. Darnach erschien er auf Erden und wandelte unter den Menschen."16 In dieser Gestalt lasset ihn uns auch noch kennenlernen am Wort des Heiligen Geistes, der da spricht: „Und er ist ein Mensch, und wer wird ihn erkennen?" 17 Wie man ihn unter solchen Umständen kennenlernen könnte, hat Isaias kundgetan in den Wor- S. 219 ten: „So höre denn, Haus Davids: Nicht gering ist euer Kampf mit den Menschen; denn Gott wird den Kampf führen. Deshalb wird euch Gott ein Zeichen geben. Siehe, eine Jungfrau wird in ihrem Schöße empfangen und einen Sohn gebären, und sein Name wird Emanuel genannt werden. Und der Knabe wird Butter und Honig genießen, bevor er das Gute oder Böse erkannt hat.“18 Erklärt hat er diese Zeichen an einer andern Stelle in dem Hinweis auf seinen Vorläufer mit den Worten: „Siehe, ich sende meinen Boten her vor deinem Angesicht, der dir den Weg bahnen wird."19 Wer, meine Brüder, ist dieser Bote anders als Johannes der Täufer? Seine Wegbereitung liegt in dem Wort: „Es ist die Stimme des Rufenden in der Wüste; Bereitet den Weg des Herrn, machet eben die Pfade unseres Gottes.“20
4. Lasset uns nun sehen, was weiter folgt. Um dieselbe Zeit empfangen zwei einander verwandte Frauen, die eine gegen alle Hoffnung, die andere durch das Wort. Die eine wundert sich, daß sie empfangen, weil sie nichts davon weiß; die andere freut sich, weil sie es weiß.21 Elisabeths unfruchtbarer Schoß schwillt an durch beglückende Fruchtbarkeit, Mariens Schoß durch die Majestät, Die erstere trägt den Herold in sich, Maria den Richter. Jubelt, ihr Frauen, und erkennet daran die Hebung eures Geschlechtes! Die alte Schuld ist vernichtet: siehe, durch euch gewinnen wir Verbindung mit dem Himmel: die Greisin hat den Boten geboren, die Jungfrau Gott. Das ist unser Gott, der eine Zeitlang seine Würde ablegte, nicht aber seine Macht, aus Liebe zu seinem Menschen, dessen Gestalt und Geschöpflichkeit er annehmen wollte, so daß man von ihm sagte, er sei ein Engel, ein Mensch, ein Kind, ein Bräutigam, ein S. 220 Riese; er sei gekreuzigt, begraben worden, er sei der Erstgeborene von den Toten: ja dieser ist es, der alles in allem ist, weil durch ihn und in ihm alles ist. Laßt euch, Brüder, nicht irre machen durch das weltliche und geradezu kindische Gerede von unüberlegten Menschen: sie fallen in verschuldeten Irrtum, weil sie der Anschauung sind, daß Gott nicht aus Gott Mensch, sondern aus einem Menschen Gott geworden sei.22 Würden sie geistig denken, dann würden sie ihn gerade um dessent-willen am meisten preisen, was sie für seine größte Schwäche halten. Denn er wäre nicht mehr der vollkommene Gott, wenn es etwas gäbe, was er sein wollte und nicht sein könnte. Und wollt ihr zum Schluß in einer kurzen Zusammenfassung die Wahrheit wissen? Er ist geworden, was er nicht war, und hörte doch nicht auf, das zu sein, was er vorher gewesen war.
De nativitate Domini. Zu den folgenden Traktaten ist zu bemerken: Wie Laktanz unterscheidet Zeno zwei nativitates. In der ersten Geburt wurde der Sohn Gottes aus dem Vater geboren, in der zweiten wurde er aus der Jungfrau Maria wiedergeboren. Er bezeichnet auch die Zeugung durch den Vater als nativitas. Hierfür war bestimmend sein cyprianischer Bibeltext, der die vielfach und auch in diesem Traktate ver wertete Stelle Is. 53, 8 wiedergab: Nativitatem eius quis enarrabit, während andere Väter und auch die Vulgata: Generationen! eius quis enarrabit bieten, vgl. Einleitung, S. 37 f. ↩
Gemeint ist wohl die Lehre der Anhänger des Paulus von Samosata oder des Photinus, vgl. Einleitung, S. 28. ↩
Gemeint ist der Arianismus, dessen Schlagwort war: φψ νοτε, οτε οϖξ ριϖ. ↩
Is, 53, 8: Text nach Cyprian: Nativitatem eius quis enarrabit? ↩
Nach dem Text der Ballerini: Cur autem sit inenarrabilis, Patre loquente noscamus: Dominus ipse nos edocet: Eructavit cor meum verbum bonum. Et apud Salomonem etc. Giuliari trennt wohl zu Unrecht:… Patre loquente noscamus: Eructavit, inquit, cor meum Verbum bonum. Et Dominus ipse nos edocet apud Salomonem etc. ↩
Ps. 44, 2. ↩
Sir. 24, 5. ↩
Exod. 3, 14. ↩
Joh. 1, 1. 2. ↩
Nach der Lesart der Ballerini: Admirabilis gratia conspicuae veritatis, quae dum secerni potest, tarnen sibimet externa esse non potest. Giuliari schlägt vor: ... quaedum in seccrni potest, tarnen etc. ↩
Nach der Lesart der Ballerini: ... et hoc est, in quo est, quod ille est, qui inest. Giuliari bietet: ...quod ille est, cui inest. ↩
Gegen den Sabellianismus gerichtet, der Vater und Sohn nur als zwei Bezeichnungen bzw. Erscheinungsformen einer Person faßte. ↩
Joh. 10, 30. ↩
Joh. 1, 3. ↩
Is. 45, 14; nach dem cyprianischen Bibeltext. ↩
Bar. 3, 36—38. Das Buch Baruch wird in den ersten Jahrhunderten vielfach als Jeremias zitiert. ↩
Jer. 17, 9; nach dem cyprianischen Bibeltext. ↩
Is. 7, 13-15. ↩
Mal. 3, 1; Mark. 1, 2. ↩
Mark. 1, 2.; Matth. 3, 3.; Luk. 3, 4. ↩
So nach der Lesart Giuliaris, die auch handschriftlich begründet ist: laetatur illa, quia seit. Die Ballerini lesen: laetatur illa, quia discit. ↩
Nach der Lesart Giuliaris: ... quia Christum non ex Deo considerant hominem factum, sed ex homine Deum. Die Ballerini boten: ... Christum non ex Deo considerant hominem factum, sed ex homine. Die Beifügung: ex homine Deum scheint durch den Satzschluß wie durch den Sinn geboten. ↩
