Traktat XL. An die Neugetauften nach der Taufe. III.
Brüder, jubeln wir in Christus und laßt uns dem ewigen Triumphator in Hymnen, auf Zithern, mit Pauken und in Lobliedern Dank sagen, ihm, der seine Verheißungen an uns verewigt hat und uns in einer milden Strafvergeltung, wie man gewöhnlich sagt,1 wahrhaft goldene Schlüssel gesandt hat.2 Und zwar sind es nicht Schlüssel, die den Verbrecher — in einer schlechten Wohltat für ihn — aufnehmen, die den Leib schonen, aber seine Seele nicht befreien können; die an den Sünden, als ob sie dieselben nicht sähen, vorübergehen und sie nicht wegnehmen, sondern nur einschließen; die den Schuldigen ebenso wieder entlassen, wie sie ihn gefunden; die sogar demjenigen, der darüber verfügt, in gleichem Fall nichts nützen können. Nein, unsere Schlüssel sprechen alles in seiner ganzen Masse frei, was sie vorfinden, und sie dulden nicht, daß irgend etwas zurückbleibt; sie öffnen alle Herzenskammern und treiben sorgfältig alle Sünden aus denselben aus und schließen sie sorgfältig wieder, damit dorthin auch gar nichts von dem Armseligen, das ausgeschlossen ward, zurückkehre. Das ist eine wunderbare Art, eine wunderbare Seligkeit! Das Vergehen wird in dem Schuldigen bestraft, er selbst bleibt unverletzt; es stirbt im Menschen das, weshalb er sterben sollte, und er selbst bleibt am Leben. Daher braucht auch unser Be- S. 297 kenntnis keine Folteranwendüng: ohne daß sich ein Folterknecht zu mühen braucht, gesteht der Schuldige aus eigenem Drang sein Vergehen, um dadurch schuldlos zu werden. Es ist ein köstlicher Nachlaß, Brüder, der Verzeihung und Heilung zugleich gewährt. Denn wenn jemand einem Giftmischer, einem Mörder, einem Ehebrecher, einem Blutschänder, einem Gottesräuber Schonung zukommen läßt, nicht aber zugleich seine Seele heilt — ich sehe nicht, was er ihm damit genützt. Wie tief ist doch die Vorsehung unseres Erlösers! Wie einzigartig seine Erhabenheit! Wie süß sein Urteilsspruch! Wie notwendig seine Verurteilung! Der Mensch wird getötet, auf daß er lebe. Man sieht denjenigen nicht, der tötet, und man sieht nicht sein Schwert. 3 Und am Getöteten klafft keine Wunde, fließt kein Blut herab, verbleicht nicht die Gesichtsfarbe. Er ist es — und er ist es doch wieder nicht. Es scheint das alte Wohnhaus zu sein; aber neu ist der Bewohner, der in der Änderung seines Lebens dem Ungläubigen in der Entfaltung verschiedener Tugenden den Adel seiner (neuen) Geburt verrät. Bewahret diese Bindung! Bleibet in dem ganzen Verlauf eures Lebens in diesem Kindsein! Seht euch mit aller Kraft vor, daß ihr nicht nochmals die Erinnerung an den früheren Menschen, wie er der eurige war, wieder aufleben lasset!
Pia sanctione (ut aiunt); sanctio ist ein Gesetz, Vertrag, mit Strafandrohung verknüpft. ↩
Die Schlüsselgewalt der Kirche (Matth. 16, 18) wird hier auf die Sündenvergebung bei der Taufe bezogen. ↩
Nach der Lesart Giuliaris: percussor non videtur, percussorisque gladius non cernitur (Ballerini: percussor percussorisque non cernitur gladius). ↩
