Dreizehnter Artikel. Vermittelst der Gnade wird eine höhere Kenntnis Gottes erworben, wie vermittelst der rein natürlichen Vernunft.
a) Gegen diese Behauptung scheint sich Dionysius zu richten, wenn er schreibt: I. „Jener, der da inniger mit Gott verbunden sein will in diesem Leben, muß mit ihm vereinigt sein wie mit etwas Unbekanntem.“ (Lib. I. de myst. theol. cap. 1.) Dasselbe sagt dann dieser Heilige von Moses, der doch eine hervorragende Stufe im Gnadenleben einnahm. Mit Gott aber vereinigt sein als mit einem Sein, dessen Wesen unbekannt ist, dies findet auch vermittelst der natürlichen Vernunft statt. Also verleiht die Gnade keinen höheren Grad der Erkenntnis Gottes. II. Das Mittel für die Gnade und für die Natur, um zur Kenntnis Gottes zu gelangen, ist gleichermaßen ein und dasselbe; denn nur an der Hand von Phantasiebildern ist dies für den beiderseitigen Bereich möglich. Dies bestimmt ebenfalls Dionysius (de cael. Hier. cap. 1.): „In anderer Weise ist es für uns unmöglich, daß uns der Strahl göttlicher Weisheit leuchte, als in der Umhüllung heiliger und mannigfacher Bilder und Figuren.“ Also auch von dieser Seite her kann kein Unterschied begründet werden zwischen Natur und Gnade rücksichtlich der Kenntnis des Göttlichen. III. Unsere Vernunft hängt Gott an durch die Gnade des Glaubens. Der Glaube aber scheint keine Kenntnis zu sein. Denn Gregor der Große sagt (hom. 26. in Evg.): „Was nicht gesehen wird, dem hängt man an vermittelst des Glaubens; nicht aber vermittelst der Anerkennung.“ Die Gnade also fügt zur Kenntnis keinen höheren Grad hinzu. Auf der anderen Seite aber heißt es (1. Kor. 2.): „Uns aber hat es Gott durch seinen Geist geoffenbart,“ nämlich was keiner der Fürsten dieser Zeit, d. h. der Philosophen erkannte.
b) Ich antworte, daß die Gnade eine vollkommenere Kenntnis von Gott uns vermittelt, wie die natürliche Vernunft. Das wird folgendermaßen einleuchtend. Die Kenntnis, welche uns durch die natürllche Vernunft vermittelt wird, erfordert ein Zweifaches: einmal Phantasiebilder, welche von den äußeren Sinnen sich herleiten; und dann das natürliche Licht der reinen Vernunft, durch dessen Kraft wir die reinen, vernünftig erkennbaren Wesenheiten vom Stoffe und dessen einschränkenden Bedingungen loslösen. Und nach beiden Seiten hin steht die Gnade bei. Denn sowohl wird die natürliche Kraft unserer Vernunft, vermittelst deren sie geistig leuchtet, durch das Einfleßen des Gnadenlichtes der Offenbarung gestärkt; — als auch werden bisweilen mit göttlichem Beistande Phantasiebilder in der Einbildungskraft geformt, welche das Göttliche unter sinnlichen Bildern besser darstellen wie dies von seiten jener Phantasiebilder geschieht, welche die bloße Natur formt. Dies sehen wir in den Gesichten und Erscheinungen der Propheten. Und öfter werden sichtbare Dinge oder auch Worte geformt, welche direkt das Göttliche ausdrücken; wie z. B. bei der Taufe des Herrn der heilige Geist in der Form einer Taube gesehen ward und die Stimme des Vaters erscholl: „Das ist mein geliebter Sohn.“ (Matth. 3, 17.) I. Allerdings erkennen wir kraft der Offenbarung der Gnade nicht von Gott, was Er ist, d. h. sein Wesen; und so werden wir mit Gott vereint, wie mit etwas Unbekanntem. Trotzdem erkennen wir Ihn in bei weitem mehr vollendeter Weise, 1. insofern mehrere und hervorragendere Wirkungen uns gezeigt werden, die von Ihm als ihre Ursache ausgehen; — und 2. insofern wir Ihm manches zuschreiben, zu dessen Kenntnis die natürliche Vernunft nicht hinanreicht; wie z. B. daß Er einer sei in drei Personen. II. Aus den Phantasiebildern, mögen sie nun gemäß der natürlichen Ordnung der Dinge von den Sinnen herrühren oder mit dem Beistande Gottes in der Einbildungskraft geformt sein, wird eine um so höhere und glänzendere Kenntnis geschöpft, je stärker im Menschen das wirkende Licht der Vernunft ist. Und da nun die Gnade jenes Licht der Vernunft stärkt, geht kraft der Offenbarung aus diesen Phantasiebildern eine vollendetere Kenntnis hervor. III. Der Glaube ist insoweit wirkliche Kenntnis als die Vernunft durch den Glauben bestimmt wird, etwas Erkennbares zum Gegenstande zu haben. Diese Bestimmung aber zu einer ganz gewissen Kenntnis rührt nicht her vom Schauen des Glaubenden, sondern vom Schauen desjenigen, dem geglaubt wird. Und so ist nach der letzteren Seite hin im Glauben ein Mangel im Vergleiche zu jener Art Kenntnis, welche durch das Wissen vermittelt wird. Denn die Wissenschaft bestimmt den Verstand zu einem ganz gewissen erkennbaren Gegenstande hin auf Grund des Schauens und des Verständnisses der ersten allgemeinen Principien.
