Dritter Artikel. Das Wesen Gottes ist nicht Gegenstand körperlichen Schauens.
2) Auch die leiblichen Augen scheinen fähig zu sein, Gott zu schauen. Denn: I. Bei Job 19, 28. wird gesagt: „In meinem Fleische werdet ich Gott sehen“ und 42, 5.: „Mit dem Hören meines Ohres habe ich gehört; jetzt aber sieht Dich mein Auge.“ II. Augustinus schreibt (ult. de civ. Dei c. 29.): „Die Sehkraft jener Augen (der Seligen nach der Auferstehung des Fleisches) wird weit erhabener sein; nicht nur dem Grade nach, daß sie schärfer sehen, wie etwa nun die Adler oder wie man es von manchen Schlangenarten sagt (denn diese Tiere sehen doch immer nur Körper, wie groß die Schärfe der Sehkraft auch sein mag); sondern daß sie Unkörperliches sehen.“ Welches Auge aber Unkörperliches sehen kann, das kann auch erhoben werden zur Anschauung Gottes. Also die leiblichen Augen werden Gott sehen. III. Gott kann von Menschen geschaut werden vermittelst der Ähnlichkeit in einem Gesichte oder in einer Erscheinung, wie Isaias (6, 1.) sagt: „Ich habe den Herrn gesehen sitzend auf dem Throne.“ Eine solche Erscheinung oder ein solches Gesicht nimmt aber seinen Ausgang von den Sinnen; denn die Einbildungskraft, welche davon in erster Linie der Träger ist, besteht wesentlich darin, daß der äußere Sinn wie z. B. das Auge thätig ist nach dem Innern hin, wie Aristoteles sagt (III. de an. c. 3.). Also kann Gott von den Sinnen erreicht werden. Auf der anderen Seite sagt Augustin (lib. de videndo Deum ad Paul. ep. 112. c. 9.): „Niemand hat Gott den Herrn gesehen weder in diesem Leben, wie Er selber seinem Wesen nach ist, noch im Leben der Engel auf die Weise, wie dieses Körperliche durch unsere Augen erblickt wird.“
b) Ich antworte, daß Gott unmöglich vermittelst der Augen oder einer anderen sinnlichen Thätigkeit gesehen werden kann. Denn jede solche Fähigkeit ist die bethätigende und bildende Form innerhalb eines körperlichen Organs, wie etwa die Form der Marmorstatue den Marmor bildet und sonach kann keine snnliche Fähigkeit ohne Stoff existieren, wie die Form der Statue nicht ohne den Marmor besteht; ohne das materielle Organ des Auges ist keine Sehkraft denkbar. Jede Fähigkeit ist aber in der Weise thätig, wie sie Sein hat, also wie sie ihrem Wesen nach besteht. Also kann auch die Fähigkeit jeglichen Sinnes für ihre Thätigkeil nur einen Gegenstand haben, welcher ihrem Wesen entspricht, mit dem Stoffe somit seiner innersten Natur nach verbunden ist und ohne Stoff nicht sein kann. Der Sinn erstreckt sich demgemäß dem Wesen nach nur auf Körperliches. Gott aber ist nicht körperlich. Weder vom Äuge noch von der Einbildungskraft kann Er sonach als Gegenstand der entsprechenden Thätigkeit erreicht werden, sondern nur von der Vernunft.
c) I. Die Worte bei Job besagen nur, daß Job im Fleische befindlich, vom Fleische umkleidet, Gott sehen; nicht daß sein leibliches Auge Ihn schauen werde. Die Worte aber: „Mein Auge wird Dich sehen,“ gelten vom Auge des Geistes; wie auch Paulus schreibt (Ephes. 1. 17.): „Gott möge euch den Geist der Weisheit geben, damit ihr Ihn anerkennt und erleuchtet die Augen eueres Herzens.“ II. Die Stelle bei Augustin fragt und untersucht; sie entscheidet nicht. Das geht hervor aus dem, was vorhergeschickt wird: „Die Äugen werden also ein weit anders geartetes Vermögen voraussetzen, wenn sie jene stofflose Natur sehen werden.“ Und später giebt er seine eigentliche Meinung: „Es ist sehr glaublich, daß wir dann (nach der Auferstehung) diese weltlichen Körper des neuen Himmels und der neuen Erde so sehen werden, daß wir Gott, wie Er überall gegenwärtig ist, wie Er alles, auch das Körperliche regiert, in hellster Klarheit schauen: nicht so wie wir jetzt, durch die sichtbaren Geschöpfe nämlich, Gott erkennen, sondern so wie wir jetzt jene Menschen, unter denen wir leben und zwar die da lebenskräftige Bewegungen ausführen, sogleich wie wir sie erblicken, mit den Augen sehen, und sehen, daß sie leben; nicht aber so, daß wir nur glaubten, dieselben hätten Leben.“ Daraus geht hervor, daß Augustin in der Weise von den Augen der Seligen aussagt, sie schauten Gott, wie jetzt unsere Augen schauen das Leben irgend eines Menschen. Das Leben aber wird nicht mit körperlichem Auge gesehen, als ob es der eigentliche Gegenstand der betreffenden Sehkraft sei; sondern wie ein Gegenstand, der nur deshalb von der letzteren erreicht wird, weil er mit der Farbe als dem eigentlichen Gegenstande des Sehens untrennbar verbunden ist und zur Farbe somit hinzutritt; wie z. B, auch der Umfang eines Gegenstandes gesehen wird, nicht weil selbiger etwa der Gegenstand des Auges ist, sondern weil die Farbe des Körpers unter solchem Umfange sich darstellt und nur mit einem gewissen Umfange verbunden sich vorstellen kann. So wird also das Leben nicht direkt vom Sinne erfaßt, sondern zugleich mit der Thätigkeit des Sinnes von einer anderen Erkenntniskraft. Daß aber zugleich damit, daß die Körper gesehen werden, die Gegenwart Gottes durch die Vernunft aus ihnen heraus erkannt wird; das kommt von zwei Umständen her: 1. von der Schärfe der übernatürlich durch das lumen gloriae gehobenen Vernunft; und 2. davon, daß der Abglanz der Herrlichkeit Gottes in den erneuten Körpern wiederstrahlen wird. III. In Gesichten oder Erscheinungen wird nicht das Wesen Gottes gesehen; sondern es wird in der Einbildungskraft irgend eine Form hergestellt, welche Gott den Herrn gemäß einer gewissen Ähnlichkeit vorstellt; in der Weise, wie die Schrift Bilder gebraucht zur Bezeichnung der Vollkommenheiten Gottes.
