Traktat XI. Von Abraham II.1
S. 230 1. Denn eine vorher in Aussicht genommene Jungfräulichkeit wird nicht gefordert, aber auch eine später noch verbleibende (eheliche) Enthaltsamkeit wird nicht zurückgewiesen.2 Zur Beglaubigung hierfür, Geliebte, haben wir einen heiligen Gewährsmann, nämlich Abraham, der dereinst Isaak zum Sohne hatte. Das ist zwar ein einfaches Wort, aber sein Sinn ist ein vieldeutiger. Denn er wurde, Geliebte, empfangen, als seine Eltern schon die Hoffnung auf einen Sohn aufgegeben hatten, auf die Verheißung Gottes hin, als die Blüte der verflossenen Jugend und der Zeugungskraft des Vaters bereits dahin war;3 er verdankte es nicht so fast seinen S. 231 Eltern, daß er gezeugt wurde, sondern der göttlichen Verheißung- Und in den letzten Abschnitten ihres Lebens erschloß ein Sohn den Mutterschoß Saras, mit jenem ersten Wort,4 ihr, der ein achtunggebietendes Greisenalter schon die Ehrfurcht zukommen ließ, wie sie einer Großmutter gebührt. Und dieser Sohn, Geliebte, der unter Verhältnissen, in denen man die Hoffnung auf eine Geburt schon aufgegeben hatte, zum Staunen noch auf die Welt kam, wird in den ersten Jahren seiner Kindheit auf Befehl und Verlangen Gottes ihm als unschuldiger Märtyrer zum Opfer dargebracht. Als ein unbeflecktes Opfer, aber nicht als ein unvorbereitetes Opfer wird er, der vom Herrn als Zeuge zur Erweisung seiner Gottesfurcht gefordert wird, vom Vater herbeigeführt: doch nicht als ein Opfer des Blutes, sondern als ein Opfer des Heiles. Zu solcher Herrlichkeit gelangt die Frucht der späten Geburt, der Kindessegen, der nicht mehr erhofft war.
2. Die Gattin Abrahams, die nicht wußte, daß sie empfangen — sie konnte bei der Erkaltung des Greisenalters von ihrem Schöße kein Kind mehr erhoffen, trug auch nicht das Vertrauen in sich, ein solches austragen zu können —, übernahm nun die Aufgaben der Mutter, nachdem sie schon die Pflichten der Gattin nicht mehr kannte. Und die Geburt erfolgte in einer Zeit, da die Liebesglut bereits die Geschlechtsorgane verlassen hatte. Und, Geliebte, das Kind im Mutterschoß, das sein Sein göttlicher Anordnung verdankte, ward auf ganz wunderbare Weise gebildet, wie sie auch in der Folgezeit nicht mehr zu erhoffen war« Das schon vorübergegangene S. 232 Alter kehrt wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück.5 Aus der Unfruchtbarkeit erwächst die Fruchtbarkeit zur Erfüllung des Wortes, das beim Propheten geschrieben steht: „Freue dich, Unfruchtbare, die du nicht gebarst, juble auf und rufe es hinaus: Die Verlassene hat viele Söhne!„6 Denn sehet nur, Geliebteste, in Sara sind die Nerven durch das Alter zusammengeschrumpft, der Saft ihres Blutes ist schwach geworden, ihre Adern beginnen zu vertrocknen, ihre Haut mit den darunter befindlichen Organen ist spröde, entstellende fahle Blässe zerstört schon fast die menschlichen Gesichtszüge, und in ihren Gliedern lebt kein sinnliches Begehren mehr, Ihrem Körper war nichts mehr von seinem Kraftbestand geblieben. Und doch — dem Kinde im Mutterschoß ward nichts versagt, Sie, deren Alter auf eine Großmutter hinwies, brachte die Geburt zur Ehre der Mutter, obgleich ihr frommer Sinn bei dem verwirrenden Wort von Kindesliebe schwankte,7 ihr hohes Alter in der Zeit, da ihr Schoß den Sohn gebar, vielmehr einen Enkel wünschte. So gab sie denn auch dem Sohne, den sie gegen alle Vermutung im Widerspruch mit der Zeit und der Natur geboren, den Namen ὅ γελός Isaak (das Lachen);8 Freude sollte das bekräftigen, was die Gebrechlichkeit des Alters nicht mehr erhofft, Neue Liebe erwacht in den Eltern zu dem Sohne; sein Besitz galt ihnen um so sicherer, als er nach göttlicher Verheißung geboren war, um so süßer, als er spät gekommen, um so glückver- S. 233 heißender, als sie die Hoffnung aufgegeben. Als einziger an der Zahl und zugleich als der erste in ungeteilter Liebe besaß er die ganze Liebe des Vater- und Mutterherzens.9 Und nun, nachdem er in der beschleunigten Erziehung, die ihm zuteil geworden, herangewachsen, sollte er für Gott ein Opfer, für die Eltern Gegenstand eines frommen Kindesmordes werden,
3. Sehet, Geliebte, so führt Abraham seinen Sohn, der ihm ugegen alle Hoffnung“10 geboren war, auf Veranlassung des Herrn zum Altare, um ihn zu opfern. Und es fehlt für diesen Opferdienst auch nicht das Schwert; wie Vater, so sollte er auch Priester sein. Ebenso groß war nach dem Willen Gottes die Sicherheit des Sohnes. Als derselbe nach dem Opfertier Umschau hielt, an dessen Stelle er selbst ausersehen war, fragte er darnach,11 Aber da werden seine zarten Hände in Fesseln gelegt. Und damit er ja nicht geringer als ein Opferlamm erscheine, umschnürt der Vater ihm auch die Füße mit Banden: er könnte sonst in Aufregung geraten und so nicht ein wohlgefälliges Opfer sein,12 Doch, Geliebte, der Verdacht mangelnder Vaterliebe wäre verabscheuenswert und darf nicht aufkommen, Abraham gab Gott vor dem Sohne, dem Priester vor dem Vater den Vorzug. Er hätte nicht geglaubt, Liebe zu haben, wenn er nicht sich als gläubig erwiesen hätte. Daher, Geliebte, rüstet er sich unerschrocken zum Vollzug des Opfers. Sicher sucht der Geist, sicherer noch die Hand S. 234 die Stelle zur Anbringung der Wunde.13 Zur Schlachtung erhoben schwebt das Schwert in der Luft. Doch dem Knaben flößte das Nahen des Todes keine Traurigkeit ein: kein Zittern sollte den Glauben als schwach erweisen. Bei dieser Standhaftigkeit sowohl des Schlachtenden als auch des Schlachtopfers verdiente der Sohn die Befreiung, da er alle menschliche Furcht von sich bannte. Und hinsichtlich des Glaubens hatte der Vater sein Versprechen eingelöst; und nachdem der Herr den Willen erprobt, hinderte er den Kindesmord.
4. In seiner (Isaaks) Person ist die verehrungswürdige Geburt Christi vorgebildet: doch der Palast des jungfräulichen Mutterschoßes ist noch geheimnisvoller. Ihn hat der Schoß eines verwelkenden Körpers, durch die bildende Kraft der göttlichen Verheißung hierzu fähig gemacht, getragen.14 Aber gegen ihn, der aus himmlischer Zeugung, nicht aus (menschlichem) Samen hervorgegangen, der unzweifelhaft der Herr ist,15 entfachten die Juden gottlose Pläne. Und wie man Isaak zum Opferaltar führte, der aber nicht sterben sollte, so schleppten die Bösewichter Christus, der da gleich einem Schuldigen S. 235 schwieg, aber nur über ihrer Verblendung trauerte, zum Kreuz, um ihn daran zu erhöhen. Aber da die Ewigkeit nicht sterben kann, so auch der Herr nicht nach seiner Bestattung.16 Den Juden blieb nur der Ärger darüber, daß ihr Wollen verurteilt ward, weil sie ihn nicht als Herrn anerkennen wollten und glaubten, daß er durch ihre Pläne allein bestraft werde, er, bei dem schon seine verspätete Anbetung ein Verbrechen bedeutete.17 Bei der Grausamkeit solch unmenschlichen Beginnens änderten sogar die Elemente ihre Gestalt; und eher als das Volk der Juden zur Einsicht kommt, offenbart die Natur die Beleidigung, die Gott zugefügt ward. Von ihrem Schöpfer selbst nahm daher der Abscheu Vor ihrem wütenden Tun seinen Ausgang.18 Die Rotte der Henker schart sich zusammen, und die Spitze ihrer Schwerter richtet sich gegen den Unsichtbaren, der am Kreuze hängt.19 Aber wie schon gesagt, sie erntete keine Frucht von ihrem frevelhaften Tun. Wie bei Isaak etwas anderes geschlachtet wurde, als zum Opfer dargebracht wurde, so wurde auch bei den Leiden Christi das, was in Adam gesündigt hatte, durch Christus wieder entsühnt.20 S. 236
Der Anfang des Traktates fehlt, wie die Einleitungsworte Non enim und der Inhalt erkennen lassen. Nach dem ersten Satz zu schließen, ging eine Darlegung über die jungfräuliche Geburt Christi voraus, auf die der Prediger in Kap. 4 zurückkommt. Aber auch die handschriftliche Überlieferung des Vorhandenen ist nach den Herausgebern, den Gebrüdern Ballerini und Giuliari, eine außerordentlich schlechte, und die Herstellung eines sinngemäßen Textes und die Erklärung bieten außerordentliche Schwierigkeiten. ↩
Der Text der Ballerini und von Giuliari lautet: Non enim praeeepto virginitas provocatur, sed nee continentia relicta repellitur. Aber nach der Notiz der Ballerini weist die Mehrzahl der Handschriften präeeepta auf. Nimmt man prae-cepta im Sinne von prae(antea)capta, so stellt die virginitas praeeepta ein Gegenstück zu der nun erwähnten continentia relicta dar, unter welcher wohl die spätere eheliche Enthaltsamkeit zu verstehen ist. Freilich ist das Beispiel Abrahams für diese Form der Enthaltsamkeit kein vollgültiges. Doch sieht Zeno in Isaak ein Vorbild Christi, nicht nur im Opfer beider, sondern auch in der Empfängnis und der Geburt, die bei Isaak durch göttliche Verheißung trotz Unfruchtbarkeit der Sara, bei Christus durch das göttliche Wort bei Jungfräulichkeit Mariens erfolgt. ↩
Nach der Lesart Giuliaris: in transaetae aetatis et gene-rantis genitalis flore consumpto, Sie hat einen Rückhalt darin, daß mehrere Handschriften .., flore consumitur aufweisen« Die Ballerini bieten ohne handschriftliche Grundlage: ... flore coneipitur. Andere Ausgaben schlagen andere Textesform vor. ↩
Gegenüber der früheren Lesart ... Sarae uterum filius aperto primo vocabulo emendierten die Ballerini und ihnen folgend Giuliari: ... aperuit primo vocabulo. Bei „primo vocabulo„ mag man an das Wort „Mutter“ denken, wie denn die Ballerini zuerst an die Emendation: aperuit matris vocabulo dachten, oder an das Wort, das Sara bei der Geburt sprach: Risum fecit mihi Deus (Gen. 21, 6). ↩
Nach der Lesart der Ballerini: Mira prorsus, carissimi, nec speranda saeculis post futuris divinae ordinationis propago formatur: ad prineipium aetas peraeta revocatur. Giuliari: Mira prorsus, carissimi et speetanda saeculis,., propago! Formatur ad prineipium aetas, peraeta revocatur. ↩
Is. 54, 1 ↩
So ist wohl der Satz zu verstehen: matrem partus ornavit, cum sub incerto affectionis vocabulo pietas nutaret. ↩
So nach der ansprechenden Emendation von Giuliari: Ita denique". nato o gelos Isaac nomen imposuit. Sie ist der Lesart der Ballerini: … nato angelus Isaac nomen imposuit vorzuziehen. Vgl, Gen, 21, 6. ↩
Nach der Lesart Giuliaris: ... totum paternae ac maternae pietatis oecupaverat pectus. Ballerini: totum maternae pietatis oecupaverat pectus. ↩
Vgl. Rom. 4, 18. ↩
Nach der Lesart Giuliaris: qui cum hostiam provideret, cuius loco electus fuerat, requirebat. Sie scheint berechtigt, da die meisten Handschriften bieten: cum hostiam pervidet (providet, praevidet, provideret). Ballerini: qui cum hostiam non videret. ↩
... ne incitata victima displiceret. Vgl. in Trakt. X 2: ne in exitu mortis concitata victima calcitraret. ↩
Rimatur ad ictum vulneris securus animus, sed securior manus. ↩
So nach der Lesart der Ballerini: Ad huius ergo personam Christi refertur verecunda nativitas, sed virginalis uteri aula secretior; divini sermonis arte formatum, in se tabescentis corporis vulva portavit. Die Lesart Giuliaris: Ad huius ergo personam, quam in se tabescentis corporis vulva portavit, Christi refertur verecunda nativitas, et virginalis uteri aula secretior, divini sermonis arte formata (In seiner, Isaaks, Person, welche der Schoß eines verwelkenden Körpers getragen, ist die verehrungswürdige Geburt Christi und der noch geheimnisvollere Palast des jungfräulichen Mutterschoßes vorgebildet, der da gebildet ist durch die Kunst des göttlichen Wortes) ist wohl sinngemäßer, scheint aber handschriftlich nicht begründet. ↩
Nach der Lesart der Ballerini: Sed in coelesti prole, non semine progenitum, certissimum Dominum impia Judaeorum exarsere consilia. Über die anderen Lesarten siehe dortselbst. Giuliari: Sed in coelestem, ore, non semine progenitum, certissimum Dominum ... ↩
Ballerini; Sed quia nescit aeternitas mori, revixit Dominus post sepulcrum. Da aber nach ihrer Mitteilung die Handschriften fast durchweg bieten ... mori aut Dominus post sepulcrum, scheint die Emendation Giuliaris richtig: ... mori, aud Dominus post sepulcrum. ↩
So ist vielleicht die dunkle Stelle zu verstehen: ad Judaeos remansit sola damnatae voluntatis invidia, quia Dominum nee agnoscere voluerunt et sola crediderunt cogitatione puniri, quem nefarium fuerat etiam tardius adorari. ↩
Ballerini: ab auetore itaque coepit furoris horror. Bei dem Worte auetor haben frühere Erklärer wohl zu Unrecht an den Verräter Judas gedacht. Andere lasen: ab auetore lucis, da die geschilderten Naturereignisse mit der Verfinsterung der Sonne begannen. Giuliari folgt einer früheren Konjektur: ab auetore vitae quaeritur horror. ↩
Bei gladiorum mucro convertitur ist wohl an den Spott der unter dem Kreuz stehenden Juden zu denken in Anklang an das Wort: lingua eorum gladius acutus. (Ps. 56, 5.) ↩
Nach der Lesart Giuliaris: quod per Adam deliquerat, per Christum litatur. Ballerini: ... per Christum liberatur. ↩
