Traktat LIX. Von dem Auszug. VI.1
Gerade das, was die Juden als ihr Glück betrachten, muß man als ihr Unglück erkennen. Denn ich glaube, daß es erträglicher ist, wenn ein Unglücklicher immer in seiner Lage verbleibt, als wenn er zuerst glücklich war und sodann in das äußerste Elend hinabgleitet. Sie verkündigen es preisend, daß ihre Väter auf der Flucht das Volk der Ägypter vernichtet haben; daß Gott der Führer ihrer Väter war; daß er ihnen auf ihrem Zug vorangegangen sei; und sie sehen dabei nicht ein, daß er sie darnach von seinem Angesicht verstoßen und mitsamt ihren Nachkommen hinter seinen Rücken geworfen hat. Das erythräische Meer2 habe sich in der Mitte in zwei Ufer S. 319 geteilt, rechts und links hätten sich zwei Damme erhoben, und die Wogen hätten sich steil aufgetürmt, ohne daß ihr Flüssigsein beeinträchtigt war. Die Natur, die sich gegen sich selbst stemmte, sei staunend gestanden, als der Pfad des Meeres trocken ward. Zwischen den Fluten sei leuchtend ein Landweg sichtbar geworden. Aber dieser Weg brachte sicher nicht das Verdienst eines himmlischen Volkes zum Ausdruck, sondern den Untergang eines irdischen Volkes in der künftigen Zerstreuung auf der ganzen Welt. Deshalb führte er sie von da in die Wüste und mahnte sie, die Wunden ihrer verabscheuenswerten Gesinnung zu heilen, indem er sie mit Milch und Honig versorgte. Denn schwach und krank, wie sie waren, ließ er ihnen das zarte Manna tauen; sie waren nicht fähig und nicht würdig, das feste, für die Ewigkeit bestimmte himmlische Brot zu genießen. Der Fels ließ für sie die Quelle sprudeln; denn sie sollten später, wie sie es verdienten, aus durchlöcherten Zisternen3 schmutziges Wasser trinken, nach dem Wort des Herrn: „Mich haben sie verlassen, den Quell lebendigen Wassers, und sie haben sich durchlöcherte Brunnen gegraben, die kein Wasser zu halten vermögen."4 Was können schließlich die Unglücklichen von dem Vorbild noch für Hoffnungen hegen, wenn sie es doch nicht verdient haben, die Erfüllung zu kennen, Jesus Christus, unsern Herrn? S. 320
Exod. 14—17. ↩
Der Text der folgenden Sätze zeigt Verderbnis. Giuliari gibt ihn von dem Texte der Ballerini abweichend: Erythraeum quoque in geminas ripas medium scissum mare, ductisque dextra laevaque aggeribus, in aciem stipatis undis, earum salvo liquore, arefactam profundi in semita contra se obnixam, stupidam pependisse naturam. Die Übersetzung schließt sich daran an mit der Änderung: ... arefacta profundi semita, contra se obnixam. ↩
Nach der Lesart der Ballerini: ut biberent de tritis lacunis (Giuliari: de tritis coenaculis). ↩
Jer. 2, 13. ↩
