Zweiter Artikel. Von seiten Gottes besteht in der geschöpflichen Vernunft keine Ähnlichkeit, vermittelst deren das göttliche Wesen geschaut würde.
a) Es scheint, die geschöpfliche Vernunft könne nur auf Grund einer in ihr bestehenden Ähnlichkeit mit der Natur Gottes diese letztere schauen; wie sie auch sonst z. B. den einzelnen Menschen nur erkennt vermittelst der Erkenntnisform oder Idee „Mensch“. Denn: I. Es heißt bei I. Joh. 3, 2.: „Wir wissen, daß, wenn Gott erscheinen wird, wir Ihm ähnlich sein werden; denn wir werden ihn schauen, wie Er ist.“ II.Augustinus sagt (9. de Trin. 11.): „Wir erkennen Gott dadurch, daß eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihm in uns entsteht.“ III. Die Vernunft ist, insoweit sie thatsächlich erkennt, nichts anderes als das, was und insoweit es thatsächlich erkannt wird; ebenso wie der thatsächlich erkennende Sinn das thatsächlich Wahrgenommene ist. Das Farbige z. B., welches vom Auge gesehen wird, ist, insofern es als losgelöst von allem anderen wie Umfang, Figur und ähnliches betrachtet wird, eben nichts anderes als das Lichtbild selber im Auge. Nur dann also erkennt der Sinn und ebensogut auf ihrer Stufe die Vernunft, wenn die Ähnlichkeit mit dem gekannten Einzelsein innerhalb der Erkenntniskraft sich vorfindet. Und diese Ähnlichkeit ist durchaus nichts anderes als jene eine entsprechende Form (beim vernünftigen Erkennen die Wesensform, beim sinnlichen Erkennen eine bloße Eigenschaft) zugleich innerhalb der Erkenntniskraft, welche im Dinge außen der maßgebende formale Grund für das Einzelsein ist. Wenn also Gott von der geschaffenen Vernunft gesehen werden soll, so muß in letzterer eine Ähnlichkeit mit Gott sich finden; d. h. es muß in ihr ein und dieselbe Form den wirklichen Erkenntnisakt bethätigen, welche außen in Gott der maßgebende Seinsgrund ist. Auf der anderen Seite aber “sagt Augustin (15. de Trin. 9.): „Wenn der Apostel sagt, wie im Spiegel und in Rätseln schauen wir jetzt, so werden unter den Ausdrücken „Spiegel“ und „Rätsel“ alle möglichen Ähnlichkeiten bezeichnet, welche dazu geeignet sind, Gott zu Erkennen.“ Schauen aber Gott kraft seines Wesens ist kein Schauen „im Spiegel und in Rätseln“, sondern steht demselben vielmehr entgegen. Also wird das göttliche Wesen nicht auf Grund von Ähnlichkeiten mit selbem gesehen.
b) Ich antworte, daß sowohl zum Schauen seitens der Sinne als auch zum Schauen seitens der Vernunft zwei Bedingungen erfordert werden. Es muß nämlich zuvörderst eine Kraft bestehen, die zu schauen vermag; und dann muß eine Vereinigung da sein zwischen dieser Kraft und dem geschauten Gegenstande. Denn keinerlei thatsächliches Schauen findet statt, ohne daß der geschaute Gegenstand in entsprechender Weise innerhalb der schauenden Kraft sich fände. Nun ist es bei den Dingen, welche das körperliche Auge schaut, ganz offenbar, daß der geschaute Gegenstand nicht kraft seines Wesens im Schauenden sein kann, sondern vielmehr nür kraft einer Ähnlichkeit; wie z. B. eine Ähnlichkeit des einzelnen Steines im Auge ist und durch diese Ähnlichkeit das Schauen bewerkstelligt wird; nicht die Substanz oder das Wesen des einzelnen Steines selber ist im Auge. Wäre nun das einzelne Sein, von dem nämlich das Princip der Sehkraft herrührt und jenes Sein, welches geschaut wird, ein und dasselbe, so würde der Sehende von diesem Sein sowohl das Vermögen oder die Kraft zu sehen haben als auch die Form oder Ähnlichkeit, welche das thatsächliche Sehen ermöglicht; wie z. B. wenn der Stein die Sehkraft des Auges verursachte, von ihm, vom Steine, sowohl die Kraft zu sehen im Auge käme und zugleich die Form oder Ähnlichkeit, vermittelst deren thatsächlich gesehen würde. Dies ist nun der Fall bei Gott. Er ist der Urheber oder das Princip der Vernunft als der geistigen Erkenntniskraft; und Er kann auch, weil im höchsten Grade erkennbar, von der Vernunft als Gegenstand geschaut werden. Da jedoch eine solche geschöpfliche Vernunft nicht das göttliche Wesen selber ist, so bleibt nur übrig, daß sie eine Ähnlichkeit mit Gott hat, kraft deren sie Anteil besitzt am Glänze der ersten, der schöpferischen Vernunft. Deshalb wird nun auch die geistige Erkenntniskaft des Geschöpfes als ein erkennbares Licht bezeichnet; denn sie kommt vom ersten, göttlichen Lichte. Und dies ist der Fall, mag es sich um das natürliche Erkenntnislicht handeln oder um das Licht der Gnade oder um das der Herrlichkeit. So wird also zur Anschauung Gottes eine gewisse Ähnlichkeit erfordert auf seiten der Erkenntniskraft; eine solche nämlich, durch welche die Vernunft hinlänglich kräftig wird, um Gott zu schauen (wie etwa für den Astronomen ein Teleskop erfordert wird, um die Sehkraft für die Erforschung der Sterne zu kräftigen; mit. dem Teleskop aber ist noch nicht das Sternbild selber gegeben als Ähnlichkeit, durch welche von seiten des Sternes das Anschauen ermöglicht wird; sondern es besteht damit nur eine Erhöhung der Sehkraft). Von der anderen Seite nun her, d. h. von seiten des geschauten Gegenstandes existiert bei der seligen Anschauung keinerlei geschaffene Ähnlichkeit mit Gott. Das wird aus drei Gründen bewiesen: 1. sagt Dionysius (de div. nom. c. 1.), daß vermittelst Ähnlichkeiten geringerer Ordnung im Sein nicht Dinge geschaut werden können, welche einer höheren Ordnung angehören; wie z. B. vermittelst der Gestalt eines Körpers ich kein körperloses Sein erkennen kann. Um so viel weniger aber kann vermittelst einer geschaffenen Form, wie hoch sie auch immer stehen mag, das ungeschaffene Wesen Gottes gesehen werden. 2. Das Wesen Gottes ist sein thatsächliches Sein; und das kann keiner geschaffenen Form zukommen, daß sie von sich aus identisch wäre mit Wirklichsein und damit ganz unabhängig aus sich heraus thatsächliche Wirklichkeit hätte. Es kann also in keiner Weise eine geschaffene Erkenntnisform die Ähnlichkeit sein, welche geeignet wäre, das Anschauen des göttlichen Wesens zu vermitteln. 3. Das göttliche Wesen ist etwas Unumschränktes, in einer unendlich über jegliches Geschaffene hervorragenden Weise alles in sich enthaltend, was auch immer von der geschaffenen Vernunft bezeichnet oder verstanden werden kann. Dies kann aber unmöglich durch eine geschaffene Ähnlichkeit dargestellt werden. Denn jede geschaffene Form ist an sich beschränkt und bestimmt von außen her gemäß der Richtschnur und dem Wesen der Weisheit oder gemäß einer Kraft oder gemäß dem Wirklichsein oder dergleichen. Sagen also, Gott werde vermittelst einer Ähnlichkeit von seiner Seite aus, d. h. durch eine Form, welche Ihn darstellt, ohne daß sie Er selber wäre, von der geschaffenen Vernunft geschaut; heißt ebensoviel wie, daß das Wesen Gottes gar nicht geschaut werde. Und dies ist ein Irrtum. Es wird zur Anschauung Gottes eine Ähnlichkeit erfordert von seiten der erkennenden Vernunft, wodurch diese nämlich in ihrer Kraft zu erkennen gestärkt und erhoben wird und sonach als Geschöpf höheren Anteil hat an der Vollendung Gottes. Das ist das „Licht der Herrlichkeit“, das lumen gloriae, von dem (Ps. 35, 10.) es heißt: „In Deinem Lichte werden wir das Licht schauen.“ Von seiten Gottes aber ist eine geschaffene Ähnlichkeit unmöglich, die da, wie etwa die Idee „Mensch“ den einzelnen Menschen dem Gattungssein nach vorstellt, das göttliche Wesen ausdrückte seinem unendlichen, in sich bestehenden Sein nach. Danach ist zu verstehen:
c) I. Die im ersten Einwurfe erwähnte Stelle. Sie spricht von der Ähnlichkeit, welche zur Stärkung der geschöpflichen Erkenntniskraft dient, vom lumen gloriae, welches die Kreatur als Kreatur in ihrem Vermögen Gott ähnlicher, weil stärker macht. II. Augustin spricht an der in II. erwähnten Stelle von der Kenntnis Gottes hier auf Erden. III. Das göttliche Wesen ist sein eigenes Sein. Sowie also die Ideen als Erkenntnisformen der Vernunft eins werden mit der Vernunft kraft eines gewissen thatsächlichen Seins, das sie selber nicht sind, sowie sie kraft dieses Seins die Vernunft zu formen vermögen und zum thatsächlichen Erkennen bringen; so wird die göttliche Wesensform eins mit der geschöpflichen Vernunft nicht als innere Form oder Idee der Vernunft — das kann ja Gott nie sein, das Wesen nämlich oder die innere maßgebende Form eines Geschöpfes, welcher das thatsächliche Sein durchaus angepaßt würde — sondern die göttliche Vernunft wird eins mit der Geschöpftichen als etwas thatsächlich Erkanntes; und sie selber wirkt es unmittelbar durch sich selbst, daß die geschöpfliche Vernunft thatsächlich erkennt.
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