Sechster Artikel. Das Verhältnis der Namen zu einander.
a) Alle Namen, welche Gott beigelegt werden, kommen an erster Stelle den Kreaturen zu und erst an zweiter Stelle Gott. Denn: I. Wir benennen etwas, je nachdem wir es erkennen; sind doch die Worte nach Aristoteles Zeichen des Verständnisses. An erster Stelle aber erkennen wir die Kreaturen. Also kommen auch ihnen vor allem diese Namen zu. II. „Gott nennen wir dies oder jenes gemäß den Kreaturen,“ sagt Dionysius (div. nom. c. 1.). Die Namen, welche wir Gott geben, legen wir aber zuerst den Kreaturen bei; wie z. B. Löwe, Fels etc. Also haben sie Wahrhetl und Bedeutung für das Bekanntwerden Gottes erst an zweiter Stelle. III.Alle Namen, welche gemeinhin Gott gegeben werden, gebühren Ihm nach Dionysius, weil Er die Ursache von allem ist (de myst. theol. c. 1.). Was aber nur deshalb so genannt wird, weil es die Ursache ist, das trägt den Namen erst an zweiter Stelle und nicht an sich; wie das Gesunde, welches von der Medizin als der Ursache der Gesundheit ausgesagt wird und vom tierischen Körper als dem Sitze derselben an und für sich vom tierischen Körper gilt und erst an zweiter Stelle und zwar mit Beziehung auf diesen von der Medizin. Auf der anderen Seite sagt Paulus (Eph. 3. 18.): „Ich beuge meine Kniee vor dem Vater unseres Herrn Jesu Christi, von dem her alle Vaterschaft genannt wird im Himmel und auf Erden.“ Und dasselbe scheint von allen derartigen Namen aus demgleichen Grunde gesagt, werden zu müssen.
b) Ich antworte; bei jedem Namen, welcher mehreren Dingen beigelegt wird, aber nicht jedem einzelnen aus demselben Grunde, sondern einer Analogie zufolge, muß die Beziehung auf das Eine, das Maßgebende, worauf die Analogie beruht und wonach die Bezeichnungen sind, berücksichtigt werden. Dieses Eine muß dann in der Begriffsbestimmung aller anderen Dinge stehen, soweit der Name von ihnen gilt. Und weil die Begriffsbestimmung den Grund bildet für den Inhalt des Namens, so muß der betreffende Name an erster maßgebender Stelle von jenem Dinge gelten, welches in die Begriffsbestimmung der anderen Dinge mit Rücksicht auf die Anwendung des Namens eintritt; und erst an zweiter Stelle wird ebenderselbe Name von jenen Dingen gelten, welche in gewisser Reihenfolge mehr oder minder Beziehung haben zu dem ersten. So z. B. tritt das Gesunde, wie es vom tierischen Körper ausgesagt wird in die Begriffsbestimmung des Gesunden, was von der Medizin gilt, denn diese wird erst gesund genannt mit Beziehung auf die Gesundheit des tierischen Körpers als die Ursache derselben; und der Urin wird ähnlicherweise gesund genannt mit Beziehung auf den tierischen Körper als ein Zeichen derselben, Demgemäß wird das Gesunde an erster Stelle und ohne weitere Beziehung vom tierischen Körper ausgesagt; und erst an zweiter Stelle von allem jenem, was Beziehung auf diesen hat. Alle Namen sonach, welche figürlich von Gott gelten, werden an erster Stelle von den Kreaturen ausgesagt und erst an zweiter von Gott, denn sie bezeichnen nur gewisse Ähnlichkeiten in Gott mit jenen; nicht daß diese Namen einen Vorzug in Gott ausdrückten. Denn wenn z. B. von der „lachenden Wiese“ gesprochen, so heißt das nicht, daß in der Wiese etwas wirklich Lachendes wäre, sondem dieselbe verhält sich in der Pracht ihrer Blüten ähnlich wie ein Mensch, der lacht; es besteht da eine gewisse Proportion. So wird nun der Ausdruck „Löwe“ von Gott gebraucht; denn das bezeichnet nur, daß Gott in seinen Werken große Kraft zeige, ähnlich wie der Löwe in den seinigen. Und daher ist es klar, daß derartige Ausdrücke, soweit sie Gott zuerteilt werden, in ihrer Bezeichnung nur durch jenes begrifflich definiert werden können, was von den Kreaturen gesagt wird. Hier muß das der Kreatur Zukömmliche in die Begriffsbestimmung der Bezeichnung treten, die sich auf Gott richtet. Was aber die anderen nicht figürlich gebrauchten Namen anbetrifft, so würden auch diese von Gott nicht an erster Stelle und ohne Beziehung auf das Kreatürliche gelten, wenn durch dieselben, wie das oben die Meinung einzelner war, nur die ursächliche Kraft in Gott ausgedrückt würde. In diesem Falle würde, wenn man sagt: „Gott ist gut,“ diese Redeweise nur heißen: Gott verursacht das Gute; und so müßte in die Begriffsbestimmung des Guten, soweit dies über Gott ausgesagt wird, immer die Güte der Kreatur eintreten; sollte anders das Prädikat „gut“ in seiner Anwendung auf Gott verstanden werden. So ist es aber nicht. Derartige Ausdrücke bezeichnen direkt das Wesen Gottes und nicht nur seine verursachende Kraft. Denn wenn gesagt wird: Gott ist gut oder weise, so will man damit nicht allein sagen, Er sei die Ursache der Güte oder Weisheit, sondern es finde sich dies von vornherein und zu allererst und nicht erst kraft einer Beziehung auf etwas Kreatürliches in Ihm und zwar in aller Vollendung. Demgemäß werden solche Ausdrücke an erster Stelle von Gott gesagt. Es wird damit ausgedrückt, daß deren Bezeichnung in Gott ist, ehe sie von den Kreaturen ausgesagt werden, welche die damit bezeichnete Vollkommenheit erst von Gott haben als Teilnahme an der entsprechenden göttlichen wahrhaftigen Vollkommenheit. Was jedoch das anbetrifft, woher diese Ausdrücke genommen sind, so werden zuerst die Kreaturen damit benannt, weil wir erst vermiltelst deren Gott erkennen. Deshalb ist auch die Art und Weise wie sie bezeichnen von den Kreaturen entlehnt und diesen zukömmlich. (Vgl. Art. 3.) I. Der erste Einwurf berücksichtigt nur, woher die Namen genommen sind, nämlich aus der Kenntnis der Kreaturen; und da werden sie natürlich zuerst den letzteren beigelegt werden. Wird aber erwogen, was zu bezeichnen sie berufen sind, so kommen sie zuerst Gott zu, dem Quell aller Vollkommenheiten. II. Der zweite Einwurf spricht nur von den figürlich gebrauchten Namen; und diese bezeichnen an erster Stelle die Kreatur und erst unter Beziehung auf diese Gott. III. Solche Namen, von denen hier die Rede, bezeichnen nicht die verursachende Kraft Gottes, wie etwa das Gesunde von der Medizin ausgesagt wird; sondern seine Substanz.
