Traktat XV. Von Job.
1. Geliebteste Brüder! Die Erzählung der heiligen Geschichte ist deshalb zum Lesen auf uns gekommen, damit wir, wenn möglich, wenigstens bis zu einem gewissen Grade die Sitten der Vorfahren nachahmen, wenn wir ihre Tugenden nicht nachzuahmen vermögen; denn sie lebten in so großer Rechtlichkeit, daß es schon ein Stück Glück bedeutet, nur zu erfahren, was sie getan.
So war Job ein Mann, gerecht und wahrhaft,1 ein Mann, der sich fernhielt von allen Lockungen dieser Welt, lauter in seinem Wandel, lauterer noch in seinem Innern, dabei so umsichtig und untadelig, daß er durch das Zeugnis Gottes (selbst) belobt ward.2 Es war deshalb nicht unverdient, wenn er, glücklich, ein glückliches Leben führte. Denn er besaß ein glänzendes Haus, einen reichen Besitz, eine reiche Zahl von Kindern, und zwar (was den Eltern besonders willkommen ist) von solchen, die verschiedenem Geschlecht angehörten, Kindern, die sich gegenseitig liebten; täglich brachte er für sie alle Gott Opfer dar. So stark war die Mauer seiner Sittenreinheit und seines Glaubens, die ihn schützend umgab, daß der Teufel sich nicht an ihn herangewagt hätte, hätte nicht Gott ihm hierzu eine Weisung erteilt. Und nun, stellt euch vor, Brüder, wie er wütete, wenn er dazu aufgefordert war, er, den man nicht einmal ertragen kann, wenn er schmeichelt. Und so beginnt jetzt ein Kampf, der berühmt geworden ist. Auf der einen Seite schlägt der Teufel mit allen seinen Waffen einen furchtbaren Lärm, ruft obendrein seine Diener zu Hilfe, S. 252 läßt schreckenerregend seine Posaune erklingen, entfacht in den Herzen der Räuber ein wütendes Feuer, und in immer sich wiederholenden Angriffen macht er sich allmählich an das ganze Besitztum des Gottesmannes; er vernichtet in einem Augenblick plötzlich mit Raub, Feuer und Schwert dessen ganze Habe. Auf der andern Seite steht Job, stark in seinem tiefverwurzelten Glauben: er wird durch soviele Trauerbotschaften zwar erschüttert, kommt aber nicht ins Wanken; er preist nur Gott und bewahrt seine Habe, indem er sie für nichts achtet... Wie der Teufel merkt, daß er trotz solcher Angriffe nichts ausgerichtet, läßt er die ganze Wut seiner Gottlosigkeit auf die Kinder Jobs ausströmen. Wie sie in gewohnter Weise einträchtig im Hause beim Mahle sitzen, bringt er plötzlich mit aller Kraft die vier Ecken zum Wanken; und indem Wände und Decken zu einem wilden Durcheinander zusammenstürzen, begräbt er die heilige Schar der Geschwister, bevor er sie tötet. Und so sehr hatte er's auf die Vernichtung der Vaterliebe abgesehen, daß der Schmerz des Vaters bei diesem Massengrab den Verlust nicht ganz zu fassen vermochte, da er nicht wußte, wen er zuerst betrauern müßte, wen er zuerst auffinden würde, wem er zuerst die traurige Pflicht der Bestattung erweisen sollte. Als der Diener Gottes diese Nachricht erhielt, zerriß er seine Kleider, aber nicht, um Gott zu grollen, sondern um ungehindert mit dem Feind zu kämpfen. Brachte er beim Verlust des Vermögens seine Geringschätzung des Reichtums zum Ausdruck, so ließ er bei dem Verlust seiner Kinder den Vater, bei der Strafe an seinem Leibe sein Gerechtsein in den Hintergrund treten. Denn er wurde vom Scheitel bis zu den Fußspitzen vom Feinde mit Krankheit geschlagen; und er war nicht nur da und dort mit zahlreichen Geschwüren bedeckt, sondern ganz und gar eine einzige Wunde geworden. Aber inmitten von all dem sprach er nichts Unrechtes gegen Gott. Er ließ sich weder von seinem Weibe beeinflussen, die ihm zu Un- S. 253 erlaubtem riet, noch gab er den Freunden nach, die ihn verhöhnten: als Sieger über -Grausamkeit und Gottlosigkeit sitzt er auf dem übelriechenden Misthaufen, der voll ist von Würmern, als ob er nichts gelitten hätte, zufrieden allein in der Furcht Gottes. Glücklicher Mann! Er hat durch seine wunderbare Geduld Gott schon jetzt verdient, hat den Teufel besiegt, hat seine Gesundheit wieder erhalten und hat seine Besitztümer und seine Kinder nicht verloren, sondern sie mit andern vertauscht.
2. Soweit man es verstehen kann, geliebteste Brüder, war Job ein Vorbild Christi. Kurz soll ein Vergleich die Wahrheit dessen dartun. Job wurde von Gott als gerecht bezeichnet. Christus ist die Gerechtigkeit (selbst), aus deren Quelle alle trinken, die da selig sind: denn so ist's von ihm gesagt: „Aufgehen wird euch die Sonne der Gerechtigkeit."3 Job wurde wahrhaft genannt. Der Herr aber ist die wirkliche Wahrheit, er, der im Evangelium sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit."4 Job war reich. Aber was ist reicher als der Herr? Er, von dem alle Reichen nur Diener sind; er, dem der ganze Erdkreis, die ganze Welt gehört, wie der seligste David sagt: „Des Herrn ist die Erde und alles, was sie erfüllt, der Erdkreis und alle, die auf demselben wohnen."5 Job hat der Teufel dreimal versucht. Ebenso unternahm er es, wie der Evangelist berichtet, den Herrn dreimal zu versuchen.6 Job verlor sein Hab und Gut, das er besaß. Der Herr ließ seine himmlischen Güter aus Liebe zu uns zurück, und machte sich arm, um uns reich zu machen. Der Teufel tötete in seiner Wut die Söhne Jobs. Und die Söhne des Herrn, die Propheten, hat das wahnwitzige Pharisäervolk gemordet.7 Job war durch Geschwüre befleckt. Und der Herr, der Fleisch annahm, war durch den Schmutz der Sünden der ganzen Menschheit entstellt. Job forderte seine Gattin auf, er solle sündigen. Den Herrn drängte die Synagoge, er solle der S. 254 verderbten Überlieferung der Alten folgen.8 Job verhöhnten nach dem Berichte seine Freunde. Den Herrn verhöhnten seine Priester und seine Anhänger. Job saß auf dem Misthaufen, der voll war von Würmern, Der Herr weilte in dem wirklichen Misthaufen, nämlich im Schmutzpfuhl dieser Welt, inmitten von Menschen, die in Wahrheit Würmer sind, da sie voll sind von den verschiedenartigsten Verbrechen und Leidenschaften. Job erhielt seine Gesundheit und seinen Besitz wieder zurück. Und der Herr schenkte nach seiner Auferstehung denen, die an ihn glauben, nicht nur Gesundheit, sondern auch Unsterblichkeit9 und gewann die Herrschaft über die ganze Welt zurück, wie er selbst bezeugt, wenn er sagt: „Mir ist alles von meinem Vater übertragen worden“10 Job zeugte zum Ersatz für die verlorenen neue Söhne, Der Herr zeugte nach den Propheten als Söhne die heiligen Apostel,11 Job entschlief selig im Frieden, Der Herr aber bleibt in Ewigkeit gepriesen vor der Zeit, in der Zeit und für alle Ewigkeit.
Job 1, 1ff. ↩
Ebd. 1, 8. ↩
Mal. 4, 2. ↩
Joh. 14, 6. ↩
Ps. 23, 1. ↩
Matth. 4, 1 – 11. ↩
Ebd. 23, 37; Luk. 13, 34; Apg. 7, 52. ↩
Matth. 15, 2; Mark. 7, 5. ↩
Joh. 11, 26. ↩
Matth. 11, 27; Luk 10, 22. ↩
Vgl Ps. 44, 17: Pro patribus tuis nati sunt tibi filii: con-stitues eos principes super omnem terram; eine Stelle, die mehrfach auf die Apostel bezogen wurde. ↩
