Traktat XVI. Von Susanna.1
Wie oftmals auch in dieser schlechten Welt gegen lobenswerte Menschen mannigfache Ränke gesponnen werden; wie oftmals auch parteiische Anklagen mit Verleumdungen verschiedenster Art gegen sie auftauchen; was auch gegen sie ein Mensch mit verderblichen Absichten ersinnen oder der Teufel unternehmen mag: der Gerechte soll sich nicht fürchten, denn mit ihm ist Gott, So ist Susanna, eine vornehme Hebräerin, eine S. 255 Zierde echter Keuschheit, den Frauen durch das Beispiel ihrer Reinheit eine Lehrmeisterin geworden, Susanna stand vor Gericht, erdrückt durch die Lügen von verworfenen falschen Zeugen, aber aufrecht gehalten durch das innere gute Zeugnis ihres Gewissens, nicht so fast als eine Schuldige, die ihr Urteil erwartete, sondern als eine Gott Geweihte, die mutig für ihre Keuschheit zu sterben bereit war. Und wenn der ungerechte Urteilsspruch der Richter sie zuerst niedergedrückt, so richtete die Schuldlosigkeit ihres reinen Gewissens sie wieder auf, Ihr genügte das Bewußtsein ihrer Reinheit: Gott ist Zeuge.2 Ihre Keuschheit kümmerte sich nicht darum, was die Zeugen Falsches aussagten, nicht darum, welches Urteil die hin-tergangenen Richter fällten, schließlich auch nicht darum, wie der Teufel sie in Schande brachte, nachdem er die Grundlagen ihrer Schamhaftig-keit nicht zu erschüttern vermocht. Zur Hinrichtung schritt nicht ein Leib, der Ehebruch begangen hatte, um dessentwillen höchstes Greisenalter in sinnlicher Begierde entbrannt war, sondern ein Leib, den der Teufel verdächtigt, die Tugend aber geschützt hatte, und der im Schmuck unverletzter Reinheit stand. Da kehrte der Heilige Geist ein in den heiligen Jüngling Daniel und sprach aus ihm, als sie zur Hinrichtung geführt ward: „Kehret nochmals zum Gerichtshaus zurück! Denn diese da haben falsches Zeugnis wider sie abgelegt,"3 Das Volk staunt, daß die Verurteilte vom Hinrichtungsgang zur Wiederaufnahme der Gerichtsverhandlung zurückgerufen wird, Furcht ergreift die falschen Zeugen. Der Teufel zittert, da seine Pläne enthüllt werden. Die Engel freuen sich, daß endlich die unterdrückte Wahrheit auf der Erde eine Verteidigung findet. Der Gatte triumphiert, weil er die Gattin als keusch befunden. Die ganze Familie jubelt, daß keine üble Nachrede ihr etwas zum S. 256 Vorwurf machen kann. Und der Teufel ärgert sich, daß er in keiner Richtung seinen Willen durchgesetzt: er fand weder den Ehebruch, der Susanna im Fall der Tat in Schmach gebracht hätte, noch brachte er den Menschenmord zur Ausführung, den er vorbereitet.4
Dan. 13. ↩
Nach der Lesart der Ballerini: Testis est deus (Giuliani Testis et deus). ↩
Dan. 13, 49. ↩
Nach der Lesart Giuliaris: ... nec adulterium enim, quod factum diffamabat, invenit, nee homieidium, quod procurabat, exereuit. (Ballerini: nec adulterium enim, quod factum diffamabat, exereuit; nee homieidium, quod procurabat, exereuit.) ↩
