Traktat LXIII. Von dem Auszug. X.1
Wenn die Juden sich der Erinnerung an ein bedeutungslos gewordenes Bild rühmen, um wieviel mehr darf es der Christ tun, der nicht ein Bild, sondern die Wahrheit sein eigen nennt? Erkennet die Sachlage und prüfet zugleich! Die Juden heben es preisend hervor, daß ihre Vorfahren, die unter dem schweren Joch der Knechtschaft Pharaos und seines Trosses schmachteten, von Ägypten befreit wurden. Bei uns aber wurden nicht nur unsere Vorfahren von der Wut des Teufels und dem gewalttätigen Haufen der Götzenbilder, sondern wird auch das ganze Geschlecht der Christen von dem wahren Ägypten, nämlich von dieser Welt, allezeit befreit. Den Juden war Moses Führer, Unser Führer aber ist Christus der Herr. Den Juden wies eine Wolken- und eine Feuersäule den Weg. Uns haben die leuchtenden göttlichen Aussprüche des Alten und Neuen Testamentes den Weg und den wahren Christus, den Herrn, kundgetan, ihn, der da sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit."2 Das Volk der Juden hat auf seiner Flucht das Rote Meer, während rechts und links die Wogen starr wie Felsenriffe standen, trockenen Fußes durchschritten. Unser Meer läßt diejenigen, die es nach ihrem eigenen Verlangen aufgenommen, schiffbrüchig werden — zu ihrem Heil denn es taucht sie, dabei alle ihre Sünden abspülend, in der fruchtbaren Woge unter, so daß sie himmlisch werden und nach der Erde gar nicht mehr verlangen. Die Juden gelangten nach dem Meer zur Wüste. Wir kommen nach der Taufe ins Paradies. Als die Juden hungerten, taute ihnen das Manna. Wir können nicht mehr hungern, da wir allezeit das himmlische Brot als Zehrung mit uns tragen. Und als die Juden Durst litten, floß der Fels in ihren Becher. Wer aber am Quell Christi getrunken, der wird das Dürsten nicht mehr ken- S. 323 nen in Ewigkeit.3 Den Juden ward in der Wüste die Süßigkeit der Milch und des Honigs geboten. Uns aber wird, was mehr als das ist, zuteil werden, süßer denn Honig, weißer als Milch, die Seligkeit eines ewigen Lebens im Reiche Gottes.
